Fatal falsche Signale: Mißratener Gesetzentwurf in Bayern

Das Bayerische Psych-Kranken-Hilfe-Gesetz, das aktuell als Entwurf vorliegt, löst gerade heftige Reaktionen in den sozialen Medien aus.

Beim ersten Durchlesen entstand bei mir der Eindruck eines bestenfalls janusköpfigen Gebildes, bei genauerer Inspektion aber zeigt sich ein völlig mißratener Ansatz.

Was ist gut an dem Entwurf:

  • Die flächendeckende Versorgung mit Krisendiensten macht Sinn. In München hat sich der psychiatrische Krisendienst bewährt. Durch die Versorgung „vor Ort“ kann sicherlich manche Noteinweisung in die Klinik verhindert und manche Krise abgefangen werden.
  • Prinzipiell ist es auch zu begrüßen, dass die Unterbringung und Behandlung psychisch Kranker in einer Weise geregelt werden, die für die in der Klinik tätigen Ärzte und das medizinische Hilfspersonal keine rechtlichen Grauzonen entstehen lassen. Vor allem in die Grundrechte der Patienten eingreifende Maßnahmen wie Fixierung und Behandlung gegen den Willen müssen klar und zweifelsfrei festgelegt sein, um einerseits die Rechte der Patienten zu schützen und andererseits notfallmäßig erforderliche Maßnahmen genau zu definieren.

Das wars dann aber auch schon mit den guten Seiten des Gesetzentwurfes. Bereits der Umgang mit dem zweiten Punkt, den Umständen der Einweisung und der Behandlung, wird durch den einleitenden Satz in eine äußerst zweifelhafte Ecke gestellt:

„Ziel der Unterbringung ist die Gefahrenabwehr.“

Die Behandlung wird als „weiteres Ziel“ beschrieben. Die Therapie, die Verminderung menschlichen Leidens, tritt gegenüber dem Popanz der „Gefahrenabwehr“ zurück. An dieser Stelle kippt dieser Gesetzentwurf in eine Schräglage, die immer gruseliger wird, je mehr man sich ihr zuwendet.

Im folgenden werden Handlungen festgelegt, die wesentlich mehr an Zustände im Strafvollzug erinnern als an eine Klinik. Ich zitiere einige Passagen aus dem Entwurf:

 

„Die untergebrachte Person darf Presseerzeugnisse in angemessenem Umfang durch Vermittlung der Einrichtung beziehen, sofern diese nicht geeignet sind, die Ziele der Unterbringung zu gefährden.“

„Die Einrichtung soll der untergebrachten Person Beschäftigung anbieten und sie dazu anhalten, in Abhängigkeit von deren Gesundheitszustand an Beschäftigungsangeboten teilzunehmen. Dabei sind deren Fähigkeiten, Fertigkeiten und Neigungen zu berücksichtigen.

Beschäftigungsmaßnahmen nach Abs. 1 können in den Fällen des Art. 28 Abs. 2 Nr. 2 in Betrieben geeigneter privater Unternehmen oder sonstigen Einrichtungen außerhalb der Einrichtung durchgeführt werden.“

„Der untergebrachten Person ist täglich mindestens eine Stunde Aufenthalt im Freien zu ermöglichen.“

„Besteht der begründete Verdacht, dass eine untergebrachte Person Gegenstände im Körper versteckt hat, die die Ziele der Unterbringung, die Sicherheit oder das geordnete Zusammenleben in der Einrichtung gefährden, kann die untergebrachte Person durch eine Ärztin oder einen Arzt untersucht werden.“

 

Das alles hat mit den Gegebenheiten einer psychiatrischen Klinik nichts zu tun. Hier werden Maßnahmen beschrieben, die entweder im Strafvollzug oder im Maßregelvollzug, also der Unterbringung psychisch kranker Straftäter, eine Rolle spielen.

Der Gesetzentwurf verwischt hier die Grenze zwischen der Behandlung eines Patienten in einer psychiatrischen Klinik und der Unterbringung eines (psychisch kranken) Rechtsbrechers in einer forensischen Anstalt!

In meinen Augen ist dies eine unglaubliche und völlig unverständliche Vermengung von psychischer Krankheit und Straffälligkeit. Hier werden Patienten mit Straftätern auf eine Stufe gestellt. Ein schlechteres, ein negativeres Signal kann man sich als Psychiater kaum vorstellen.

Als wäre das noch nicht genug, sollen nun auch Daten von Personen, die mit Unterbringungsbeschluss in die Klinik kommen, für 5 Jahre in einem Zentralregister gespeichert werden. Diese Daten sollen z.B. bei der Verbrechensbekämpfung herangezogen werden dürfen. Eine Unterbringung bei z.B. akuter Suizidalität zieht also für den Betroffenen nach sich, dass folgende Daten erhoben und an ein Zentralregister übermittelt werden:

  1. Name, Vornamen, sonstige Namen,
  2. Geburtsdatum und Geburtsort,
  3. Geschlecht,
  4. Familienstand,
  5. Staatsangehörigkeit,
  6. Angaben zu einem besonderen Sicherungsbedürfnis,
  7. Einrichtung,
  8. Rechtsgrundlage der Unterbringung,
  9. Untersuchungsbefund,
  10. Tag der gerichtlichen Entscheidung,
  11. vom Gericht angeordnete Unterbringungsdauer,
  12. Tag der Aufnahme,
  13. Beginn und Ende einer Entweichung oder eines Missbrauchs einer Stufe der Belastungserprobung, wenn der Missbrauch eine Fahndung zur Folge hat,
  14. Tag und Grund der Entlassung.

Damit erreicht die Kriminalisierung psychisch kranker Patienten ein bisher (zumindest mir) noch nicht bekanntes Ausmaß.

Dies ist nicht nur ein Gesetzentwurf, der alle Entstigmatisierungsbemühungen mit einem Handstreich vom Tisch wischt, sondern eine Gefährdung der psychiatrischen Versorgung darstellt. Es steht zu befürchten, dass durch diese Kriminalisierungsmaßnahme die Bereitschaft vieler Patienten, sich in Behandlung zu begeben, erheblich sinken wird. Die Ängste vieler Patienten, gegen ihren Willen in eine Klinik eingewiesen zu werden, sind allen im ambulanten psychiatrischen Bereich Tätigen bekannt. Auch wenn diese Ängste im Regelfall völlig unberechtigt sind, steht doch zu befürchten, dass sich die Inanspruchnahme medizinischer Behandlung verringern wird.

Der Entwurf zum Bayerischen Psych-Kranken-Hilfe-Gesetz ist in meinen Augen in der vorliegenden Form ein Unding, das unter dem Deckmantel „Krankenhilfe“ der Stigmatisierung und Kriminalisierung psychisch kranker Menschen Vorschub leistet.

 

Peter Teuschel

Die Zitate sind sämtlich aus dem Entwurf.

Bild: © Photographee.eu – Fotolia.com

6 Responses
  1. Danke für diesen Beitrag. Durch meine aktive Depression sehe ich mich schon dauerhaft im KMO sitzen, ohne Handy und mit der Apotheken Rundschau. Damit wird meine Behandlung sicher nicht gefährdet, nach dem Tüten kleben.
    Mann Mann … jetzt übertreiben Sie es aber gewaltig.
    Geht das eigentlich konform mit dem Grundgesetzt ?

  2. Ich bin ganz Ihrer Meinung. Die Gefahrenabwehr moege sich aufs Politische konzentieren: da fehlt es noch gewaltig.

  3. Es ist zum kotzen. Und dann ist auch noch Milos Forman gerade gestorben. Höchste Zeit mal wieder „Kuckucksnest“ zu sehen.

  4. Dieser Gesetzesentwurf zeigt wieder einmal die typische Vermischung von psychischen Erkrankungen mit Straftaten. Offenbar ist dies auch im 21. Jahrhundert nicht aus den Köpfen der Menschen herauszubekommen. Die Folge von sowas wird wohl wieder die erneute Stigmatisierung von psychisch kranken Menschen sein. Schrecklich….

  5. statt sich um die ursachen der psych. erkrankungen zu kümmern (insbes. psychische gewalt und mobbing), werden psychisch erkrankte menschen listenmäßig erfasst. dass die daten nach 5 jahren gelöscht werden, glaubt ja wohl keiner…
    wenn man das stanford-experiment auf psychiatrische kliniken umlegen würde, verwundert auch nicht, dass so viel dort „behandelte“ nicht besser werden…

    die behörden- und amtsdiktatur breitet sich weiter aus und aus und aus….
    bald werden sie in bayern auch den in der CH bestehenden (!) Fürsorglichen Freiheitsentzug für systemkritische Bürger installieren (der sich auch in Ö auszubreiten scheint, nur nicht offen….)
    https://www.youtube.com/watch?v=z0ni4ZjkuLA
    https://www.youtube.com/watch?v=Nwn2bCpXvdE

    orwell und mollath lassen grüßen….

    http://www.taz.de/!5496005/

    https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2018-04/psychisch-kranken-hilfe-gesetz-bayern-andreas-heinz-interview/komplettansicht#psychisch-kranken-hilfe-gesetz-bayern-info-2-tab

    https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2018-04/psychiatrie-psychisch-kranken-hilfe-gesetz-bayern-gesetzentwurf/komplettansicht

  6. Dann musste ich an den „Autogeher“ denken:

    http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/2260856

    Wenn ich das richtig verstanden habe, wurde er von den begutachtenden Psychiatern in Haar umgehend wieder nach Hause geschickt. Die wollten sich wohl sympathischerweise nicht zum verlängerten Arm der Strafvervolgung machen lassen.

    Hoffen wir, dass das so bleiben kann. Immerhin wurde ja jetzt zurück gerudert.

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