Vor ein paar Tagen: Aufgeregter Anruf des Ehemannes einer Patientin: Sie wäre wieder manisch, würde viel Geld ausgeben. Sie hätte doch morgen einen Termin bei mir (nach einer längeren Pause).
Ich solle doch bitte bescheinigen, dass die Ehefrau geschäftsunfähig sei.
Der Ehemann sei schon beim Hausarzt gewesen. Der habe ihm nicht helfen können, aber gemeint, dass „der Psychiater das mit einem Attest bestätigen kann“.
Die Geschäftsunfähigkeit ist in §104 BGB geregelt:
Geschäftsunfähig ist
1. wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat
2. wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist.
Also sollte ich nach dem Willen des Ehemannes und nach dem Vorschlag des Hausarztes mal eben schnell meiner Patientin attestieren, dass sie rechtlich einem unter sieben Jahren altem Kind gleichgestellt ist und ihr krankhafter Zustand nicht vorübergehend ist.
Dass die Partnerschaft mit einer manischen Patientin nicht leicht bzw. äußerst belastend sein kann, steht außer Frage. Sollte die Patientin aufgrund ihrer psychischen Störung ihre Vermögensgeschäfte nicht mehr regeln können, so käme die Anregung einer Betreuung beim zuständigen Amtsgericht in Frage.
Diese Information haben wir auch dem Ehemann gegeben und ihm gesagt, dass für die Feststellung der Geschäftsunfähigkeit ein psychiatrisches Gutachten erforderlich ist.
Mich ärgert nicht so sehr das Ansinnen des überforderten Ehemannes, sondern viel mehr die Nonchalance des Hausarztes. Sie kennzeichnet den Blick auf das Fachgebiet Psychiatrie, den viele Kollegen haben:
– Psychiater sind ihnen irgendwie unheimlich
– Die Psychiatrie als Facharztdisziplin wird nicht so recht ernst genommen
– Der Psychiater soll ran, wenn irgendjemand „spinnt“ oder „komisch ist“, dann aber möglichst ganz schnell
– Psychiater sollen und können jeden mal eben schnell entmündigen, für geschäftsunfähig erklären oder zwangseinweisen.
Ansonsten schimpft man über Psychiater, wenn sie
– jemanden in der Forensik festhalten (natürlich nur aus irgendwelchen sadistischen Trieben heraus …)
– oder wenn sie jemanden aus der Forensik entlassen (und der dann eine erneute Straftat begeht …).
Ich kenne viele sehr kompetente und vor mir außerordentlich geschätzte Allgemein- und Fachärzte, mit denen ich seit Jahren bestens zusammenarbeite. Aber manche anderen würde ich am liebsten zurück ins Studium schicken. Da müssten sie dann so lange den Psychiatrie-Schein (den sie alle mal gemacht haben!) wiederholen, bis sie ein realistisches Abbild des Faches Psychiatrie in ihren Gehirnwindungen haben.
Von medizinischen Kollegen, die das Gleiche studiert haben wie ich, verlange ich einen anderen Standpunkt zur Psychiatrie als den bierschaumgesättigter Stammtischrunden.
Peter Teuschel
P.S. Das Gespräch mit der Patientin verlief übrigens problemlos. Sie verließ geschäftsfähig, mit einem Rezept und einem erneuten Termin meine Praxis.
Hm.. offenbar kennen Sie diesen Hausarzt mit der Empfehlung an den Gatten schon länger? 😉
Heute durch Ihr Schreiben merke ich, dass nicht nur psychische Erkrankte stigmatisiert werden, sondern offenbar auch die Ärzte derselben. Es wird immer besser 🙁
Ehrlich gesagt, ich kann das Ansinnen des Gatten nachvollziehen, ich kenne einen „Fall“, wo die Ehefrau zum Hofer/Aldi in der manischen Phase einkaufen ging, und mit einem Neuwagen zurückkam, den sie natürlich nicht bezahlen konnte. Aber Vertrag war fixiert und unterschrieben, und rechtsgültig.
Das ein Hausarzt informiert, dass eine Geschäftsunfähigkeit nur seitens des Psychiaters „diagnostiziert“ gehört, ist grundsätzlich ja richtig. Wie und wohin soll sich der Ehemann wenden, wenn er in Sorge ist, dass durch das Verhalten der Frau möglicherweise die Existenz beeinträchtigt wird?
Ich darf sagen, ich bin froh, dass ich das Problem nicht habe *sfg*.
Vlt. gibt es so etwas wie eine Teilsachwalterschaft für Finanzen AB EINER GEWISSEN HÖHE?
Sodass Geschäftsfähigkeit weiterhin erhalten bleibt, jedoch ab gewissen Beträgen eine zweite Unterschrift notwendig ist?
Herzliche Grüße, Eva
„Wie und wohin soll sich der Ehemann wenden?“: Am besten an den Psychiater, der ihm dann erklärt, dass es hier nicht um das Thema Geschäftsfähigkeit geht, sondern evtl. um die Anregung einer Betreuung.
Der Hausarzt (den ich im Übrigen nicht kenne) stiftet mit seiner (falschen) Aussage nur Verwirrung und weckt falsche Hoffnungen. Stellt man das dann klar, kommt noch ein bis zwei Mal das Argument „Aber mein Hausarzt hat doch gesagt …“. Das ist unnötig und lästig und absolut vermeidbar.
Eine Fremdanamnese ist immer eine wichtige Information, aber die Vorstellungen, was der Psychiater schnell mal regeln soll, sind oft abenteuerlich. Vor allem, dass es da gesetzliche Regelungen gibt, löst oft großes Erstaunen aus.
Sehr geehrter Herr Teuschel,
genau so erlebe ich es auch. Bis letztes Jahr habe ich an der Uni unser Fach unterrichtet. Ca eine/r von 5 Studierenden war allenfalls interessiert, die übrigen waren offenbar der Meinung, dieses Fach wäre für sie als zukünftige Lebensretter und Helden (Vorbilder aus emergency room und Dr. House) völlig irrelevant.
Seit 1 Jahr bin ich ambulant tätig und bedanke mich für ihren heutigen Beitrag, denn genauso erlebe ich es auch ( und war schon ganz irritiert…). Nicht nur, dass Überweisungen wahlweise mit Neurologe/ Nervenarzt/ Psychologe/Psychiater oder Psychotherapie ausgefüllt werden, sondern eben auch manche Hausärzte in vermeintlicher eigener Kompetenz Antidepressiva oder andere Psychopharmaka beginnen (gern das von Pharmavertretern aktuell beworbene) und erst dann schicken, wenn der Patient „schwierig“ wird.
Vor einiger Zeit habe ich übrigens eine Anfrage erhalten, zu bestätigen, dass der hauseigene Hund bei Depressionen hilft, denn damit galt es, sich von der Stadt von der Hundesteuer befreien zu lassen.
Mit herzlichen Grüßen,
eine Kollegin
Haha! Ja, das mit den Überweisungsscheinen haben wir auch. Wobei diejenigen Patienten, die „Psychotherapie“ drauf stehen hatten, auch gerne mal in der Praxis im Erdgeschoss aufgeschlagen sind. Da stand „Physiotherapie“ an der Türe …
Psychiater können gar keine gerichtliche Betreuung einrichten sondern lediglich – wie übrigens jeder andere, also auch der Hausarzt, Partner, Kinder, Nachbar – eine Betreuungsanregung bei dem zuständigen Betreuungsgericht einreichen. Sie muss lediglich eine Begründung enthalten.
Psychiater werden in den Betreuungsverfahren ggfs. lediglich als Sachverständige bestellt, an die Gutachten ist das Betreuungsgericht jedoch nicht gebunden.
Eine gerichtliche Betreuung kann natürlich auch nur für bestimmte Bereiche eingerichtet werden, gerade im Bereich der Vermögenssorge muss man aber daran denken, dass z.B. die Beantragung von Geldern (z.B. Krankengeld, Arbeitslosengeld) nicht von der Vermögenssorge umfasst wird sondern da oft noch die Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden als Betreuungsbereich mit eingerichtet werden muss.