Vorsicht bei allumfassenden Schweigepflichtsentbindungen!

Frau K. hat einen ziemlich anstrengenden Beruf. In den letzten Jahren hat man es ihr am Arbeitsplatz wirklich sehr schwer gemacht.
Als dann auch noch private Sorgen hinzu kommen, kann sie nicht mehr.

Sie schläft nicht mehr gut, hat Kopfschmerzen, ihr ist übel. Sie zweifelt an sich, fühlt sich alt und verbraucht, zittrig, unkonzentriert, am Ende. Die Stimmung ist schlecht, sie hat Angst, ist unruhig.

Die Krankschreibung ist eine kleine Erleichterung, die Medikamente und die Selbsthilfegruppe tun ihr gut.
Aber sie muss von zuhause weg, dort kann sie nicht gesund werden, da steht sie auch unter Druck und das Verständnis, das sie bräuchte, findet sie dort nicht.

Also schlage ich vor, dass sie in eine Klinik geht. Hier im weiteren Münchner Umfeld haben wir eine ganze Menge guter und sinnvoller Alternativen.

Für die erforderliche Kostenübernahmeerklärung der privaten Krankenversicherung will diese einen Befundbericht von mir und für diesen wiederum benötige ich eine Schweigepflichtsentbindung, die der Versicherer zuschicken soll.

Die Patientin bekommt dann folgendes Dokument:

ds

 

Liest man es sich genau durch, so erkennt man eine allumfassende Entbindung von der Schweigepflicht gegenüber allen Ärzten, Kliniken und Behörden, die auch die Schweigepflicht gegenüber etwaigen Kindern umfasst. Außerdem stimmt der Patient zu, dass diese Unterlagen an Dritte, z.B. „medizinische Institute“ weitergegeben werden dürfen.

Zu Recht misstrauisch, fragt mich Frau K., ob sie das unterschreiben soll.

Ganz allgemein müssen zum Zwecke der Beurteilung einer Leistungspflicht natürlich Angaben zum Krankheitsverlauf, der Diagnose und dem Befund an die Versicherung geschickt werden. Allerdings soll man sich dabei auf die aktuelle Fragestellung beziehen, also in unserem Fall: Warum muss Frau K. gerade jetzt in eine Klinik?

Die der Patientin zugeschickte Schweigepflichtsentbindung ist dagegen so etwas wie eine Generalvollmacht, ein Traum für alle, die ihre Versicherten so gläsern wie möglich haben wollen.

Im Interesse der Patienten ist das nicht.

Das Problem dabei ist die seit Jahren immer stärker zu beobachtende Tendenz von Krankenkassen und Krankenversicherungen, nicht nur möglichst viele Daten über ihre Patienten zu horten, sondern gleichzeitig immer restriktiver mit medizinisch notwendigen Leistungen zu verfahren. In meinen Augen dient das Datensaugen gerade auch dem Zweck, nach Gründen zu suchen, um aus der Leistungspflicht zu kommen.

Die häufig zu hörende Klage vieler Patienten „Jetzt habe ich jahrzehntelang eingezahlt und wenn ich dann mal krank bin, machen die mir nichts als Schwierigkeiten“ ist leider aus meiner Sicht nur allzu berechtigt. Was vielleicht polemisch klingt, ist unsere tägliche Erfahrung in der Praxis.

Da kommt man dann schon mal auf die zynische Idee, ob es nicht so sein könnte, dass die Versicherung das Geld ihrer Patienten lieber selbst behält als es für so abwegige Dinge wie stationäre Behandlungen auszugeben.

"Mammon" von George Frederick Watts  (1885/85)

„Mammon“
von George Frederick Watts
(1884/85)

Ganz generell rate ich jedem von der Unterzeichnung einer solchen umfassenden Schweigepflichtsentbindung ab.

In diesem konkreten Fall  rufen meine Mitarbeiterinnen bei der Versicherung an und geben durch, dass Frau K. diese Entbindung nicht unterzeichnet, man solle doch eine aktuelle für die Frage nach dem stationären Aufenthalt schicken.

Nein nein, das ist schon das richtige Formular, das werden wir von der Versicherung ja wohl besser wissen als Ihr Herr Dr. Teuschel“ lautet die Reaktion.

Tja, das ist jetzt wieder so ein Scheideweg. Eigentlich sollte man auf so eine gleichermaßen unverfrorene wie falsche Antwort hin ja den Fehdehandschuh aufgreifen und Rambazamba machen, andererseits kommt so was mittlerweile so häufig vor, dass man dann zu gar nichts anderem mehr kommt. Die einfachste Lösung ist natürlich, sich selbst eine Schweigepflichtsentbindung vom Patienten für den konkreten Fall geben zu lassen.

Als ich noch im Entscheidungsmodus war, kam dann Frau K. doch mit der richtigen Entbindung von der Versicherung an. Sie ist hingegangen und hat gesagt, dass sie jetzt bitte das korrekte Formular will. Und hat´s bekommen.

Der Kampf gegen Begehrlichkeiten aufseiten der Versicherer kostet sowohl dem Patienten wie seinem Arzt Zeit und Nerven und ist so unnötig wie ein Kropf.

Das Prinzip scheint hier zu sein: Versuchen kann man es ja mal …

 

Peter Teuschel

14 Responses
  1. Warum macht denn die Versicherung das so kompliziert?
    Einfach Abhörgenehmigung verlangen – und Kopie von jedem Poststück, und natürlich vom Online-Tagebuch.. Versteh ich nicht, dass die so umständlich fragen….
    Oder einfach NSA-Antrag für Pat. XxX
    ============================================================================

    Also, denjenigen der bei dieser Vers. arbeitet, möchte ich mal sehen, wenn er Pat. ist… DIE unterschreiben das sicher nie….

    Und mEn unfassbar, was für einen Riesen-Personenkreis diese Schweigepflichtsentbindungserklärung beinhaltet – DA fragt man sich ja wirklich, was die damit vorhaben… Na, also.. ich würd das auch nicht unterschreiben…
    Gut, dass Ihre Pat. das hinterfragt hat… ich denke, viele unterschreiben einfach, damit sie „ihre Ruhe“ haben – und aus Angst, dass sie sonst nachteilig behandelt werden (möglicherweise gerechtfertigt…?).

    So ganz hab ich das als Ösi nicht gecheckt…

    Gibts in D keine gesetzliche Krankenversicherung zentral, oder muss sich jeder eine aussuchen? Oder ist das Formular hier „nur“ im Rahmen einer Zusatzversicherung?

    Danke!
    Eva

  2. Und dann unten noch die unterschwellige Drohung – unterschreibst du nicht alle bzw. streichst du was, gibt es womöglich Leistungskürzungen o.ä.
    Mich wundert nur, dass die Debeka als private KV das macht. Bei den gesetzlichen schockt mich eigentlich nichts mehr, aber dass die privaten jetzt nachziehen?

    • Offenbar.. sparen die Privaten genauso gerne…. Und je mehr Infos, desto mehr kann man die „Schuld“ abwälzen oder Gründe finden, warum man nicht leisten muss…. Manchmal fragt man sich, wozu man überhaupt eine Vers. hat… Ich hab 14 Jahre Rechtsschutz bezahlt… laufend.. und die Mobbingklage übernehmen sie auch nicht… 🙁

      • Ja, das ist das Blöde… Wenn sie alle gleiches Programm fahren – auch die Privaten unter sich – ists eh schon wurscht, welche man aussucht… Mensch ist man nirgends mehr…? Oder GÖD REGIERT DIE WÖD…

        Ich werds in 100 Jahren nicht kapieren… dass Mammon so viele so werden lässt… Und es kaum noch Grenzen gibt… Scheinbar jedes Verhalten scheint rechtfertigbar zu sein – wenns ums Verdienen geht…

        Dass eine Krankenversicherung einen sozialen Auftrag hat… Wissen die das noch?

        Na, in 100 Jahren.. werd ich s nicht kapieren, dass Geld so wichtig sein kann….

  3. Der Wahnsinn hat Methode! Leider ! Es ist natürlich kein Einzelfall, Frau K.scheint psychisch durchlöchert, sie liegt am Boden und braucht Hilfe für die Seele, wie also soll sie sich wehren gegen bürokratische Peitschenhiebe und moralische Peinlichkeiten solcher Art ? Ich denke, ich an ihrer Stelle hätte aufgegeben und genau darauf spekulieren die Rendite Haie, denn genau darum geht es: Kosten einzusparen ohne Weitblick ohne Menschlichkeit. Humanismus als echtes Fremdwort .Erschreckend ist das, aber überraschend längst nicht mehr. Denn WIR sind die Gesellschaft und GEIZ IST GEIL und andere renditehungrige Slogans haben WIR mitgetragen und müssen nun sehen , daß wir dieses wuchernde Virus wieder loswerden. Unsere Gesellschaft steuert da seltsam hilflos in eine ungute Richtung.

  4. Danke! Dazu noch eine Buchempfehlung für alle Interressierten : „die narzisstische Gesellschaft“, von Joachim Maaz. Es nützt wenig,denke ich, immer nur auf die anderen zu zeigen, wir, als Gesellschaft, haben schon auch unseren Teil zu dieser Entwicklung beigetragen

  5. Genau so etwas ist mir mit der Debeka auch schon ein paarmal passiert – ich habe dann dort angerufen und gefragt, für was konkret sie eine Auskunft benötigen, von welchem Arzt, welcher Zeitraum usw…. Es gab zwar heftige Diskussionen, aber ich habe dann eigene Schreiben verfasst und der Debeka zugesandt!
    Diese Generalvollmacht war mir von Anfang an suspekt, so etwas unterschreibe ich grundsätzlich nicht!!!!

  6. Gut, wer das noch kann. Ich stimme jazzfeeling zu. Am Boden liegend kann man einfach nicht mehr und unterschreibt. Wenn alle Kraft erloschen ist und man nur noch mit Hilfe über- und weiterleben kann, ist keine Kraft für nichts anderes mehr übrig. Man unterschreibt. Und das wissen die Versicherungen. Die haben täglich genügend „Fälle“ auf dem Tisch (nicht Menschen). Und weil das immer noch nicht reicht, rufen sie die Versicherten dann später noch zu Hause an und stellen weitere Fragen …

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