Ein Leben im virtuellen Raum
Dass mit dem Jugendlichen, der Tag und Nacht vor dem PC zubringt, blass, mit fettigen Haaren und Ringen unter den Augen, Ego-Shooter oder World of Warcraft zockend und das Sonnenlicht meidend wie den Kontakt mit echten Menschen aus Fleisch und Blut, dass mit diesem ausschließlich online lebenden Geschöpf nicht alles in Ordnung sein kann, war uns ja allen klar.
Die Zunahme von Internet- und Spielsucht ist inzwischen gut belegt und spielt auch in der Praxis eine immer größere Rolle.
Die logische Folge ist die Entwicklung von Therapiemodulen mit ambulanten und stationären Behandlungskonzepten.
Was aber ist das Ziel der Behandlung?
Völlige Abstinenz wie beim alkoholkranken Patienten?
[Diesbezüglich ist man sich ja momentan auch nicht mehr so sicher, da Behandlungen von Alkoholikern mit diesem Ziel keine erfreulichen Erfolgsstatistiken haben.]
Ist das heute überhaupt vorstellbar? Ein Leben fernab von Windows oder Mac OS? Maus und Tastatur nur noch zum Briefe Schreiben in Word, nicht mehr zum Surfen, Bloggen, Posten, Monster Killen?
Eine überraschende Erkenntnis
Eine Schweizer Studie aus 2011 untersuchte das Internet-Verhalten von mehr als 7000 Jugendlichen zwischen 16 und 20 Jahren.
Es wurden vier Gruppen gebildet: Die erste Gruppe waren die „Heavy Internet User“ (HIU), die täglich mehr als zwei Stunden online waren. Gruppe zwei wurde „Regular Internet User“ (RIU) genannt. Diese gingen an einigen Tagen in der Woche ins Netz, aber nicht mehr als zwei Stunden. Dann kamen die „Occasional Internet User“ (OIU) mit einer Online-Präsenz von maximal einer Stunde pro Woche und schließlich die „Non Internet User“ (NIU), die sich in den letzten Monaten vor Beginn der Untersuchung überhaupt nicht im Internet aufgehalten haben.
Wie nicht anders zu erwarten, hatten die HIU ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Depressionen, die männlichen darüberhinaus für Übergewicht, während bei den weiblichen besonders der Schlafmangel auffällig war.
Der Clou der Studie aber ist, dass auch die Jugendlichen, die nur wenig (OIU) oder gar nicht (NIU) im Internet unterwegs waren, im Vergleich zum „Regular Internet User“ erhöhte Depressions-Werte aufwiesen! Erstaunlich auch, dass bei den männlichen Internet-Abstinenzlern gehäuft Rückenschmerzen auftraten.
Die Autoren der Studie empfehlen deshalb, nicht nur Jugendliche mit sehr hoher Internet-Präsenz als gefährdet für gesundheitliche Störungen anzusehen.
Absolute Online-Abstinenz oder eine sehr geringe Nutzung des Internets scheinen gesundheitlich nicht weniger bedenklich.
Insofern wird ein realistisches Ziel bei Internet-Abängigkeit wohl eine kontrollierte Nutzung von Online-Angeboten sein.
Peter Teuschel
Der sozioökonomische Status und chronische Krankheiten wurden übrigens berücksichtigt, und die AutorInnen geben offen zu, dass die aufgestellten Korrelationen keine Kausalität belegen. Die aufgestellte Vermutung erscheint mir aber wenig schlüssig: Ausgehend von der Beobachtung, dass Jugendliche im Internet vor allem mit ihren FreundInnen kommunizieren, wird davon ausgegangen, dass depressive Jugendliche deshalb nicht ins Internet gehen, um ihre (nicht vorhandenen?) FreundInnen dort nicht zu sehen. Nachdem das Internet keine Saftbar ist, wo man zwangsläufig Menschen sieht, wirkt das sehr weit hergeholt.