Fast habe ich ein schlechtes Gewissen, in diesen Zeiten, in denen Schulen geschlossen und Bundesligaspiele abgesagt werden und Xavier Naidoo aus der DSDS-Jury geschmissen wird, wieder über Stigmatisierung psychisch Kranker zu schreiben. Interessiert das in diesen Corona-Wochen überhaupt jemanden?
Aber meine Kristallkugel, die ich gerade in der Krise gerne befrage, sagt mir, dass der Tag kommen wird, an dem SARS CoV 2, das neue Corona-Virus, sich seinen Platz in der Medizingeschichte gesichert haben wird. Ähnlich wie HIV, Vogelgrippe und Rinderwahnsinn. Hoffen wir, dass das Virus möglichst wenigen Menschen das Leben nehmen wird, bevor eine Behandlungsmöglichkeit und ein Impfstoff entwickelt werden.
Aber eines Tages werden wir das durchgestanden haben.
Dann wird eine Rückschau und eine Aufarbeitung erfolgen. Nicht nur in Bezug auf das Virus. Sondern auch in Bezug auf uns selbst.
Schwierige Zeiten befreien einen nicht davon, sich korrekt und menschlich zu verhalten.
Nein, ich meine jetzt nicht diejenigen, die mit dem Tieflader vorfahren, um Klopapier, Seife und – wie wir gerade feststellen mussten – Trockenhefe (?!?) zu hamstern. Ich meine auch nicht die, die aufgrund ihrer irgendwie beschränkten Sicht auf die Dinge nicht in der Lage scheinen, neben sich selbst auch andere, nicht so Stabile, nicht so Gesunde wahrzunehmen und respektvoll zu behandeln.
Nein, ich denke jetzt an die medienpräsenten Jungs, die ihre Coolness wie ein überdimensioniertes Suspensorium vor sich her tragen, die über alle Möglichkeiten verfügen, ihrem breiten Publikum zu zeigen, wie „witty“ sie sind. (Ganz bewusst schreibe ich von Jungs, weil mir keine medienpräsenten Mädels eingefallen sind, die so unterwegs wären.)
Ganz aktuell denke ich an Micky Beisenherz.
Nicht, dass ich ihn mag. Obwohl er manchmal wirklich witzig schreiben kann. Irgendwie passt das ganz oft nicht für mich. Damit kann ich leben und Micky Beisenherz sowieso.
Warum ich jetzt über ihn schreibe, hat aber nichts damit zu tun, dass ich ihn nicht besonders mag. Sondern weil er jetzt was vom Stapel gelassen hat, dass ich typisch finde. Typisch für … aber dazu später.
Micky Beisenherz hat sich zu Xavier Naidoo geäußert. Das hat mir an sich gut gefallen, weil auch ich der Meinung bin, dass wir von der Nummer „Ich haue was Rassistisches raus und präsentiere mich dann missverstanden und ausgegrenzt“ schon genug aus der extremistischen rechten Ecke gehört und gelesen haben.
Und so ist ganz Vieles, was der Comedian und „Artikel 5“-Moderator in seinem Interview mit t-online.de sagt, auch wirklich lesenswert.
Dann aber geht es um den Amoklauf von Hanau. Beisenherz würdigt hier den Einfluss rechter Stimmungsmache auf die Tat sehr nachvollziehbar – bis er auf den Täter zu sprechen kommt. Ich darf zitieren:
„Dass ein Mann in Hanau gezielt in Shishabars rennt und das auch noch in einem Bundesland wie Hessen, in dem die AfD massiv Stimmung gegen Shishabars gemacht hat, zeigt die Zusammenhänge recht deutlich. Verrückt war der Mann natürlich vorher schon, aber den Ton einer Gesellschaft, der der Irre einen Gefallen zu tun glaubte, hat diese Partei mit gesetzt.“
Der Täter von Hanau, so viel können wir aus den derzeit vorliegenden Informationen ableiten, litt offenbar an einer psychischen Erkrankung. Ob das nun eine Schizophrenie war oder eine wahnhafte Störung, das lässt sich natürlich aus der Ferne und im Nachhinein nicht rekonstruieren. Aber eins wissen wir mit Sicherheit:
Er war kein „Irrer“ und er war nicht „verrückt“. Diese beiden Ausdrücke sind in einer Welt, in der psychisch Kranke herabgewürdigt, ausgegrenzt und schief angesehen werden, einfach nur obsolet. Wer sich so äußert, spricht wie ein Proll.
Und das ist es, was ich bei einigen durchaus schlauen und gebildeten Zeitgenossen feststelle: Dass sie sich prollig äußern, sobald es um das Thema „psychische Störung“ geht. Warum das so ist, weiß ich nicht. Mir kommt es oft so vor wie eine bewusste Verweigerung einer „politisch korrekten“ Stellungnahme. So als wäre es eine Unterwerfung unter irgendein Diktat, sich hier korrekt zu äußern. Dabei geht es doch nur darum, den Menschen, die ohnehin durch eine psychische Störung gehandicapt sind, fair und respektvoll zu begegnen. Man kann und soll die Gewalttat dadurch nicht relativieren oder gar entschuldigen. Aber man soll die Dinge beim richtigen Namen nennen. Und nicht von „Irren“ und „Verrückten“ sprechen. Sondern von Menschen mit einer psychischen Störung, in diesem Fall einer psychischen Erkrankung.
Wer das nicht kann oder das nicht will, der hat nicht verstanden, wie wichtig in diesen und in allen Zeiten Zusammenhalt und Respekt sind – zwischen Mann und Frau, zwischen Alt und Jung und zwischen psychisch „Kranken“ und psychisch „Gesunden“.
Peter Teuschel
Was mir auffällt, ist diese leichte Verklärung „psychisch Kranker“. Sie sind in der Tat weder „irre“, noch „verrückt“, aber auch nicht die bessere Hälfte der Gesellschaft – nur weil sie abhängiger sind.
Jede Abgrenzung „psychisch Normaler“ dient zunächst der Angstabwehr (eine gesunde Reaktion, sollte aber reflektiert werden!). Psychisch labile und von Unterstützung abhängige Menschen sind nicht menschlich besser – im moralischen Sinn, sie sind nicht kooperativer (leider im Gegenteil) und sie müssen einen hohen Preis für ihre Defizite bezahlen. Der Preis besteht darin -denke ich- dass die tiefe Glücksfähigkeit (wer weiß es?) eingeschränkt ist und dadurch das Leben nicht in vollem Umfang ausgeschöpft werden kann. Das ist sehr traurig und tragisch, finde ich.
Mutige und selbstbestimmte Menschen aber als psychisch na ja…egoistisch, selbstsüchtig, Proll, unsensibel, rücksichtslos, geistlos… hinzustellen ist wiederum ein Gegen-Versuch, das psychisch Labile zu rehabilitieren. Das hat alles gar nichts mit Liebe und Menschlichkeit zu tun, denn diese Qualitäten setzen ein Höchstmaß an innerer Freiheit voraus.
Die Akzeptanz fehlt meist auf beiden Seiten. Warum müssen eigenständige und kooperative Menschen ständig Rücksicht auf uneinsichtig Kranke nehmen ? Hier dürfen ebenfalls Grenzen gesetzt werden. Wenn ein psychisch labiler Mensch sich einbildet Kaiser von China zu sein (und infolgedessen andere als seine Untertanen und Diensthabende betrachtet), darf ein Normaler ganz klar NEIN sagen.
Ich glaube, der Unterschied besteht darin: mutig für sich selbst einzustehen, mutig Entscheidungen zu treffen und Konsequenzen auszuhalten, zu sich selbst zu stehen, sich als ein Individuum zu fühlen.
Zusammenhalt ja, besser: Selbstzusammenhalt und Zentriertheit, dann ergibt sich der Rest. Dies sollte das Ziel bleiben, wenn es auch für viele Menschen utopisch erscheint. Ich weiß, dass es sinnlos ist, mit psychisch Labilen zu diskutieren, da es bei ihnen an erster Stelle um das eigene Überleben geht. Hier fehlen Ressourcen, die über das Selbst hinausgehen (Selbstlosigkeit) und das muss man ganz klar erkennen und akzeptieren.
Soviel zur „Beschränktheit“ der Normalsterblichen!
Achtung: die Rechtsaussen drehen gerne die Rollen: Gegner werden als „Irre“, „Verrueckte“, psychisch abnormal … bezeichnet und landen dann schnell in entspr. Anstalten.
Lieber Herr Dr. Teuschel, Zu Ihrem Beitrag kann man einfach nichts weiteres sagen, als daß er aus der Sicht des Psychiaters perfekt beschrieben ist. Was mich derzeit nervt, ist der für mich noch laxe Umgang der Politiker mit der AfD. Zwar wird die Partei jetzt verschärft ins Visier genommen. Wo bleibt aber die Reaktion auf Höckes vor ein paar Tagen in der Öffentlichkeit zitierter Satz: ….wird von uns ( AfD) „ausgeschwitzt“… Sind die Politker eigentlich so blöd, daß sie diese Vermulierung als reine Wortspielerei abtun? Ich fasse es nicht, und mir fällte dazu nichts mehr ein. Justina
Gut, der Täter von Hanau war einfach krank, das sehe ich auch so. Jedes Lager versucht wieder, daraus sein eigenes Feindbild zu basteln. Das finde ich ärgerlich.Unglücklich, das die Krankheit nicht richtig erkannt, dadurch unschuldige Menschenleben gekostet hat. Wie kann man das unbeachtet lassen, wenn ein Mensch xxx mails an sensible Stellen schickt mit Verfolgungstheorien?? Und sogar Experten haben den Menschen als ungefährlich eingeschätzt. Aber da sieht man einfach auch, dass richtige treffende Beurteilungen oft sehr schwer sind!
Was Xavier Naidoo anbelangt, zum Kopfschütteln, was soll man da wirklich glauben: womöglich verunglückte Eigen-Werbegags, die aber keine sind? Wie doof ist sonst jemand, so etwas zu dem Zeitpunkt zu veranstalten.
Hallo Herr Dr. Teuschel: mich würde schon ihre Meinung zu den Corona-Maßnahmen und damit verbundenen Auswirkungen,speziell den Verhaltensweisen von panikartigen Bundesbürgern,die Regale leerhamstern und vollkommen unsozial reagieren , interessieren. Und die Meldung, Trump wolle für sein Land eine Firma, die Impfstoffe gegen Corona entwickelt, aufkaufen, grenzt ja fast an Satire, ein intelligenter Bürger steht fassungslos vor solchen Meldungen.
Ich finde, dass manchmal die „prolligen Begriffe“ etwas ohne Schnörkel inhaltlich besser/stärker auf den Punkt bringen – es ist nicht so „weichgespült“. Und ich verwende selbst privat durchaus entsprechende Begriffe wie „bescheuert“, „hat einen an der Klatsche“, „durchgedreht“, „verrückt“, „Idiot“ usw..
Allerdings beziehen sich diese Titulierungen nicht auf Menschen mit psychischen Erkrankungen generell. Für mich sind z.B. Depressive nicht zwingend identisch mit dem Personenkreis, den ich meine, wenn ich darüber rede, dass jemand einen an der Klatsche hat. So wie ich das gebrauche, ist von meiner Seite aus mit diesen prolligen Titulierungen keine Wertung verknüpft, ob derjenige eine (offizielle) psychische Erkrankung hat. Das kann ich nicht beurteilen und darum geht es mir persönlich auch nicht mit der Feststellung, dass jemand z.B. „spinnt“.
Es ist mehr eine persönliche subjektive Wertung/Meinung über denjenigen; keine ärztliche Diagnose oder Meinung über bestimmte psychische Krankheitsbilder.
Klar, ich glaube, jeder benutzt mal so Wörter wie „bescheuert“, aber das Entscheidende daran haben Sie ja schon erwähnt: Das ist dann nicht im Zusammenhang mit psychisch Kranken. Die Aussage von Beisenherz bezog sich aber eben genau auf einen bestimmten Menschen, der wohl an einer Psychose erkrankt war. Und da sollte man mit der Sprache sehr aufpassen.