Eine schwierige Diagnose
Die posttraumatische Belastungsstörung ist eine problematische Diagnose. Nicht etwa, weil die Symptomatik so schwierig zu erkennen wäre. In den meisten Fällen sind die Beschwerden der Patienten so eindeutig, dass kaum Zweifel aufkommen.
Die Schwierigkeiten im Umgang mit dieser Diagnose entstehen durch die Kriterien, die das ICD 10, also das derzeit gültige Diagnosen-Verschlüsselungssystem, als Bedingung für eine Einordnung der psychischen Störung als F43.1 (so lautet der offizielle Code) aufführt.
Als Übersicht hier einmal diese Kriterien, nach denen eine posttraumatische Störung diagnostiziert wird:
A: Die Betroffenen sind einem kurz- oder langanhaltenden Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde.
B: Anhaltende Erinnerungen oder Wiedererleben der Belastung durch aufdringliche Nachhallereinnerungen, lebendige Erinnerungen, sich wiederholende Träume oder durch innere Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen.
C: Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen, werden tatsächlich oder möglichst vermieden. Dieses Vermeiden bestand nicht vor dem belastenden Ereignis.
D: Entweder 1 oder 2:
1) Teilweise oder vollständige Unfähigkeit, einige wichtige Aspekte der Belastung zu erinnern.
2) Anhaltende Symptome (nicht vorhanden vor der Belastung) mit zwei der folgenden Merkmale: Schlafstörungen, Reizbarkeit/ Wutausbrüche, Konzentrationsprobleme, Hypervigilanz, erhöhte Schreckhaftigkeit
E: Die Kriterien B, C, D treten innerhalb von 6 Monaten nach dem Belastungsereignis oder nach Ende einer Belastungsperiode auf. In einigen Fällen kann ein späterer Beginn berücksichtigt werden, dies sollte aber gesondert angegeben werden
Das entscheidende Detail steckt in Punkt A: Es muss sich um eine Bedrohung oder Erfahrung von katastrophalem Ausmaß handeln. In der Regel zählen dazu Folter, Gewaltverbrechen, Kriegshandlungen.
Bei Patienten, die solchen extremen Belastungen ausgesetzt waren, gibt es auch keine Schwierigkeiten bei der Diagnosenstellung.
Wie soll man aber verfahren, wenn Symptome einer PTBS auftreten, im Vorfeld der Erkrankung aber keine Katastrophenerfahrungen vorlagen.
Belastungen sind subjektiv
Ein Beispiel, mit dem ich gelegentlich konfrontiert bin, sind Patienten mit Mobbing-Erfahrung, die über flashbacks, Albträume, Konzentrationsprobleme berichten und die ein geradezu phobisches Vermeidungsverhalten zeigen in Bezug auf die Wiederaufnahme einer Arbeit, die auch nur entfernt Ähnlichkeiten mit dem Arbeitsplatz hat, an dem sie Mobbing-Opfer wurden.
Es sind nicht viele Mobbing-Patienten, die die Kriterien einer PTBS erfüllen, aber es gibt sie.
Nun ist Mobbing zwar mitunter eine durchaus traumatische Erfahrung, aber eben keine Katastrophe im oben genannten Sinne.
Hier ist meiner Meinung nach in der ICD 10 der Umstand zu wenig berücksichtigt, dass wir bei verschiedenen Personen durchaus große Unterschiede sehen in Bezug auf Vulnerabilität bzw. Resilienz. Während der eine Mensch unangenehme Erlebnisse schon einmal wegsteckt, reagiert ein anderer auf die gleichen Erfahrungen mit Symptomen einer Belastungsstörung.
In diesem Zusammenhang lässt eine gerade veröffentlichte Untersuchung aus Israel aufhorchen:
Die Studie der Universität Tel Aviv kam zu dem Ergebnis, dass etwa ein Drittel aller Frauen als Reaktion auf die Geburt eines Kindes Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung zeigten. Einige Frauen zeigten sogar das Vollbild einer posttraumatischen Störung.
Interessanterweise hatten 80% der betroffenen Frauen eine sogenannte „natürliche Geburt“ ohne Schmerzauschaltung gewählt. Es fand sich eine Korrelation zwischen dem Umfang der Schmerzstillung während der Geburt und der Ausbildung posttraumatischer Symptome in dem Sinne, dass ein um so größeres Risiko bestand, diese Symptome zu entwickeln, je weniger Schmerzen ausgeschaltet wurden.
Ein weiterer wichtiger Umstand bei der Entwicklung von posttraumatischen Symptomen war das Ausmaß, in dem die Frauen während der Geburt ein belastendes Gefühl des Entblößtseins hatten.
Als Konsequenz empfehlen die Autoren der Studie eine sehr genaue Aufklärung der Schwangeren über die Bedeutung der Schmerzstillung während der Geburt. Außerdem sollte mehr Wert darauf gelegt werden, den Geburtsvorgang würdevoll zu gestalten und darauf zu achten, den Körper der Mutter im Rahmen des Möglichen bei der Geburt bedeckt zu lassen.
Vor dem Hintergrund solcher Studien sollte die Definition der posttraumatischen Störung dringend den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst werden, da offensichtlich posttraumatische Symptome nicht nur im Rahmen von Katastrophenerfahrungen auftreten können.
Peter Teuschel
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