Immer wieder mal findet man bemerkenswerte Artikel im Netz, die unbedingt erwähnt werden müssen. So wie aktuell in der „DIE WELT“ online. Wer wissen will, seit wann es keine Stigmatisierung psychischer Krankheiten mehr gibt und warum man auf Borderliner neidisch sein kann, findet hier Antworten.
Ronja von Rönne besucht ihre Freundin Cara in der psychiatrischen Klinik. Die ist da seit mehreren Wochen. Borderline-Persönlichkeitsstörung. Für Frau von Rönne ist das eine ganz schlechte Idee, sich in die Klinik zu begeben.
„Als man ihr noch nicht gesagt hatte, dass sie Probleme mit Entscheidungen hatte, hatte sie noch keine Probleme mit Entscheidungen.“
Mal wieder typisch für die Einflüsterungen der Psychiater und Therapeuten, die nichts anderes zu tun haben, als ihre Patienten verrückt zu machen.
Überhaupt ist das mit diesen ganzen psychischen Störungen echt so eine Farce:
„Aber die Krankheit gibt Sicherheit, macht unangreifbar und immun gegen Vorwürfe, und wer der angestrebten Diagnose nicht vollständig entspricht, passt sich ihr eben ein bisschen an.“
Krankheit gibt Sicherheit.
Muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, diese Aussage.
Da ist es dann auch kein Wunder, dass Ronja von Rönne schnell merkt, dass die Freundin es echt gut getroffen hat mit dem Klinikaufenthalt:
„Ich bin fast neidisch, denn Cara hat sich ausgeklinkt. Ihre Diagnose, ihr Aufenthalt in dieser Klinik, die besorgten Blicke der Eltern: Sie steht gerade nicht unter dem Druck, ihr Studium zu beenden, einen Job zu finden, generell glücklich zu sein. Cara darf entspannt zwanzig Minuten über Kaffee mit oder ohne Milch nachdenken und keiner verübelt es ihr.“
Was für ein Luxus. Endlich mal den Druck los sein, endlich krank, sprich „entspannt“ sein dürfen.
„Heute werden psychische Krankheiten nicht mehr stigmatisiert. Es ist besser geworden, oder schlimmer, je nachdem, denn: Psychische Probleme sind so normal geworden wie Magen-Darm-Infekte. Eher ist man versucht, all die Gesunden zu verurteilen, dem alten Klischee „Die Glücklichen sind die Irren“ nach.“
Tja, da bin ich wirklich beruhigt, dass die Stigmatisierung psychischer Krankheiten abgeschafft wurde.
„Depression, Borderline, ADHS entschuldigen uns, wenn wir das mit dem Glücklichwerden mal nicht ganz so gut hinkriegen.“
Dabei gibt es eigentlich keine psychischen Krankheiten:
„Die Diagnose klammert einen Teil der Persönlichkeit aus, nennt ihn Krankheit und erklärt ihn zum Feind. Plötzlich ist etwas da, was bekämpft und gezähmt gehört. Man ist nicht mehr wütend, sondern cholerisch, hat kein unstetes Gemüt, sondern eine bipolare Störung. Plötzlich ist da ein Name für all das Unangenehme, eine Entschuldigung für falsches Verhalten, eine Erklärung für jedes berufliche oder private Hadern. Eine neue Comfort Zone, geboren aus einer irritierenden Annahme: Dass das Gesunde die Norm ist. Dass die, die nicht glücklich, krank sind.“
Eine psychische Störung ist also „ein Teil der Persönlichkeit“ und eine bipolare Störung ist in Wirklichkeit nur „ein unstetes Gemüt“.
Deshalb sind Menschen mit einer so genannten psychischen Krankheit auch echt ziemlich nervig:
„Während unseres Spaziergangs zitiert Cara den Wikipedia-Eintrag ihrer Borderline-Diagnose. Früher hat sie Oscar Wilde zitiert.
„Fehlen eines klaren Ich-Identitätsgefühls, chronische Gefühle von Leere und Langeweile.“
Sie nervt mich, die Sonne blendet mich, es ist ein schöner Tag: „Du hast heftige Stimmungsschwankungen vergessen, Darling.““
Man mag der Autorin zugute halten, dass sie darauf hinweisen wollte, dass Unpässlichkeiten und Störungen der Befindlichkeit zum Leben gehören und keinen Krankheitswert haben.
Leider hat sie offensichtlich wenig Ahnung davon, wo die Grenze zwischen Krankheit, psychischem Leid und Rumgetue verläuft und produziert dadurch einen diskriminierenden und für alle psychisch Erkrankten beleidigenden Artikel. Was vielleicht als Kritik an einer Psychologisierung und Psychiatrisierung normaler Lebensäußerungen gedacht war, missrät zur globalen Attacke auf alle psychisch Kranken. „Versteckt euch nicht in den Kliniken und hinter euerer Krankheit (die gar keine ist)“, ist die Botschaft. Und dass man neidisch sein kann auf diejenigen, die eine Diagnose „ergattert“ haben.
Ein ärgerlicher Artikel.
Peter Teuschel
Bild: © Little Black Cat – Fotolia.com
Ärgerlicher Artikel. Und schwierige Thematik. In meinem Umfeld sind solche Diskussionen allgegenwärtig und ich würde mir eine für Laien verständliche Richtlinie wünschen, um ein bisschen besser „die Grenze“ einschätzen zu können.
Ich habe jede Woche mehrere Patienten bei mir, die sinngemäß sagen: „Meine Einstellung diesen Dingen gegenüber hat sich grundlegend gewandelt, seit ich selbst betroffen bin.“
Für mich läuft die Grenze genau an der Stelle, an der die Selbsterfahrung beginnt. Ohne dieselbe überwiegt das meist abwertende Vorurteil, mit ihr siehts dann plötzlich völlig anders aus.
Die „Richtlinie“ müsste viel mit Toleranz und viel mit Information zu tun haben. Solange die Einschätzung psychisch Kranker sich zwischen „Drückeberger“ und „gefährlicher Psychokiller“ bewegt, herrscht Mittelalter im Denken der so genannten Gesunden.
Toleranz, das ist leicht gesagt, wenn man sich als normal empfindet und in der Familie ein Mitglied hat, das mit der Kompetenz, da absolvierte Ausbildung zum Psychotherapeuten vorhanden ist, einem versucht, das Normalsein auszureden. Da wird man zum Neurotiker grmacht, nur, weil man das Leben im Großen und Ganzen schön findet, weil man Entscheidungen trifft, na ja, weil man halt einfach lebt. Diese gut ausgebildeten Psychotherapeuten, selbst schwer leidende Menschen, therapieren andere viele Jahre und die Familie schaut, dass ja nichts nach außen dringt von deren Problemen. Da braucht man schon extrem viel Tolleranz. Sie können jetzt sagen, was geht mich denn Ihre Familiengeschichte an, machen Sie doch eine Therapie, wenn Sie nicht klar kommen. Es gibt Therapeuten, die geradezu zu dieser Auszeit raten, weil sie selbst nämlich der Überzeugung sind, das Leben hätte sowieso nichts zu bieten und dies wäre die beste Lösung. Für mich als Leien oder Autodidakten ist die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit eindeutig der Leidensdruck. Aber wenn mir Fachleute einreden wollen, dass ich nicht normal bin, weil ich nicht genug leide, dann hört die Toleranz auf.
was mir auffällt: depression ist oft erst „anerkannt“ nachdem sich der patient das leben genommen hat (z.b. torwart enke). dann sind die mitbürger und medien ach so bestürzt und betroffen….
das gleiche problem haben auch die 95% schwerbehinderten, deren behinderung nicht sichtbar ist…
auch im kleinen: letzte woche habe ich einen besuch in berlin angesagt, weil ich mich nicht gut fühlte und v.a. nicht so weit mit dem auto hätte fahren können. die freundin war eingeschnappt. als ich zwei tage später die diagnose eitrige mittelohrentzündung hatte, wurde meine absage von der freundin „akzeptiert“.
Die Autorin hat sich mit Sicherheit nicht vorher informiert, was es eigentlich heißt Depressionen u.ä. zu haben. Sie stempelt alle Menschen in der Psychatrie ab, als lebe Sie im 18. Jahrhundert.
Es ist richtig, dass gesunde Menschen oft nur schwer ein Verständnis dafür aufbringen können, wie psychisch Kranke denken. Dabei handelt es sich jedoch leider nicht um einfache Stimmungsschwankungen. Der Hormonhaushalt im Gehirn der Patienten ist dermaßen aus dem Gleichgewicht, dass eine Charakterveränderung entsteht. Dabei werden Gefühle in diesen Menschen erschaffen, die mit logischem Denken nicht zu erklären sind. Dieses Verhalten bildet sich schleichend aus, über Jahre. Das fängt schon bei 3-jährigen Kindern an und zeigt doch auf, in welch einer kranken Welt wir heute leben. Dort liegt die eigentliche Ursache.
Es handelt sich bei Depressionen in der Tat nicht um einfache Stimmungsschwankungen. Als es meinem Verwandten einmal nicht gut ging, wollte ich sie (in meiner Unwissenheit) aufheitern mit Sätzen wie „Geh doch mal spazieren, es ist so schön draußen!“, „Sprich ein bisschen mit den Nachbarn“, „Kauf dir was schönes“, „Geh zum Friseur“…Zur Antwort bekam ich: „Worte erreichen mich nicht“ und „Die Welt hat keine Farben mehr“. Da habe ich echt angst bekommen. Wenn man dann gesagt bekommt, man müsse alles tun, um einen Klinikaufenthalt zu verhindern, weil man dort nur „fertig“ gemacht würde und am Ende als medikamentenabhängiges „Wrack“ rauskommt, ist man mit seinem Latein ganz schnell am Ende. Von mit aus können derart leidende Menschen alle Drogen dieser Welt konsumieren, damit die Welt wieder bunt wird.
Irgend jemand hat mal gesagt: „Depression ist die Belohnung fürs Brav-Sein.“ Ich denke, dass das des Pudels Kern ist. Natürlich ist dieser Ausspruch auch sehr gemein, weil niemand freiwillig immer brav ist und depressive Menschen der Satz schockieren kann. Depressive betonen aber auch selbst immer, wie gut und „brav“ sie sind und dass sie doch immer ihre Hausaufgaben so tüchtig und ordentlich gemacht haben. Sie halten sich im Grunde für die besten Menschen, wollen für alle (anderen) nur das Beste und können gar nicht verstehen, warum das Schicksal sie so hart bestraft. Dann verlangen sie von den anderen oft (unbewusst) so eine Art Schadensersatz oder Wiedergutmachung oder Dankbarkeit fürs Gut-Meinen. Wird ihnen diese verweigert, dann sind sie entsetzlich enttäuscht und gekränkt. Der andere wird zum bösen, unverantwortlichen und leichtfertigen Nichtsnutz gemacht, dem man jetzt (unter Umständen) noch mehr ins Gewissen reden muss, dass er es doch endlich einsieht, wohin seine Haltung führt. Und niemand sieht, wie der andere wirklich ist. Das ist so traurig und endet manchmal wirklich tragisch.
Vielen Dank, Herr Dr. Teuschel für Ihre Klarstellung. Betroffene haben häufig als Konditionierung ohnehin einen inneren Kritiker, der ihnen genau das vor Augen führt, was die Autorin schreibt. Der Prozess das eigene Befinden als Krankheit anzunehmen ist nicht einfach und wird durch derlei Meinungsbildung von außen zusätzlich unnötig erschwert.
Ach, die Autorin hat überhaupt keine „Freundin“ in der Klapse. Sie wüsste sonst, wie die ihren Kaffee üblicherweise trinkt und hätte nicht fragen müssen. Außerdem würde wohl keine „Freundin“ so einen Schund über einen Menschen schreiben, den sie als Freundin bezeichnet.
Ich glaube, die Autorin hat selbst ein dickes Problem. Vielleicht machen Sie ihr mal einen Termin bei sich in der Praxis, Herr Teuschel!
Mir geht es nicht darum irgendeinen Menschen zu stigmatisieren weder Kranke noch Psychotherapeuten noch Normale. Das bringt niemand weiter.Ich möchte lediglich darauf hinweisen, dass die „Guten“ (Arzte und Psychotherapeuten) und die „Bösen“ (Krankheit) nicht als Gegensatz existieren. GGelernt habe ich aus Erfahrung, dass ein und derselbe Mensch gut UND böse sein kann. Und, dass Menschen böse oder krank werden, wenn sie an ihrer Selbstentfaltung massiv gehindert werden. Wir hatten die gleiche Mutter und einmal war sie nicht förderlich für das Kind (weil in Lebensumständen gefangen), Jahre später förderlich, weil befreit.
Wenn du das, was in dir ist hervorbringst, wird das, was in dir ist, deine Rettung sein. Wenn du das was in dir ist, nicht hervorbringst, wird das, was in dir ist dich vernichten, so heißt es im gnostischen Evangelium. Ich denke, Rache ist keine gute Idee. Wir sollten vielmehr dafür sorgen, dass Menschen ihre Potenziale verwirklichen können. Das heißt auch, dass wir nicht nur unsere eigenen Ziele verfolgen sollen, sondern auch die anderen Menschen nicht aus dem Blick verlieren. Warum bemerkt bei einer derart aufwendigen Ausbildung zum Psychotherapeuten niemanden, wie es einem Kollegen wirklich geht, was jedem Normalo nach wenigen Minuten sofort auffällt. Weil es niemanden interessiert? Weil studierte Ärzte unantastbar sind?
danke herr teuschel für ihre sicht zu diesem unfassbaren artikel.
ich selbst habe eine depression. nachdem ich in den letzten jahren mich meinem umfeld diesbezgl. mehr öffnen konnte, werde ich mich nach all den zum teil unterirdischen öffentlichen diskussionen über psychisch erkrankte menschen zur zeit, wieder mehr zurückhalten.
ich bin mir sicher, dass die stigmatisierung jetzt weiter zunehmen wird und sich die menschen, die an depressionen erkrankt sind, sich eher fürs schweigen entschließen werden.
Psychische Gesundheit ist ein hohes Gut, also, wer ernsthaft krank ist, der braucht auch Hilfe. Menschen, die ausnutzen, dass man sich eine psychische Erkrankung andichten und eine Auszeit nehmen kann, wird es immer wieder geben…
In meinem beruflichen Umfeld gibt es einen psychisch kranken Kollegen, der seit einigen Jahren in professioneller Behandlung ist. Er wird ausgegrenzt. Ein Kollege äußerte mir gegenüber seine Zweifel darüber was dieser Kollege „denn überhaupt arbeiten“ würde und dass keiner mehr mit ihm sprechen würde. Er vermutete wohl, dass er auf Zustimmung treffen würde, was nicht der Fall war. Ich erklärte, dass es nicht in Ordnung ist Menschen auszugrenzen, nur weil sie anders sind. Die verminderte Leistungsfähigkeit des Kollegen sieht er offensichtlich als Faulheit an. Interessanterweise akzeptiert dieser Kollege bei sich selbst nicht, dass er nicht richtig dem Bild des hochpotenten leistungsstarken Mannes entspricht.
Diese Erklärung kann ich gut nachvollziehen. Doch wohin führt uns das Ideal des hochpotenten leistungsstarken Menschen, wohl eher in die Krankheit, als in ein zufriedenes Leben. Wie kann man aus dieser Leistungsspirale aussteigen und trotzdem erfolgreich sein? Oder ist dieser Gedanke völlig abwegig?
Danke für den Artikel … es gab noch ein Interview mit ihr was die Aussage allerdings eher verschlimmert – ich hab darüber übrigens auch einen Blogartikel verfasst, weil ich die Aussage des gesamten Artikels so verheerend fand … http://kathrin-spaeth.de/digital/warum-mich-dieser-artikel-nervt-obwohl-ich-kein-internet-krawallmacher-bin/
Super, danke für den link!
vielen dank! poste ich auch gerne auf facebook! https://www.facebook.com/pages/Selbsthilfegruppe-Mobbing-Graz/180235038781494
Ein sehr guter Meinungsspezifischer Kommentar! Ich (mit vielen Bordis im nahen Freundeskreis, auch arbeitsbedingt) empfinde es als Zumutung derartige Artikel lesen zu müssen! Mehr als ein Hau-drauf hat das verdient. Noch dazu kenne ich wenige Borderliner die sich richtig in ihrer Therapie entspannen..im Gegenteil einigen,deren Leid ich hautnah mitbekomme, wäre dies sehr zu wünschen. Diese paar Minuten nur im Kaffeerühren ohne Gedanken. Eine masslose, renitente Meinung. Wenn die Autorin derart angenervt ist von ihrer „Freundin“, muss sie diese nicht in der Klinik besuchen. Ja, ich gehe soweit zu behaupten, kein Borderliner der Welt hat derartige „Freunde“ verdient.
Man wünsche der Autorin eine lehrreiche Ansichtsänderung durch eintretende Lebensweisheit. Ich habe nicht genau nachgeschaut, sie erscheint mir jedoch ziemlich jung, da wäre es evtl. derartige Unwissenheit in Äusserungen leichter zu entschuldigen…obwohl? Für mich nicht. Meinungsfreiheit hin-oder her, ich bin zutiefst betroffen über deratig peinliche Bekundungen. Weitblick und Rücksichtnahme scheinen Fremdwörter zu sein. Inflationäre Kritik hat jene Dame sich mehr als verdient!
Ich kenne auch ein paar andere Texte der Autorin und deshalb habe ich den Text eher so verstanden, dass sie ihren Kampf mit sich selber beschreibt und es sich nicht um eine reale Freundin handelt.
Ein jeder hat seine eigene Brille auf. Schade aber finde ich, dass ein Psychiater durch die Annahme, hier werde jemand diskriminiert, Diskriminierung repliziert.
Den wohl eher journalistisch gewollten Text las ich gesellschaftskritisch: als ein Plädoyer für Selbstfürsorge, -verantwortung und Souveränität. Denn „das Normale“ ist kulturell verankert. Die Autorin stellt die symptomatische Ausprägung innerhalb eines psychischen Erlebens nicht in Frage oder als Ausrede dar.
Sowohl auf Ebene der neurowissenschaftlichen Disziplinen als auch in kulturwissenschaftlich-anthropologischer oder philosophischer Hinsicht ist eben nicht geklärt, was das Selbst ist. Ob eher die Gene und Botenstoffe ect ursächlich sind oder der Kontext, und das reziprok?
Auch psychische Leiden sind nicht in Stein gemeißelt, das widerspricht einer Vorstellung von Leben an sich.
Und all das lese ich bei Ronja von Rönne. Sollten psychische Krankheiten (wie auch andere körperliche) wirklich kulturell verankert werden, also als „kranke Variante“ von Persönlichkeit verstanden werden – weil diese schnell als chronisch gelten? Auch an Michel Foucault, das Panoptikum ist zu denken, Gouvernmentalität. Diese Freundin beobachtet und stigmatisiert sich selbst, weil sie keinen Handlungsspielraum mehr kennt. Und ob ein Aufenthalt in der Psychiatrie (mit nun mal Klassifikationsprinzip) ihr diesen zurückgibt?
Jeder körperlich schwer kranke Mensch möchte und braucht zwar Hilfe, aber möchte nicht als „Der Krebs-Kranke“, „Der Epilepsie-Kranke“ wahrgenommen werden, sondern als Mensch. Die Freundin wird im Artikel nicht als „Die Borderlinerin“ stigmatisiert. Eben doch gerade nicht!
„journalistisch gewollt“ triffts ganz gut!
🙂
Ansonsten kann ich Ihnen nicht recht folgen.
Aber für die Autorin ist es ja tröstlich, dass sie Fans hat.
Mein Beitrag war eine Aneinanderreihung von Fragen, die nicht unbedingt aufeinander bezogen sind aber so oder ähnlich heute relativ breit oder akademisch diskutiert werden. Ein anderes Beispiel ist „Mann – Frau“ und Gendertheorien, gerade sehr angesagt. Vor einigen Jahrzehnten war Homosexualität eine Krankheit, von Ärzten diagnostiziert und behandelt. Heute stellt sich die Frage der Normalität nicht mehr, und wenn es jemand tut, dann diskriminiert er bereits. Die Grenzen von krank und gesund verändern sich also in ihrer Definition über die Zeit hinweg. Und im Artikel ging es auch um Identität. Heute zitiert die Freundin Diagnosekriterien aus Wiki, wenn sie über sich selbst spricht, früher interessierte sie sich für Literatur. Aber das führt hier alles eher zu weit, verstehe ich auch. Wollte nur sagen, dass man diesen „ärgerlichen Artikel“ auch als Teil eines Diskurs sehen kann, nicht, dass er gelungen ist. Das würde denjenigen vielleicht helfen, die sich als Betroffene vom Artikel angegriffen oder diskriminiert fühlen – was meiner Meinung nach nicht die Absicht der Autorin war.
Im Endeffekt ist der konkrete Name der Krankheit doch gar nicht soo wichtig. Viel wichtiger sind doch die zerbrochenen und verletzten Gefühle. Die Schmerzen. Wie das ganze letztendlich heißt ist doch im Vergleich dazu eher unwichtig. Immer wieder sind in der Gesellschaft Vorurteile gegenüber psychischen Krankheiten. Leute hängen sich an Diagnosen auf. Und alle übersehen sie dabei das, was es mit den Menschen, die betroffen sind, macht.
Ja und nein. Ja, weil eine Diagnose natürlich nicht die individuelle menschliche und empathische Ebene zwischen Arzt und Patient ersetzen kann. Und nein, weil ohne Diagnose eine leitliniengerechte und damit reproduzierbare Behandlung nicht möglich ist. Im Dialog mit dem Patienten spielen Diagnosen meist keine große Rolle. Aber im Hinterkopf des Behandlers und in der Doku sollte die Diagnose durchaus vorhanden sein.
Ich finde es schade, dass manche so das System ein wenig ausnutzen und dadurch auch solche Erkrankungen ein wenig in Verruf bringen. Dann sollte man vielleicht auch eine Online Beratung durchführen, um zu erkennen wie geholfen werden kann. Einfach nur ausruhen bringt ja nichts, oder nur eher selten.