Ein paar Worte zu Attesten: Der Teufel im Detail

Gerade hat mich die Meldung erreicht, dass erstmals eine Ärztin zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, weil sie falsche „Maskenatteste“ ausgestellt hat.

Die der Reichsbürgerszene zugeordnete Frau hatte nach Ansicht des Gerichts ohne Befunderhebung und Untersuchung in mehr als 300 Fällen attestiert, dass das Tragen einer Gesundheitsmaske aus medizinischen Gründen nicht zumutbar sei.
Dass solche Atteste seit Corona immer wieder ausgestellt werden, ist ein offenes Geheimnis, aber in diesem Fall war das Verhalten der Betreffenden wohl derart uneinsichtig, dass das Gericht in Garmisch-Partenkirchen sie zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilte.

Hier gründete sich die Entscheidung, ein Attest zu erstellen, wohl auf eine ablehnende Haltung den Corona-Maßnahmen gegenüber, also eher auf eine politische denn eine medizinische Überzeugung.

In der Praxis ist das Erstellen von Attesten tatsächlich eine diffizile Angelegenheit. Ärztliche Bescheinigungen werden von Patienten sehr oft benötigt und dementsprechend häufig angefragt. Ich selbst fertige mehrere Atteste pro Woche an und in dem Aktenstapel, der sich zu meiner Linken auf dem Schreibtisch türmt, befinden sich geschätzt zu 40 % Attestwünsche. Der Rest sind Anfragen von Krankenkassen, Versicherungen oder anderen Institutionen, die im Gesundheitsbetrieb eine Rolle spielen. Und dann einige spezielle Fälle, bei denen es um inhaltliche Fragen geht.

Wofür brauchen Patienten Atteste? Es gibt fast keinen Bereich des Lebens, der hier ausgenommen ist. Reise in die Heimat während einer „Krankschreibung“, Erhöhung der „Prozente“ beim Versorgungsamt, Berichte zur Erlangung einer Erwerbsunfähigkeitsrente. Aber auch Befreiung vom Abo im Fitnessstudio, Aufschub einer Zwangsräumung, Herausnahme aus dem Schichtdienst, Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz, all das sind nur Beispiele aus dem nahezu unerschöpflichen Fundus von Attestwünschen.

Wo liegt das Problem?

In der täglichen Arbeit ist die Beziehung zwischen Arzt und Patient davon geprägt, dass ich den Frauen und Männern, die mich konsultieren, helfe. Das ist eine der Grundbedingungen der Medizin. Ich versuche, den Standpunkt meiner Patienten zu verstehen und ihnen auf dieser Grundlage beizustehen. Das heißt nicht, das ich immer der gleichen Meinung bin, aber das Ziel ist doch in vielen Fällen, die Lebensumstände des einzelnen so zu verbessern, dass sich seine Gesundheit stabilisiert.

Beim Ausstellen eines Attestes befindet sich natürlich der selbe Arzt am Schreibtisch wie derjenige, der dem Patienten gegenübersitzt. Und doch ist etwas anders. Eine ärztliche Bescheinigung ist wie ein kleines Gutachten. In der Gutachtenssituation muss der Arzt völlig unabhängig auf die zu entscheidende Fragestellung blicken. Das ist beim Attest nicht der Fall, es ist durchaus in Ordnung, dass ich mit der Bescheinigung versuche, etwas im Sinne der Gesundheit meines Patienten zu bewegen.

Aber ich muss mich doch an ganz bestimmte Kriterien halten.

Am prägnantesten war dies in den letzten Jahren bei Attesten für Asylanten. Die Schicksale, die man als Behandler hört, sind natürlich dazu angetan, Mitleid mit den betreffenden Menschen zu verspüren und sie oder ihn auch schützen zu wollen. Das ist normal und eine gesunde ärztliche Einstellung.
Gleichzeitig lauert hier auch eine große Gefahr, nämlich etwas zu bescheinigen, das ich nicht wissen kann.

Die meisten Asylsuchenden hier in München sind anwaltlich vertreten und oft kommen die Anfragen nach einem Attest von den Rechtsanwälten. Diese haben meist klare Vorstellungen, was im Attest stehen soll, häufig geht es um die Bescheinigung von Suizidalität im Falle einer Ausweisung. Bei schon länger im Land befindlichen Menschen kommt oft die Bitte, man möge ihnen bescheinigen, dass sie aus psychischen Gründen keinen Deutschkurs besuchen können.

Wer hier allzu bereitwillig Atteste mit dem gewünschten Inhalt ausstellt, macht sich oft angreifbar.

Bei jedem Attest, das die Praxis verlässt, sollte sich der ausstellende Arzt immer fragen, ob er das, was er bescheinigt hat, auch belegen kann. Ich war oft genug als sachverständiger Zeuge vor Gericht, um einschätzen zu können, wie konkret Nachfragen zu Attesten formuliert werden. „Können Sie dem Gericht bitte erklären, wie genau Sie zu dieser Einschätzung kommen.“ Wer da nicht fest im medizinischen Sattel sitzt, kommt schnell ins Schlingern.

Es reicht einfach nicht, Bescheinigungen zu erstellen, um dem Patienten zu helfen. Auch persönliche Überzeugungen oder „Hörensagen“ helfen nicht weiter. Die Atteste müssen medizinisch hieb- und stichfest sein. Schließlich hat man als Ärztin oder Arzt eine hochspezialisierte Expertise und um diese geht es bei Attesten. Der Antrieb zur Bescheinigung darf aus menschlicher Anteilnahme kommen, der Inhalt aber muss medizinisch korrekt sein.

Meine Assistenten kennen schon meinen ganz bestimmten Blick, wenn wir Atteste besprechen. „Jetzt kommt wieder der Richter!“ heißt es dann. Und tatsächlich denke ich mir gerne „Richterfragen“ aus, um unsere Kolleginnen und Kollegen auf dem Weg zum psychiatrischen Facharzt zur höchstmöglichen Selbstkritik beim Thema „Attest“ zu motivieren. Dass das wirkt, weiß ich aus eigener Erfahrung, denn die selben Fragen stelle ich auch mir. So ein „innerer Richter“, der unbequeme Fragen stellt, kann sehr hilfreich sein.

Manchmal gerät der Text eines Attestes zur Nebelwolke oder zum trüben Gewässer. In den allermeisten Fällen ist aufsteigender Nebel im Attest ein Anzeichen dafür, dass entweder etwas bescheinigt wird, das der Aussteller nicht ausreichend weiß bzw. beurteilen kann oder dass der gute Wille, helfen zu wollen, die medizinischen Fakten überwiegt.

Solche Atteste mögen gut gemeint sein, aber hier stimmt der alte Spruch, dass „gut gemeint“ das Gegenteil von „gut“ ist. Zum einen sind tendenziöse Atteste meist widerlegbar oder halten einer genauen Nachfrage (vom „Richter“) nicht stand und zum anderen bescheinigen sie zwar dem ausstellenden Arzt den eben erwähnten „guten Willen“, aber gleichzeitig eben auch mangelnde medizinische Ernsthaftigkeit.

Das klingt vielleicht etwas hart, aber die Basis jeder „ärztlichen Bescheinigung“ muss das gute medizinische Gewissen sein, mit dem sie erstellt wurde. Alles andere sind „Gefälligkeitsatteste“ und wo diese hinführen können, sieht man an dem aktuellen Urteil.

Werden Attestwünsche von uns manchmal abgelehnt?
Ja, aber das ist sehr selten.

Seit Corona ist es etwas häufiger vorgekommen, dass wir Atteste nicht erstellt haben, seien es „Maskenatteste“ oder Atteste, die bescheinigen sollten, dass aus psychischen Gründen (z.B. Angst) die Covid-Impfung nicht möglich sei. Ansonsten besteht meist die Möglichkeit, ein Attest so zu formulieren, dass sowohl dem Wunsch des Patienten als auch der medizinischen Sorgfalt Genüge getan ist. Wenn beispielsweise eine Patientin zu mir kommt, die ich zwei Jahre nicht gesehen habe und ein Attest für die Verlängerung ihrer Rente wünscht, schreibe ich natürlich, dass die letzte Untersuchung vor zwei Jahren war. Im folgenden hilft dann der Konjunktiv: „Die Patientin gibt an, sie sei …, habe …, könne nicht usw.“ Und selbst, wenn ich die Betreffende schon seit 20 Jahren kenne, schreibe ich nicht nur „… befindet sich seit 20 Jahren in meiner Behandlung.“ Das stimmt zwar formal, täuscht aber vor, dass diese Behandlung durchgehend war und nicht eine Pause in den letzten Jahren bestand. Und wenn eine Nachfrage kommt (vom „Richter“), wann die letzte Untersuchung war, platzt dieses Attest wie eine Seifenblase, weil plötzlich klar wird, dass ein wichtiger Umstand, nämlich die Behandlungspause, verschwiegen wurde. Dann ist das Attest plötzlich nicht mehr viel wert.
Und das ist genau der Unterschied zwischen einem lediglich wohlmeinenden und einem korrekten Attest: Letzteres besteht auch im Sturm.

Dann gibt es noch den Fall, bei dem ich den Attestwunsch verstehe, aber befürchte, dass diese Bescheinigung mehr schadet als hilft. Gerade Atteste, die dem Arbeitgeber vorgelegt werden und bestimmte Ausschlüsse für Tätigkeiten empfehlen, können „nach hinten losgehen“. Ich kläre dann über meine Zweifel auf, aber wenn das Attest trotzdem gewollt ist, erstelle ich es natürlich. Ich kann dem Patienten die Verantwortung für die Verwendung der Bescheinigung nicht abnehmen.

Es kommt nicht oft vor, dass Patienten ganz und gar unzufrieden sind mit einem Attest. Meistens ist das ein Hinweis darauf, dass hier ein „Gefälligkeitsattest“ gewünscht wird und es gibt leider immer wieder Zeitgenossen, die die Arztpraxis mit einem Selbstbedienungsladen verwechseln und dann aufgebracht sind, wenn sie das Gewünschte nicht bekommen. Solche Vorfälle markieren dann in der Regel das Ende einer vertrauensvollen Arzt-Patient-Beziehung und damit die Behandlung in unserer Praxis.

Mein Fazit: Atteste sind ein unglaublich wichtiges Instrument in der ambulanten Medizin, ein unverzichtbarer Bestandteil in der Behandlung der Patienten und eine fantastische Möglichkeit, sich als Arzt bei aller menschlichen Zuwendung auch immer wieder fachlich zu erden und medizinisch korrekt zu verhalten.

Peter Teuschel

Okay, den Übergang kauft mir keiner ab, und diesen Titel „Handle( me) with care“ auf die Medizin zu beziehen, ist an den Haaren herbeigezogen. Aber hey, das ist mein Blog und wer diese Jungs nicht immer wieder gerne sieht und hört, dem kann ich auch nicht helfen. 😉

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