Seit etwas über einem Jahr sehen wir in der Praxis ein eigenartiges Phänomen.
Es kommen gehäuft junge Menschen Ende 20 zu uns, die über heftige Burn-out-Entwicklungen berichten.
Während früher das Burn-out demjenigen vorbehalten war, der sich jahrzehntelang an seinen eigenen Bedürfnissen vorbei kaputtgearbeitet hat, scheint sich die Generation, die eben erst ihre Karriere beginnt, viel schneller aufzureiben.
Ja, natürlich sind es in erster Linie Patienten aus dem Bereich Unternehmensberatung. In diesem Sektor scheinen die Mindsets, die den BWL-Studenten verpasst werden, noch am besten zu funktionieren: Wer hat die meisten Wochenstunden, wer braucht am wenigsten Schlaf, wer verdient das meiste Geld?
Warum die Gruppe der jungen Erschöpften von Frauen dominiert wird? Da bin ich mir nicht sicher. Eine Erklärung wäre, dass auch in dieser Generation das Einräumen von Scheitern nicht im männlichen Gehirn verankert zu sein scheint.
In meiner Kindheit gab es den Slogan „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“. (Zur Erklärung: Wir hatten noch kein Netflix und mussten lesen. Und es gab nur die Bibel oder Karl May.)
Ja, die schmerzbefreiten Indianer. Von den Squaws war nie die Rede. Die durften offensichtlich Schmerzen empfinden.
Ich will hier nicht in die Geschlechterrollendiskussion einsteigen. Aber ich glaube nicht, dass meine Patientinnen Ende 20, die nicht mehr können, weil sie ausgebrannt sind, irgendeinen Durchhaltedefekt aufweisen. Im Gegenteil: Es scheint sich bei dieser Generation einfach schneller herumzusprechen, dass man die Erfolgsschiene durchaus mit Vollspeed befahren kann, dann aber merkt, das dieser Highway wie eine Autobahn ist, nur ohne Ausfahrt. Und dass irgendwann die eigene Peergroup nur noch aus Selbstoptimierungs-Zombies besteht, denen es ums Vergleichen und Messen geht und nicht um Beziehung.
Ein eigenartiges Gefühl hat mich neulich beschlichen, als ich mit einer meiner Patientinnen im Gespräch war. Die mir erzählte, wie eingeengt sie sich fühlte und wie wenig sie bei ihren „Freunden“ aus dem selben Berufssegment auf Verständnis stieß, als sie ihre Zweifel berichtete. Ich hatte auf einmal den Eindruck, ich säße jemandem gegenüber, der aus einer Sekte ausgestiegen ist. Der mir erzählt, dass alle in dieser Sekte an den selben Guru glauben.
Ich konnte ihr dann mit voller Überzeugung den Satz von der „Chance in der Krise“ sagen. Ein Prinzip, das meistens stimmt, bei dem man sich aber hüten muss, es allzu locker auszusprechen. Es klingt gerne mal wie Küchenpsychologie oder wie der Spruch auf einem Abreißkalender am 3. Mai.
Aber es stimmt: Wer erkennt, dass er dabei ist, sein Leben zu opfern für ein Leistungsprinzip, das bestenfalls den eigenen narzisstischen Trieben dient, der hat wirklich die Möglichkeit, zum Aussteiger zu werden.
Auf diesem Weg haben alle meine Patientinnen, wie bereits erwähnt das selbe Los: Wem auch immer sie über ihre Suche nach einem neuen, sinnvolleren Leben erzählen, es begegnet ihnen bestenfalls Skepsis, in der Regel aber Besorgnis. Das Verlassen des selbstdestruktiven Weges wird von all denen, die ihn ebenfalls beschreiten, als schlichte Katastrophe und „Highway to hell“ angesehen und entsprechend kommentiert.
Das macht es so schwer: Anfangs gibt es kaum jemanden, der versteht, dass man nicht mehr kann und will und sieht, dass es jetzt anders weitergehen muss.
Und manchmal ist dann der erste, der das akzeptiert, ein Psychiater. („Was will mir das sagen?“ meinte eine Patientin zu mir. „Let it be,“ entgegnete ich.)
Ich arbeite gerne mit den jungen Erschöpften. Sie sind diejenigen, die früh genug erkennen, wie wertvoll das Leben ist und dass es nach wie vor so unglaublich viele Verführungen gibt, den falschen Weg einzuschlagen. Aber dass irgendwo auch der richtige wartet. Derjenige, der uns nicht von uns weg, sondern zu uns hin führt.
Peter Teuschel
„Warum die Gruppe der jungen Erschöpften von Frauen dominiert wird? Da bin ich mir nicht sicher. Eine Erklärung wäre, dass auch in dieser Generation das Einräumen von Scheitern nicht im männlichen Gehirn verankert zu sein scheint.“
Eine weitere Möglichkeit: Vielleicht schaffen sich einige Berater hinter der wichtigen Erfolgsfassade mehr Freiräume. Also mehr kleine Fluchten (schön essen gehen mit wichtigen Leuten), mehr inoffizielles Delegieren auf Kosten anderer, mehr Selbstmarketing beim Chef und weniger Bienenfleiß …
Ein auf den ersten Blick nicht mehr ganz aktuell scheinendes, aber doch lustiges Buch ist „Männer lassen arbeiten“ (Laudia Pinl, 2000). Es enthält viele skurrile Beispiele aus dem echten Jobwahnsinn, allerdings mehr aus dem Non-Profit-Bereich. Auch für männliche Arbeitsdrohnen interessant, wenn sie die Geschlechter-Zuspitzung nicht persönlich nehmen. Habe beim Lesen oft gelacht, und das ist ja schon mal gesund.
Druck von allen Seiten, wenn Betroffene einen anderen Weg einschlagen wollen, scheinbare Alternativlosigkeit, große „Sorge“, ganz genau! Sekte, ja. Realitätsverzerrung, hört man dann. „Geld ist der Beweis, dass ich alles im Leben richtig gemacht habe.“ – habe ich mal gehört. Highway to hell.
Es ist nur das Mindset, welches lähmt. Der vermeintliche Zwang zur Zugehörigkeit behindert am Aussteigen. Es hängt auch von der jeweiligen Traumatisierung ab, wie und ob der Spurwechsel gelingt.
Traurig, wenn Menschen erst krank werden müssen, um das zu erkennen. Gut, wenn es heute vermehrt schon junge Menschen v.a. Frauen betrifft. Viele gehen jedoch wieder zurück in die traditonellen Frauenrollen „Kinder und Haushalt“ und das ist keine Lösung, sondern eine andere Form von Sklaverei, eigentlich das Gleiche, nur ohne Geld und gesellschaftliches Ansehen, der narzisstische Aspekt wird oft über die Kinder ausgelebt.
Die junge Generation hat mit ihrem Aufschrei, mit ihrer Unzufriedenheit, das Potenzial eine ganze Gesellschaft zu verändern. Männer müssen erkennen, dass sie Frauen brauchen. Wenn die Frauen wegbrechen, nicht mehr konkurrieren und funktionieren wollen, was dann… Ich hoffe nur, dass es nicht schon zu spät ist.
Fuer jede/n, der aussteigt, wollen 1000 einsteigen. Es braucht eine Systemaenderung.