Date im Cafe: Erpressung a la Krankenversicherung

Stellen Sie sich mal folgendes Szenario vor:

Sie (männlich, Ende 40, seit einigen Monaten krankgeschrieben) kommen gerade aus der Dusche, als es an der Wohnungstür klingelt. Durch den Türspion sehen Sie eine nicht unattraktive Dame, die Ihnen vollkommen unbekannt ist. Sie stellt sich Ihnen durch die geschlossene Wohnungstüre als Mitarbeiterin Ihrer Krankenversicherung vor. Sie hätte gerne mit Ihnen gesprochen.

Es gelingt Ihnen, die Dame davon zu überzeugen, dass es gerade nicht so richtig passt. Sie kündigt an, Sie später telefonisch zu kontaktieren.

Bei diesem Telefonat eine Stunde später meint die Dame, sie würde Sie gerne kennenlernen. Mit einiger Mühe bringen Sie sie davon ab, Sie zuhause aufzusuchen. Die Dame schlägt vor, sich einige Tage später im Cafe zu treffen.

Mit gemischten Gefühlen gehen Sie zu dem Date.

Die Dame ist sehr freundlich. Sie meint es nur gut mit Ihnen. Sie legt Ihnen ein vorbereitetes Schriftstück vor, das Sie unterzeichnen sollen. Darin verpflichten Sie sich, zum nächsten Ersten wieder gesund zu sein. Dann, so die Dame, wäre es kein Problem mit der weiteren Zahlung des Krankentagegeldes bis zu diesem Zeitpunkt. Andernfalls, so sagt sie bedauernd und blickt Ihnen tief in die Augen, andernfalls könnte es sein, dass der Vertrauensarzt der Krankenversicherung Sie ab sofort für arbeitsfähig erklärt.

Signer le contrat au restaurant

Ein Albtraum? Eine Science-fiction-Story? Dr. Teuschels wirre Phantasie?

Nein, Realität im Jahr 2015!

Nachdem uns dieses Vorgehen einigermaßen suspekt vorkommt und so ziemlich alles toppt, was wir bisher aus dem Bereich Krankenversicherung übermittelt bekommen haben, würde ich gerne wissen:

Wer hat Vergleichbares erlebt?

Meine Vermutung ist, dass es Prämien gibt für Mitarbeiter, die solche Unterschriften von arbeitsunfähigen Versicherten beibringen. Die Drohung, dass der Vertrauensarzt im Falle einer verweigerten Unterschrift den Versicherten für gesund erklärt, erscheint mir juristisch sehr interessant zu sein. Sollte das stimmen, dann tun sich arztrechtliche Abgründe auf. Sollte es nicht stimmen, dann wäre das nach meinem Rechtsempfinden glatte Erpressung.

Peter Teuschel

Bild: ©DURIS Guillaume  – fotolia.de

 

Nachtrag 22.06.2015: Nicht vorenthalten möchte ich zwei Kommentare eines nicht so wohlgesonnenen, in Bayern würde man sagen, saugrantigen Lesers auf Huffington Post:

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🙂

 

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20 Responses
  1. shgmobbinggraz Antworten

    Es ist ja nicht zu glauben! Es würde mich SEHR interessieren, was der Vertrauensarzt des Betroffenen hierzu sagt! Wie kann eine Versicherung sagen, dass der Vertrauensarzt den Erkrankten sonst gesundschreibt… hat DER einen Deal mit der Krankenkasse?
    SO etwas ist mir nicht bekannt.. Aber unsere Grazer Krankenkasse ist auch nicht schlecht: Sie schreibt Pat. gesund, OHNE diesen etwas zu sagen!!!
    http://gkk-konkret.jimdo.com/stgkk-graz/frau-dr-klauscher/

    PS: die StGKK hat KEINEN einzigen Psychiater im Chefärztlichen Dienst (!!) – weder bei Krankenstandskontrolle, noch beim Case-Management…

    PPS: O.a. Fall ist dankenswerter Weise die Ausnahme, dennoch erschien es mir wichtig, diesen Fall öffentlich zu machen, da die Betroffene danach schwere Suzidgedanken hatte.

    PPPS: Ich möchte mich an dieser Stelle aber auch für die vielen GUTEN / VERSIERTEN Krankenstandskontrollen der StGKK auch bedanken, die mir einerseits geschildert wurden, andererseits war ich selbst dabei in Begleitung von Mobbingbetroffenen.

  2. Das hör ich jetzt nicht zum ersten Mal.

    Ich kenn den Fall einer lebensgefährlichen Magersucht, wo eine Ersatzkasse der Meinung war, eine weitere stationäre Behandlung wäre zu teuer, gar nicht mehr erforderlich und auch sowieso sinnlos.

    Die Klinik hat einfach auf eigene Kosten weiter behandelt und der Fall konnte irgendwann gerichtlich gelöst werden. Die Patientin lebt übrigens immer noch.

    Ich persönlich, obwohl Beamter, bin ja bei der Gesundheitskasse. Meinem Sohn wurde vor ein paar Jahren von einem Lkw der Fuß abgefahren. Über Fallpauschale haben die plastischen Chirurgen ihm einen „neuen“ Fuß gebastelt und bei der Entlassung wurde uns mitgegeben, dass eine weitere Behandlung gar nicht erforderlich sei. Einfach Kompressionsstrumpf über die Wunde und fertig. Ähnlich sah das auch die Krankenversicherung. Nach sehr vielen Monaten der Wundversorgung bekamen wir Bescheid, dass eine Reha wirklich nicht angesagt sei.

    Ich befolge nun den Rat meines Anwalts, zu jedem Antrag an die Krankenkasse gleich den Widerspruch beizulegen. So läuft das. Ernsthafte Bedenken hab ich allerdings, ob sich die Kasse das Geld wirklich wieder von der zuständigen Haftpflichtversicherung holt oder ob das die Allgemeinheit trägt. Für künftige Auseinandersetzungen haben wir inzwischen eine Rechtsschutzversicherung.

    Aufgefallen ist mir in den letzten Jahren auch, dass gerade privat Versicherte in der Psychiatrie ganz plötzlich wieder „gesund“ sind. Wie kommt das denn?

    Der nette Herr auf dem Foto macht auch einen kerngesunden Eindruck. 🙂

    Einfach entspannt bleiben.

  3. Eine GKV hat einmal eine meiner schwer depressiven Patientinnen am Freitag vormittags mit einem entsprechenden Anruf in die akute Dekompensation getrieben: Entweder am Montag wieder in die Arbeit oder das Krankengeld wird gestrichen. Folge: suizidal, notfallmäßige Einweisung in die Psychiatrie. Als ich dann postwendend die Sachbearbeiterin und deren Vorgesetzten angerufen habe, etwas von „Staatsanwalt“ am Telefon geschrien habe, waren die am anderen Ende auf einmal ganz klein.
    Einen PKV-Versicherten brachte vor ca. einem Jahr ein Brief seiner PKV am Freitag (es ging um irgendwelche Leistungsverweigerung) ziemlich aus der Ruhe. Die Ehefrau hat daraufhin den Verfasser des Briefs angerufen. Der muß ziemlich unverschämt gewesen sein. Jedenfalls: Samstag früh der Anruf der Ehefrau bei mir, Pat. kriegt sich nicht mehr ein, weint dauernd, erzählt die Geschichte vom Strick => notfallmäßiger Hausbesuch, Benzo-Injektion, dann ging’s wieder. Daraufhin habe ich die Direktion der Versicherung angeschrieben und den Casus geschildert, und siehe da: Die Direktion hat sich schriftlich beim Patienten für den Mitarbeiter entschuldigt.
    Ein Kollege hat mir mal erzählt, die PKV eines Patienten hat die Kostenübernahme eines seiner Patienten für eine stationäre psychotherapeutische Behandlung so lange verweigert, bis sich der Patient im Europakanal ertränkt hat.
    Das alles ist nur die Spitze des Eisbergs.

    • Ich glaube, wir könnten alle dicke Bücher füllen mit diesen Geschichten über den Umgang von gesetzlichen Kassen wie auch privaten Versicherungen mit Ihren Versicherten. Die Spitze des Eisbergs trifft es ganz gut.

  4. PS: „Vertrauensarzt der Versicherung“. Die meisten PKVen haben zwar eine bestens besetzte Rechtsabteilung, aber keine eigenen Ärzte. Gebräuchlich ist im Versichertenjargon der Terminus des „medizinischen Beraters“. Das suggeriert Arzt, de facto handelt es sich um spezielle Sachbearbeiter, z.B. ehemalige Krankenschwestern. Ob es Juristen akzeptieren würden, wenn ihre Arbeit von einer gelernten Rechtsanwaltsgehilfin o.ä. bewertet wird?

  5. osterhasebiene langnase Antworten

    Wer, bitteschön, hat in unserem „Gesundheits“-System Interesse an Gesundheit, wo man an Krankheit doch so gut verdienen kann? Je chronisch kränker, umso besser, denn welches Unternehmen wünscht sich nicht den Dauerkunden. Bezahlt wird nicht nach Erfolg sprich Gesundheit. Vielleicht, weil Gesundheit so schwierig zu definieren ist, ich weiß es nicht. Es gibt humane Ärzte, denen das Wohl des Menschen am Herzen liegt, davon bin ich fest überzeugt. Ich habe aber bei meinem Exkurs in die Altenpflege des Öfteren beobachtet, dass Menschen, die nach langer chronischer Krankheit von den Angehörigen lange aufopfernd gepflegt werden, von der Palliativstation nach Hause kommen mit einer wunderschönen Mappe und der Empfehlung sie doch im Sinne der Menschenwürde jetzt (warum gerade jetzt und nicht schon vor einem Jahr?)sterben zu lassen, also die Nahrung abzustöpseln. Die Angehörigen kämpfen darum weiterpflegen zu dürfen und bezahlen dies oft aus der eigenen Tasche. Diese Patienten haben in unserem „Gesundheits“-System ausgedient, an ihnen lässt sich nichts mehr verdienen, sie sind zur Last geworden, zum Kostenfaktor. Noch nicht mal ein Hausarzt bequemt sich zu einem Besuch, denn es lohnt sich finanziell nicht. Der einzige, der noch kommt, ist der Pflegedienst, aber nur solange es sich die Familie leisten kann. Warum begreifen wir nicht, dass Gesundheit für unsere gesamte Existenz auf diesem Planeten das höchste Gut ist und Geld nur Papier. Die Krankenkassen haben ja nun auch schon gemerkt, dass hier „andere“ das große Geschäft machen. Fragt man dort nach, dann heißt es „Na ja, die Pharma …das wissen wir ja alle. Da kann man nichts machen.“ Ich denke, die Dunkelziffer der bereits demoralisierten Ärzte ist beträchtlich. Viele kämpfen nur noch irgendwie ums Überleben. Der Patient hat viel bezahlt und am Ende verloren.

  6. Ich würde es begrüssen, wenn der Beitrag „Date im Cafe: Erpressung a la Krankenversicherung“ noch weiter vernetzt wird, um mehr Leser zu erreichen. Die beschriebene Vorgehensweise ist erschreckend. Eine breite Öffentlichkeit über das Fernsehen zu erreichen und darüber informieren wäre sicher nützlich; auch Information über die Rechtslage.

  7. Zur Info : Zum gleichen Thema ( Gutachter der Versicher und deren Vorgehen bei psychischen Erkrankungen ) ist heute in der SZ ( Wirtschaftsteil Seite 18 ) ein langer Bericht.

  8. ich wurde dieser tage von meiner zusatzversicherung (krankenhaustagegeld) rausgeschmissen! ich hatte einen tarif u.a. für eben diese 10 euro die man, wenn man im krankenhaus ist, zahlen muss.
    für meinen letzten klinikaufenthalt in einer psychosom. klinik bekam ich das geld nicht zurück. begründung: ich hätte keinen tarif für krankenhaustagegeld und die zahlungen für die letzten stationären aufenthalte (psychosomatische kliniken) in den letzten jahren seien ein versehen gewesen.
    ???
    in meinen unterlagen steht das gegenteil.
    ich habe gekündigt, habe noch eine information über die leistungen meines tarifs angefordert. da kam dann zurück: „vertragsende 1.7. (normalerweise 31.12.), kein versicherter tarif vorhanden…“

    ich bin nicht in der psychischen verfassung, um um mein recht zu kämpfen mit anwalt und allem. und ich glaube, das wissen die versicherungen genau! ich denke auch, sie probieren es bei menschen mit psychischer erkrankung besonders gerne.

    • Das ist ja eine äußerst ominöse Sache. Das Problem ist in vielen Fällen, dass einerseits keine Energie vorhanden ist, um so etwas zu klären, andererseits ein Anwalt immer noch zusätzlich Geld kostet.

      • ja, das auch noch.
        gut, diese versicherung bin ich wenigstens schon früher los. trotzdem ärgert es mich – das waren über 500 euro, die ich zurückbekommen hätte. wofür zahle ich denn jeden monat in die versicherung ein?
        und ich finde es auch irgendwie demütigend, wie mit einem umgegangen wird…

  9. Wenn es ein „Versehen“ gewesen wäre, dann würde die Versicherung ganz sicher das Geld der vergangenen Jahre von Ihnen zurückfordern.
    So bestünde die Gefahr, dass der Versicherte sich wehrt und klagt, also setzt man lieber auf Leistungsverweigerung. Es lebe die Moral!

    Ich wünsche Ihnen gute Besserung.

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