Über die Jahre hinweg hat es immer „Modediagnosen“ gegeben. Gerade in meinem Fach, der Psychiatrie, neigen manche Patienten dazu, sich selbst in bestimmte Schubladen einzusortieren.
Denke ich so zurück, so fällt mir als erstes „Borderline“ ein. Das war vor etwa 20 Jahren, als immer mehr Patientinnen (denn es waren fast ausschließlich Frauen) in die Praxis kamen, die sich selbst diese Diagnose gestellt hatten. „Ich bin B“ sagte eine augenzwinkernd zu mir. Auf mein Nachfragen war sie fast verwundert, dass ich „B sein“ nicht mit Borderline assoziiert habe.
Dann das über die Jahre unverwüstliche AD(H)S. Auch waren es interessanterweise meist Frauen, die sicher waren, „ADS-ler“ zu sein. Das Hyperaktive brauchte dabei fast keine. Männer kamen gelegentlich mit der Frage, ob diese Diagnose vielleicht bei Ihnen vorliegen könne, aber die überzeugten Selbstdiagnostizierer waren Frauen. Die Neigung, sich selbst mit dieser Diagnose zu versehen, kontrastiert mit der meist heftigen Abneigung, selbige für die eigenen Kinder zu akzeptieren.
Natürlich muss hier auch „Burnout“ erwähnt werden. Diese Selbstdiagnose hält sich absolut stabil und ist mittlerweile in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Das mag zum einen daran liegen, dass es ein akzeptierter Euphemismus für „Depression“ ist. Zum anderen hat sich über die Jahre hinweg eine profitable pseudomedizinische Richtung etabliert, die mit allerlei „Kuren“ Mineralstoffe „ausgleicht“, „Übersäuerungen“ entfernt oder andere kostenspielige Tricks anwendet, um den „Ausgebrannten“ zu schröpfen. An dieser Beutelschneiderei sind leider häufig auch Ärzte beteiligt.
Dann gab (und gibt) es eine Asperger-Welle. Meist trifft diese Diagnose aber nicht den Patienten selbst, sondern Ehepartner, Kinder, Chefs und andere Menschen aus dem persönlichen Umfeld. Diese Eigenart teilt sich der Asperger übrigens mit dem Narzissmus, der selbstverständlich immer beim anderen gesehen wird.
Und in letzter Zeit sind es die Hypersensiblen. Ein Artikel auf SPON war denn auch der Anlass für diesen Beitrag.
Was ist den „Modediagnosen“ auf Patientenseite gemeinsam?
- Die Diagnose gibt sich der Patient selbst
- Es existieren „Tests“ und „Hilfeseiten“ im Interent, in denen sich die Patienten wiedererkennen.
- Es sprießt erste Literatur zu diesem Thema aus dem Boden
- Mit der Selbstdignose ist eine Art von Aufwertung im Sinne von „Ich bin anders und das ist auch gut so“ verbunden
- Meist verknüpft sich mit der Diagnose ein Appell bzw. eine Forderung an die Umwelt, auf die durch die „Andersartigkeit“ bedingten Besonderheiten Rücksicht nehmen zu sollen
- Stellt man die Diagnose oder die erwähnten Forderungen in Abrede, ist die Reaktion meist eine sehr gekränkte.
Um es ganz klar zu sagen: Ja, es gibt Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung, mit AD(H)S, mit Asperger. Die „Ausgebrannten“ entsprechen meist dem Vollbild einer Depression. Ich kenne und behandle etliche Menschen, die an diesen Störungen leiden.
Aber sich seine Einmaligkeit durch die Einsortierung in eine psychiatrische Kategorie zu sichern, ist nicht Sinn und Zweck einer Diagnosestellung. Und wie in anderen medizinischen Disziplinen auch, wird man die Beschwerden und Symptome der Patienten ernst nehmen, die Stellung der Diagnose aber sollte durch den Arzt erfolgen. Der hat das nämlich studiert und in vielen Jahren klinischer Praxis ziemlich gut gelernt.
Bleiben noch die Hypersensiblen. Ich denke nicht, dass sich hieraus eines Tages ein abgrenzbares Krankheitsbild konstituieren lässt. Und wenn doch, so sollte man bis dahin warten, bis man hier von einer eigenständigen „Störung“ spricht.
Zuletzt noch: Ich war schon immer der Meinung, dass jeder Mensch etwas einzigartiges ist und meine jahrzehntelange intensive Tätigkeit mit sehr vielen verschiedenen Frauen und Männern hat mich in dieser Einstellung noch einmal deutlich bestärkt. Aber sich selbst eine Diagnose zu verpassen ist kein Weg, der in die richtige Richtung führt.
Peter Teuschel
Bild © Peter Teuschel
Lieber Herr Dr. Teuschel!
Sollte ich es noch nie erwähnt haben, ich liebe, wie Sie Probleme in verständlicher Sprache auf den Punkt bringen – stets mit dem gebührenden Ernst, oft auch mit angebrachtem Schmunzeln. Solche Mode-/Selbstvergabediagnosen sind meines Erachtens eine perfide, versteckte Art der stigmatisierenden Herabwürdigung psychiatrisch erkrankter Menschen und ihrer alltäglichen Probleme und Harausforderungen!
Vielen Dank für Ihr Engagement in beiden Blogs.
LG Sophie 🙂
Danke für die Blumen! 🙂
Von Herzen gern!
Wurde nicht vor immer als „Faustregel“ gehandelt, dass kein „wirklicher“ Borderliner sich selbst diese Diagnose stellen, sondern sie entrüstet von sich weisen würde? Was für ein Kontrast zu denjenigen, die als Voraussetzung für Therapien erst mühsam zu einer Krankheitseinsicht gebracht werden müssen…
Diese Ansi ht finde ich aber auch ganz furchtbar, da sie mich betrifft. Mir wurde mal die Diagnose Borderliner zugeschrieben (Mittlerweile zum Glück nicht mehr!) und als ich meinte, ich könne mich mit den einzelnen Diagnosepunkten nicht identifizieren bzw. mich nicht darin wiederfinden, bekam ich als Antwort serviert: „Ja, nur wenn sie das bei sich auch selbst nicht erkennen, passt es auch tatsächlich.“ Das klang für mich damals so paradox!
Ich begreife es bis heute nicht, wie so viele scharf darauf sind, ADHS oder „Burnout“ zu haben, von Borderline ganz zu schweigen.
Würde man das Burnout beim Namen nennen, Erschöpfungs-depression, klingt die Diagnose vielleicht schon nicht mehr ganz so attraktiv. Denn depressiv will keiner sein, obwohl diese Diagnose doch sicher auf deutlich mehr Personen zutrifft als die anderen.
Insbesondere jetzt, wo eine Trauerzeit von mehr als zwei Wochen (richtig?) schon zum Krankheitsbild wird. *kopfschüttel*
Ebensowenig kann ich nachvollziehen, warum so viele darauf drängen, hochbegabt oder hochsensibel zu sein (oder ihre Kinder da ‚einsortiert‘ sehen wollen). Gerade letztere halten sich ja für etwas ganz Besonderes.
Dabei scheinen viele (nicht alle) von ihnen einfach nur ein Alleinstellungsmerkmal (hahaha) zu suchen. Und dass Menschen mit ADHS, B ;-), Depressionen und viele andere auch sensibel, empathisch und empfindlich sein könnten, es aber vielleicht nicht mit so hoch erhobener Nase leicht verschnupft präsentieren wie sie selbst, die sich damit schmücken, geht nicht in die so empfindsamen Köpfe.
Hm, ich wünsche niemandem eine psychiatrische Diagnose!
Aber, wer’s braucht…..
Na ja, Selbstdiagnostiker haben in aller Regel die Neigung, sich intensiv mit sich selber zu beschäftigen, was schon an eine ICD-Nummer in der Rubrik „Persönlichkeitsstörungen“ denken läßt nach dem Motto „Her mit dem Spiegel“ …
Ich musste ziemlich lachen, als ich diesen Beitrag gelesen habe. Da ich eine Hashimoto Thyreoiditis habe, ist es fuer mich nicht ungewoehnlich von Aerzten in eine der oben genannten Psychokaesten gesteckt zu werden. Sie finden meist, dass ich da recht gut reinpasse. Waehrend meine Schildruese kaputt geht bin ich mal hypo (passt mit Depression und so) und mal hyper (passt mit ADHD und Angststoerung), und ich wehre mich mit Haenden und Fuessen in irgendeinen dieser Kaesten zu gehen. Dass es Leute gibt, die sich freiwillig und ohne ueber Los (sprich Facharzt) zu gehen, direkt dahin begeben, finde ich witzig. Nein, das ist vielleicht nicht das richtig Wort. Ich finde es befremdend in einer amuesanten Weise.
Schillernd auch ohne Diagnose – ganz genau! Der Schuss geht sowieso meist nach hinten los.
„Echte“ Leistung statt „negativem“ Erfolg wäre eine Gegenstrategie.
Wenn man beim Autogenen Training hyperventiliert, soll
man denken „Mein Atem ist mir völlig egal“, das hilft – auch bei Herzneurose „Mein Herzschlag ist mir völlig egal“. Körpervertrauen fehlt hier oft.
Die Tendenz zur Selbstdiagnose oder Selbstpathologisierung wird ziemlich schamlos von diversen Geschäftemachern ausgenutzt. Es ist ja eine bewährte Verkaufsstrategie: Erst Bedürftigkeit (Katastrophe) erzeugen, dann das „richtige“ Produkt oder Heilmittel verkaufen. Leider pervers.
Selbstpathologisierung, die zur Selbstdiagnose führt, kann auch eine scheinbare Unterwerfungsgeste sein: Ich bin schwach und harmlos und hilfsbedürftig. Es ist Autoaggression (sich klein machen), die sich nicht nach außen entladen kann. Sie zeigt sich jedoch dann, wenn die Diagnose bestätigt wird. Wie kann der Arzt es wagen…! Jetzt erwachen die Lebensgeister.
Sicherlich schwingt die Angst oder Unsicherheit mit, wirklich krank zu sein, mehr aber der Wunsch vom Arzt Entwarnung zu bekommen oder die „Erlaubnis“ gesund zu sein. – denke ich. Es könnte das unbewusste Denkmuster dahinterstehen: Ich darf nicht stark und gesund sein! (weil ich sonst möglicherweise als Bedrohung wahrgenommen werde).
https://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=71817
Ich denke auch, dass es heute viele Menschen gibt, die sich im Vorfeld über Diagnosen informieren, es gibt schon viel Literatur zu diesen Themen.
Vielleicht sind Menschen die sich in eine Therapie begeben darum bemüht, nicht ganz unvorbereitet
und vollkommen unwissend zu erscheinen. Eine Diagnose kann sehr niederschmetternd oder beängstigend für einen Patienten sein, ist er also besser informiert, kann er das Gefühl der Hilflosigkeit besser kompensieren und damit auch die Gefahr einer schockartigen Beschämung. Das wäre angesichts solcher Gefühle auch verständlich. Für Sie als Therapeut ist das nicht einfach und ich glaube, dass kann auch ein Grund dafür sein, dass Sie als Arzt erleben, dass die Rollen hier vertauscht oder Sie zu einer Bestätigung gedrängt werden sollen.
Da ich keine Ärztin bin und anderweitig auf solche Themen stoße, habe ich einen etwas anderen Eindruck bekommen: Leute, die sich selbst eine Schublade gesucht haben, wirken auf mich nicht unbedingt so, als wollten sie sich damit ihre Besonderheit sichern. Einige wollen ihre Probleme irgendwo einordnen, sich verstanden fühlen, vielleicht wollen manche eher aus der Einmaligkeit raus. Im Internet suchen sie nach anderen, die in dieselbe Schublade passen und das betreffende Thema ähnlich erleben. Das erinnert eigentlich an klassische Selbsthilfe-Motive, und Selbsthilfe beginnt ja auch nicht zwingend mit einer Diagnose, sondern mit einem Problem. Und manche populäre Schublade wie die Hochsensiblität hat sowieso nicht den Anspruch, eine Diagnose zu sein.
Einen gewagten Selbsttest gibt es übrigens auch zur Depression:
https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/selbsttest
Mir erscheint der Test zu suggestiv und zu allgemein. Ein Bekannter meinte zu den Fragen prompt, dass sowas doch fast jeder kennt.
Außerdem hatte ich vor Jahren eine längere E-Mail-Diskussion mit der verantwortlichen Institution. Ich wollte erreichen, dass der Test im Netz und in den Flyern um den Hinweis ergänzt wird, dass manche der erwähnten Symptome auch von der Schilddrüse kommen können, oder allgemeiner gesagt, körperliche Ursachen haben könnten.
Die Sicht der Verantwortlichen: Das sei nicht nötig, die Schilddrüse werde ja bei einer Depression beim Hausarzt geprüft. Wieso man sich bei der Schilddrüse komplett auf die Kompetenz des Hausarztes verlassen soll, dagegen bei der Depression eine breite Aufklärung mitsamt Selbsttest unverzichtbar sein soll – das konnte man mir nicht schlüssig beantworten. Kein Wunder, sowohl von der Schilddrüse als auch von der Depression sollte ein Hausarzt eine gewisse Ahnung haben, beide Themen werden nicht immer ausreichend bedacht, und für beide Themen gibt es Fachärzte, die sich die Sache genauer ansehen könnten.
Sachlich begründet ist das nicht, die Leute ohne Blick nach links und rechts in Richtung Depression zu schicken. Es ist halt eine Kampagne, die viel Geld zur Verfügung hat und das irgendwie ausgeben muss.
Danke für Ihren tollen Kommentar, das ist eine wirklich sehr treffende und gut beschriebene Beobachtung, der ich nur zustimmen kann.
Ich denke auch das Sie Recht damit haben wenn Sie schreiben, das einige ihre Probleme irgendwo einordnen, sich verstanden fühlen und vielleicht auch eher aus der Einmaligkeit raus wollen. Wenn sie im Internet nach anderen suchen, die in die selbe Schublade passen und das betreffende Thema ähnlich erleben, dann kann das für diese Menschen auch wirklich eine große Erleichterung sein.
Ich möchte Ihrem interessanten Beitrag eine weitere Verwendung des Begriffes „Modediagnose“ hinzufügen. Gerade im Bereich Autismus kommt es (leider) häufig vor, dass fachärztlich gestellte Diagnosen beim kleinsten Entwicklungsfortschritt eines autistischen Kindes (und mitunter auch Erwachsenen) von Lehrern, Erziehern, Schulbegleitern, aber auch Psychologen, Psychiatern infrage gestellt werden. In diesen Fällen lautet die einfache Begründung oft, dass Autismus halt eine Modediagnose sei, und daraus wird geschlussfolgert, dass die vorliegende Diagnose falsch sein müsse. Für Eltern und Menschen mit Autismus, die tagtäglich mit diversen Schwierigkeiten, Behörden, nicht wohlwollendem Umfeld … zu kämpfen haben, fühlt sich dies wie ein Schlag mitten ins Gesicht an.
Es tut mir wirklich leid, dass Sie solche schlechten Erfahrungen machen mussten und sich stigmatisiert und bei Fachleuten nicht ernst genommen fühlen.
Autismus ist sicherlich keine Modediagnose, sondern eine schwere seit Jahrzehnten anerkannte psychische Störung.
Jeder Autist ist in seinem Verhalten und Gefühlen, seinen Reaktionen auf äußere und innere Reize unterschiedlich, wie wir Menschen glücklicherweise im Allgemeinen.
Der kleinste Fortschritt sollte nicht dazu führen, dass Sie sich von wem auch immer entmutigen und in Frage stellen lassen sollten, ganz im Gegenteil – FEIERN SIE DIESEN selbst wenn niemand teilhaben möchte!!! Sie sehen die Fortschritte ganz ungefiltert.
Ich durfte teilhaben an so einem für mich scheinbar kleinem Fortschritt bei einer 28jährigen Autistin.
Und, obwohl ich ganz entsetzt war, etwas aus Unachtsamkeit Falsches getan zu haben, war sie mir später sehr dankbar dafür, weil sie es zum ersten Mal in Ihrem Leben nicht aversiv, sondern uneingeschränkt positiv erfahren und annehmen konnte.
Wir haben uns darauf geeinigt, dass Sie Ihre Grenze nie wieder überschreite, Sie mich jedoch jederzeit darum bitte könnte, wenn Sie das Gefühl hätte, es täte ihr in diesem Augenblick gut.
Es war eine herzliche Umarmung mit den Worten: „Ich habe Dich lieb.“
Für mich ein Wunder, was mir jedes Mal Tränen der Rührung und der Bewunderung in die Augen treibt.
Ich wünsche Ihnen von Herzen viel Kraft.
Den Begriff „Modediagnose“ mag ich so gar nicht. Es ist doch nur natürlich, dass nach dem Bekannt(er)werden einer Krankheit vermehrt Diagnosen gestellt werden, vor allem auch bei denen, die bereits Erwachsene sind. Als sie Kinder waren gab es ja kaum die Möglichkeit zu einer derartigen Diagnose. Selbst wenn es sie gegeben hätte wären die meisten Eltern vermutlich nicht mit den Kindern zum Psychiater gegangen, so etwas war zu der Zeit ja noch ein größerer Makel.
Was die vermehrten Selbstdiagnosen angeht – je älter jemand wird, umso mehr hat er gelernt, nach außen normal zu erscheinen und nicht aufzufallen. Aber mit steigendem Alter wird es auch vermehrt anstrengender, so dass dann doch die Hilfe eines Arztes/zu einer Diagnose gesucht wird – damit eben ein wenig mehr Rücksicht eingefordert werden kann.
Mir ist zwar klar, wie der Artikel gemeint ist und insofern stimme ich ihm zu, aber bei mir haben sich meine Vermutungen aka „Selbstdiagnosen“ gesundheitlich leider letztlich bestätigt. Das waren Erkrankungen, die durchaus als Modeerkrankungen gelten. Nämlich Schilddrüsenfehlfunktion (bedingt durch Hashimoto), Histaminintoleranz und als Jugendliche Magersucht, evtl. auch Depressionen, aber letzteres kann ich nicht genau sagen, weil das auch viel mit der Schilddrüse zu tun gehabt hat und hat bei mir.
Ich finde aber nicht, dass das etwas Erstrebenswertes ist, Erkrankungen zu haben. Mir wäre es lieber gewesen, sie hätten nicht zugetroffen. Wobei ich es bei Ärzten aus verschiedenen Gründen nicht sinnvoll fände, ins Behandlungszimmer reinzustiefeln und dem Arzt mitzuteilen:“Ich habe folgende Erkrankung/Ich denke ich leide an einer Essstörung etc. …. Quelle: Eigene „Expertise““.
Der ein oder andere Arzt fühlt sich dadurch schlechtestenfalls angegriffen und degradiert in seiner Kompetenz und wird einem erstmal versuchen, das Gegenteil zu beweisen, nämlich dass die Selbstdiagnose auf keinen Fall zutrifft und völlig abwegig ist.^^
Sehr geehrter Herr Teuschel,
Internet rettet Leben. Ich hatte schon sehr viele Diagnosen, von Bipolarität bis zur dissoziativen Identitätsstörung, und nein, die habe ich mir nicht selbst gegeben, ich habe immer empfunden, dass sie nicht passen. Dennoch habe ich mich Psychiatrie und Medikation unterworfen und unter anderem 50 Kilo an Gewicht zugenommen. Mehr aber auch nicht. Die Probleme, die ich hatte, wurden schlimmer. Über die von ihnen monierte Hochsensibilität ( ja, da passt schon einiges) kam ich zu Asperger und bin selbst zum Psychiater und habe mit guten Argumenten eine Diagnostik angestoßen. 8 Monate später steht es fest: Ich bin Asperger- Autistin .
ich finde es nicht super, aber okay. Es entspricht meiner Rationalität, eine Erklärung für meine Schwierigkeiten zu haben. Das ist keinesfalls eine Ausrede für unsoziales Verhalten, ich habe mich früher schon sehr angestrengt, sozial kompatibel zu sein und das tu ich immer noch. Nur ein Scheitern darin stürzt mich nun nicht mehr in Krisen.
Kann mich da Lisa und einigen Anderen in den Kommentaren nur anschließen und möchte Folgendes hinzufügen:
Menschen, die sich selbst diagnostizieren, haben sich zum Teil auch selbst gefunden; oft nach einer sehr langen Zeit der totalen Isolation. In sofern ist ein B oder ein N oder ein Aspie dem Psychiater oder Psychologen in Folgendem voraus : Er hat sich bereits auf den Weg gemacht, etwas an „seinem Leiden“, abgehend von einem verletzten Ich-Anteil, mag man ihn als egozentrisch oder schlimmer gar narzisstisch aburteilen, zu verändern UND sich dabei zu Vertrauen durchzuringen, das aber durch traumatische Erfahrungen fast vollkommen zerstört wurde. Nun trifft der/die Mitteilende auf den Psychiater, der statt dies selbst zu tun, sich darauf spezialisiert hat andere Menschen zu „diagnostizieren“, was nichts Anderes heißt, als dass er seinen eigenen verletzten Anteil auf den/die Klient*in projeziert und sich in dieser Blase ebenso „narzisstisch“ auslebt, in dem er Persönlichkeitsanteile vom Rest des Menschen trennt und pathologisch hervorhebt, was für die/den Klient*in verheerende Folgen hat, ihn jedoch in seinem weiteren Lebenslauf völlig unberührt lässt. So gesehen trifft die Diagnose in dem Moment schon kaum mehr auf die/den Hilfesuchende*n zu, da er/sie sich aus der egozentrischen Blase zu lösen beginnt, wird aber zurück hineingeschleudert, durch das Erleben, dass mit dem aufgebrachten Vertrauen erneut Schindluder betrieben wird. Eine Psychiater*in hat sich darauf spezialisiert den Menschen nur im Pathos zu betrachten und sein Werkzeug ist Beurteilung. Er/sie verfolgt damit professionalisiert genau die Verhaltensform, die „psychisch Kranken“ aberzogen werden soll. Traumawissen existiert in diesem Feld kaum und wenn dann nicht so weitgehend, dass es auch zur Traumalösung führt. Die/der Klient*in wird einem System zugeführt, dass Krankenkassen durch wirkungsarme Behandlungsmethodenschröpft und Traumaerfahrene zu Drehtürpatient*inn*en degradiert. Sich dann hinzustellen und sich über „zu viele Autismusdiagnosen“ oder Selbstdiagnosen zu beschweren, die verletzten Menschen also auch noch dafür zu bestrafen, ist in meinen Augen der pure Zynismus und hier der wahre Hinweis auf eine Persönlichkeitsstörung. Was genau motiviert denn eine solche Berufswahl? Ist es nicht „Ich kann reparieren.“ oder zumindest „Ich kann dir helfen.“ ? „Du kommst und bittest mich um Hilfe, ich wende Gelerntes auf dich an, statt dem Menschen der du bist, auf Augenhöhe zu begegnen.“ ? „Ich muss diagnostizieren, denn das ist mein Beruf.“ „Ich helfe dir nicht in eine Traumatherapie, denn meine Aufgabe ist es nur, dich möglichst sanft auf deine Fehler hinzuweisen. Was du daraus machst, ist deine Verantwortung.“
Lieber Herr Teuschel, Sie schreiben in einem Artikel, eine Anpassungsstörung sei die dümmste psychiatrische Diagnose, weil Sie sie erst verständlich machen müssen. Das trifft auf alle psychiatrischen Diagnosen zu. Diagnosen sind nichts Anderes, als Retraumatisierung durch eine weitere „elterliche Instanz“, die ihr Machtgefälle nicht achtet. Das ist meine Erfahrung. Wenn Jemand also eine Diagnose für sich selbst verwendet, um damit einen Kreislauf zu erforschen und irgendwie weiterzukommen, sei es erstmal durch Verantwortungsübertragung, dann ist das meiner Meinung nach viel lösungsorientierter, als eine psychiatrische Diagnose. Nur weil es nicht der Rahmen-, Form-, oder Zeitvorstellung des Professionellen entspricht, heißt das nicht, dass dieser Weg nicht valide ist. Denn genau darum geht es bei der Ursache von Entwicklungstrauma. Der Mensch wurde in den Rahmen einer Fremdvorstellung gepresst und mit Introjekten behaftet.
Ich habe einen malignen Narzissten erlebt. Zwei Psychologen haben es nicht erkannt, sodass mir mit dem Ausstieg nicht geholfen wurden. Erst als ich ein Buch dazu selbst entdeckt habe-habe ich die Lage erkannt, erst dann könnte ich aussteigen und heilen. Später wurde es auch vom Psychiater bestätigt, dass ich den Fall korrekt eingeschätzt habe. Also nicht jeder Fachmann ist wirklich kompetent. Mal so-mal so.