Bei manchen Blogbeiträgen lege ich mir selbst eine zeitliche Distanz ans Herz. Frisch aus der Praxis an den heimischen Mac geeilt, um aktuelle Geschehnisse in den WordPress-Editor zu schreiben, ist meist keine gute Idee.
Andererseits habe ich oft kein gutes Gewissen dabei, mich so zu regulieren. Schließlich bleiben Schräglagen Schräglagen, ob ich es überschlafe oder nicht. Und bringt der Abstand eines Tages nicht immer etwas Besänftigendes ins Spiel? So eine Art intentionalen Schalldämpfer?
Jedenfalls sitze ich jetzt hier und schreibe meinen Artikel bereits heute und nicht erst morgen.
Denn heute war Frau S. bei mir. Seit der Kindheit leidet sie an Depressionen, eben so wie ihre Brüder und beide Eltern. Mehrfache Psychotherapien, zahlreiche stationäre Aufenthalte, nahezu alle sinnvoll erscheinenden Medikamente. Zusätzlich zu diesen langfristigen und ihr Leben begleitenden Verstimmungen hat sie auch noch phasenhaft abgrenzbare schwere depressive Phasen. Diese Kombination bezeichnet man als „double depression“. Die Prognose einer solchen doppelten Depression ist schlechter als wenn nur eine der beiden Verlaufsformen vorliegt. Hinzu kommt die mehrfach positive Familienanamnese. („Positiv“ heißt im typisch verdrehten Medizinerjargon hier nicht gut, sondern schlecht. Mehrere Familienmitglieder sind ebenfalls erkrankt, was sowohl von der genetischen Seite als auch von der Beziehungsgestaltung der Eltern her eine Belastung darstellt.) Sieht also alles nicht so gut aus bei Frau S.
Warum ich das blogge?
Weil Frau S. neulich beim Gutachter war. Nach mehrjähriger (!) Arbeitsunfähigkeit hat sie einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeits-Rente gestellt. Frau S. arbeitete bis zu ihrem Ausfall in einem anspruchsvollen Beruf.
Im Rahmen des Antragsverfahrens war sie nun eben beim Gutachter der Rentenversicherung. Davon hat sie mir heute erzählt und mir das Gutachten gleich mitgebracht. Interessanterweise diagnostiziert der Gutachter tatsächlich die beiden gleichzeitig bestehenden Depressionsformen. Er meint aber, dass „leichte oder mittelschwere Arbeiten“ durchaus noch vollschichtig zu bewältigen wären.
Vor dem Hintergrund der jahrzehntelangen schweren Erkrankung von Frau S. ist das absurd.
Wenn ich mich mal als Vergleich nehmen darf, so könnte ich damit in meiner Praxis vielleicht noch die Karteikarten von A nach B tragen. Das Einsortieren der Karten ins Archiv würde mir aber aufgrund meiner Konzentrationsstörungen schon deutlich schwerer fallen.
Solche völlig an der beruflichen Realität eines Patienten vorbei gehenden Einschätzungen der Rentengutachter sind leider nicht so selten, wie man sich wünschen würde. Im beruflichen Umfeld von Frau S. gibt es schlicht keine „leichten oder mittelschweren“ Arbeiten, die auch nur im Ansatz etwas mit ihrer bisherigen Tätigkeit zu tun haben.
So wie ich in meiner Praxis als Karteikartenträger auch meilenweit von dem entfernt wäre, was ich sonst so tue.
Diese unrealistische Einschätzung des Gutachters ist aber auch nicht der Grund, warum ich das heute noch schreibe.
Als ich Frau S. fragte, wie der Termin sonst so verlaufen sei, sagte sie mir: „Kurz und schmerzlos“. Sie sei nämlich nur eine halbe Stunde zur Begutachtung bei dem Kollegen gewesen, nachdem sie eine Stunde im Wartezimmer gesessen sei.
Eine halbe Stunde, um zu entscheiden, ob jemand erwerbsunfähig ist oder nicht.
Eine halbe Stunde, um die Bedeutung jahrzehntelangen Leidens auf die Leistungsfähigkeit zu beurteilen.
Eine halbe Stunde, um einen Menschen umfassend einzuschätzen.
Ich musste das heute noch bloggen.
Peter Teuschel
Da bekommt man Kopfschütteln als einen Dauerkrampf, willsagen, das ist schlimm! Das ist gar nicht so selten? Glaube ich gerne. Es ist überhaupt heikel, wenn man von Gutachtern beurteilt werden muss, die ja auch bestimmte Ziele verfolgen und andere Blickwinkel haben als der Begutachtete, der dann vom Urteil abhängig ist. Der Gutachter handelt nur mit Blick auf die Rentenkasse, wenn er der Frau bescheinigt, sie könne noch leichte Tätigkeiten ausüben. Das heißt doch nur, sie soll von woanders ihr Geld bekommen, ungeachtet ihrer Krankheit: die sei doch gar nicht so schlimm. Auch denke ich, mit leichte Tätigkeiten meint er nur irgendeine angeblich leichte Tätigkeit,egal, ob das in ihrem alten Bereich oder in etwas Anderem wäre. Mal abgesehen davon, dass es gar keine Jobs gibt, wo einen Jemand einstellen würde mit solch einem Hintergrund. Gerade, wenn man anspruchsvolle Sachen gemacht hat und intellektuell gebildeter ist als Jemand, der sein Leben lang `leichte ´Tätigkeiten gemacht hat. Erstens verschafft der Gutachter ihr aber bestimmt auch keinen konkreten Job und zweitens kann er gar kein wahres richtiges Urteil in so kurzer Zeit fällen, erst recht nicht, wenn er sich mit solchen Krankheitsformen nur von außen oberflächlich auskennt. Wie fühlt sich dann die Frau? Das verstärkt doch eher eine Depression?
Müssten Gutachter nicht auch hinterfragt und beurteilt werden, ehe ihre Urteile greifen?
Man denke sich einmal – rein hypothetisch- die umgekehrte Geschichte: Ein jahrzehntelang schwer bis mittelschwer depressiver Gutachter/Therapeut beurteilt einen lebensfreudigen, leistungswilligen Menschen und „bescheinigt“ ihm, dass er nur zu Hilfsarbeiter-Diensten fähig sei…rein projektiv. Er sagt ihm, dass er doch endlich aufgeben solle und das mit der Eigenständigkeit sei sowieso zum Scheitern verurteilt, er solle sich doch besser vom Staat, von der Familie, vom Ehemann versorgen lassen, von der Medizin…sowas wäre doch in jedem Fall viel klüger. Der fiktive Patient würde sich verwundert die Augen reiben und seiner Wege gehen. Er hätte sich ein wenig Ermutigung und Unterstützung gewünscht – mehr nicht. Solche Patienten sind vermutlich nicht der Regelfall. Das ist jetzt ein sehr schräges Gegenbeispiel. Es soll nur zeigen, wie bedeutsam die „eigene Brille“ ist und wie wenig objektiv Beurteilungen zuweilen sein können.
Was mir dazu „Schnellchecker“-mäßig einfällt: Frau van der Leyen hat zu ihrer Amtszeit als Verteidigungsministerin für einen Kostenvoranschlag für neues Mobiliar der Soldaten 1,3 Millionen Euro bezahlt (ob es zu dem neuen Mobiliar kam ist dem geneigten Leser nicht bekannt) . Der derzeitige Verkehrsminister hat ca. 49 Millionen für externe Berater ausgegeben. Bekannt ist derzeit, daß er mit seinem Projekt “ Maut“ nach EU-Recht komplett auf die Schnauze gefallen ist. (Selbst hat er es nicht richtig durchdacht -hätte man aber erwarten dürfen in diesem Amt), und die sogenannten Berater haben das Geld völlig zu Unrecht eingesteckt. Das Innenministerium hat für externe Berater 79 Millionen ausgegeben, wofür? Es ist nicht einmal definiert, was externe Berater sind geschweige denn ist nicht transparent, was sie machen bzw. wofür sie das viele Geld ausgegeben haben. Frau Klöckner, meine ausgesprochene Favoritin, hat für 1 Plan (!!!!!!!) 1,3 Millionen bekommen. Nur : Welcher Plan ist das? Und: Für das Verbieten der Ferkelkastration war kein Geld vorhanden. Oder war das Der Plan. Will damit schnellcheckermäßig sagen, es gibt Millionen über Millionen Euros, nur für die Gesundheitspolitik gibt es fast nichts….. JUSTINA
Solche Vorfälle machen mich einfach nur fassungslos. Wie mit Menschen auf der Schattenseite des Lebens in diesem reichen Land umgegangen wird, ist oft Menschen verachtend.
Lieber Herr Dr. Teuschel,
es ist für mich gut nachvollziehbar, dass Sie in Situationen, die für Sie als behandelnder Arzt sehr frustrierend sein müssen, überlegen, zeitnah ohne intentionale Pufferzone oder bedacht und „überschlafen“ posten.
Schlussendlich werden mit so einem Urteil nicht nur die Nöte der Patientin gegen Null herunter“geschrieben“ und Ihre jahrelangen Bemühungen und Interventionen kontakariert.
Patienten werden dadurch gezwungen Widerspruch einzureichen; haben sie keine fachliche oder emotionale Stütze, ergeben sie sich oft diesem Stigma. Darauf wird meines Erachtens immer mehr bei ersten gutachterlichen Untersuchungen spekuliert, es sei denn man ist verbeamtet. Das ist langfristig für den Dienstherren billiger. Intelligent darf man dann als Kassenpatient auch natürlich sein, weil die Einsichtsfähigkeit in die Notwendigkeit, Akten von A nach B zu transportieren, durchaus vorhanden ist.
Ich weiß nicht, ob ich das als Glück bezeichnen kann, weil es rückblickend einfach traurig war und nicht gerade darin bestätigt hat, arbeitsunfähig zu sein.
Bei meiner ersten und glücklicherweise letzten „gutachterlichen Begutachtung“ (interssantlich viel „gut“ und wenig „Be“-Achtung – 🙂 darin steckt) – hatte den Termin morgens um 8.00 Uhr in einem Privathaus, wie ich dann überrascht festestellte. Heute weiß ich nicht mehr, ob ich in dieser Nacht geschlafen habe, die Anfahrzeit betrug 2 ½ h.
Pünklich um 8.00 Uhr öffnete die Gutachterin ihre Haustür und bat mich, darauf Rücksicht zu nehmen, dass sie ihre demente Mutter erst duschen und anziehen müssen. Das war Mitte März und ich blieb die halbe Stunde vor Tür stehen.
Während des gutacherlichen Gesprächs stellte sich heraus, dass sie – bereits berentet – stets nur als Internistin gearbeitet hatte und von psychiatrischen Diagnosen überhaupt keine Ahnung hatte bzw. noch nie einem Patienten begutachten musste. Von dem, was ich dann erzählte, war sie sichtlich berührt und überfordert.
Sie schickte mich nach Hause mit dem Hinweis, dass sie „den Fall“ an „Spezialisten“ übergeben würden. Den nächsten Termin bei einem mir scheinbar kompetentem Gutachter hatte ich in der Mitte das Jahres ulitmo für den ich überhaupt keine emotionale Kraft hätte aufbringen können. Glücklicherweise kam eine Woche vorher die zweijährige Bestätigung der BfA.
Auf dem sogenannten 2. Arbeitsmarkt findet man keine Angebote, die helfen würden, seine intellekuelle Selbstachtung aufrechtzuerhalten, es sei denn, man arbeitete zuvor in der Privatwirtschaft und Dein ehemaliger Arbeitgeber ist davon überzeugt, dass Du ihm auch noch für 10 h in der Woche „dienen“ kannst.
Ich habe 10 Jahre gebraucht, um die Berentung nicht nur als Entlastung von Behördenstress, sondern als Hilfe zur Unterstützung meiner Alltagsfunktionalität, Stabilisierung, emotionale Aufarbeitung meiner Probleme und finanzielle Sicherheit akzeptieren zu können. Was noch wichtiger war, dass ich mich für einen Vollzeitjob zwar „geboren“ fühlte aber nicht mehr in der dazu Lage war.
Durch glückliche Umstände und nicht geplanter Eigenintiative, habe ich 12 Jahre später einen 10 h Middijob gefunden, der mich fordert und aus meiner Isolation herausholt und mir durch meine Kollegen immer wieder bestätigt wird, wie wichtig meine Gedanken, Vorschläge, Analysen sein können, weil ich ausschließlich im HomeOffice arbeite und mir meine Zeit einteilen kann, aber einen ungetrübten Blick von Außen stressfrei biete.
Ich bin mir bewusst, diese für mich befriedigende Lösung und Akzeptanz der chronischen Erkankung, ist für viele Patienten ein Hohn, weil Ihnen keine Chance geboten wird, die sie nutzen könnten.
Dennoch ist mir wichtig Ihnen zu sagen, dass mit jedem unsubstantiierten Gutachten Ihre Arbeit und Glaubwürdigkeit angegriffen wird und auch Sie in Ihren Rechten diskriminiert werden.
Herzlichst Sophie
Ist doch normal.
Ich war elf Minuten im Sprechzimmer, hatte nicht geahnt, dass das telefonisch übermittelte „bringen sie eineinhalb bis zwei Stunden Zeit mit“ sich auf die Wartezeit im Wartezimmer bezog.
Ergebnis (ich führe jetzt nicht meine ganzen, mehrfach bestätigten (zuvor auch durch die Rentenanstalt) Diagnosen auf. Fakt war. Weniger als einen halben Monat vor Ablauf der immer wieder befristeten Rente kam die Nachricht, ich hätte eine leichte Dysthymie und wäre arbeitsfähig.
Es folgten drei Jahre „Kampf“, während der ich suizidal und eine akute Gefahr für den Nachwuchs war. Interessierte aber nicht. Ich hätte bei einer weiteren Verlängerung der Rene Anspruch auf dauerhafte Berentung gehabt, habe ich jetzt erfahren. Deswegen war eine echte Diagnose absolut unerwünscht.
Dieses Jahr steht wieder eine Überprüfung an. Mir graut davor….
Ich (IT-Arbeiter) musste ca 20 Jahre unsinnige Arbeiten machen: Mobbingfolge.
Erschütternd. Und auch für mich nicht nachvollziehbar, bei dem Krankheitsbild. Scheint eine Art Russisches Roulette zu sein, an wen man das Glück oder Pech hat, zu geraten. Auf Grund der ärztlichen Beurteilung bei meiner Reha habe ich seinerzeit die Rente sofort bewilligt bekommen. Vielleicht wäre das ein Weg: Reha und danach neuer Antrag?
Genau das ist jetzt der Plan.
🙂