Cormac McCarthy ist gestern im Alter von 89 Jahren gestorben. Im Juli wäre er 90 geworden.
Normalerweise schreibe ich keine Nachrufe auf meinem Blog, aber für ihn mache ich eine Ausnahme.
Ich verehre ihn sehr. Zum einen sicherlich wegen seiner unglaublich mächtigen Sprache. Aber das ist nicht das, worüber ich schreiben will. Der erste Roman, den ich von ihm gelesen habe, war „All die schönen Pferde“. Von Beginn an wird klar, was McCarthy mir sagen will: Es ist eine grausame Welt, in der wir leben. Und sterben. Sinnlose Gewalt, Menschen ohne Menschlichkeit und keine Instanz, die etwas dagegen unternimmt.
Von dieser Botschaft in konsequenter Härte war ich fasziniert. Ich dachte mir: „Wie kann jemand, der so eine Einstellung zum Leben und zur Welt hat, Romane schreiben? Wenn alles ohne Sinn ist, warum schreibt er darüber?“
Aber es existieren bei McCarthy auch Untertöne. Immer wieder kommt es zu Szenen, in denen wir als Leser einen kurzen Einblick bekommen, welche Alternativen uns als Menschen zur Verfügung stünden, hätten wir uns nicht dazu entschlossen, unsere Freiheit dazu zu nutzen, uns aller ethischen Verpflichtungen ledig zu fühlen.
Diese Tendenz ist vielleicht am stärksten erkennbar in seinem Roman „Die Abendröte im Westen“. Der Text gilt aufgrund seiner Grausamkeit als unverfilmbar und in der Tat könnte ich mir nicht vorstellen, wie so ein Film aussehen sollte. Allerdings sehe ich nicht die brutalen Szenen als das Hauptproblem, sondern die Umsetzung der Stimmung im Buch. Eine der faszinierendsten Figuren von McCarthy ist Richter Holden, ein intelligentes, gebildetes, aber völlig unmoralisches Geschöpf, dem der „Held“ des Werkes, den wir nur als „der Junge“ kennenlernen, begegnet. Schwer, die Faszination und die Ungeheuerlichkeit, die von dieser Figur ausgeht, einem Schauspieler zu überantworten.
(Ein kurzer Einwurf, weil wir gerade von Filmen sprechen: Die Darstellung der Positionierung eines „menschlich“ gebliebenen Helden in einer entseelten Welt im McCarthy’schen Sinne gelingt brillant im von mir hochgeschätzten Meisterwerk „Sieben“ von Regisseur David Fincher.)
Bisweilen, wie im Bestseller „No country for old men“, beklagt sich der Protagonist des Werkes darüber, wie unmenschlich alles geworden ist. So wie ich McCarthy lese, wäre seine Antwort: Das Wesen des Menschen, überlässt man ihn sich selbst, ist das Unmenschliche.
Vielleicht ist das eine seiner stärksten Aussagen: Was wir als „menschlich“ bezeichnen, ist schönes Wunschdenken, eine nicht gelebte Möglichkeit, eine verpasste Chance.
Und nochmal: Warum will ich so etwas lesen?
Weil es diese anderen Momente gibt. McCarthys literarische Kunst ist es, ihnen eine eigene Sprache zu widmen. Die kurzen Passagen in „All die schönen Pferde“, in denen Zärtlichkeit, Sinnlichkeit und Sinn Raum bekommen, sind von fragiler Schönheit und von berückendem Mangel an Berechnung. In der Kälte der Handlung, auf die man sich beim Lesen des Romans eingestellt hat, bricht so eine Szene über den Leser herein wie die Umkehrung des Brecht’schen „Glotzt nicht so romantisch!“ Es öffnet sich ein Raum voller Möglichkeiten, berührbar zu sein, zu hoffen, zu lieben.
Das Ganze ereignet sich nachts, in einem vom Mond beschienen See. Bei aller Schönheit ist aber auch hier die Vergänglichkeit mit an Bord, die Widersprüchlichkeit eines Auftauchens des Guten und Schönen in dieser Welt. „Ganz bleich war sie im See, beinahe als brenne sie. Wir ein Irrlicht in einem düsteren Wald. Wie ein kaltes Feuer. Wie der kalt brennende Mond.“
Einen ähnlichen Raum entdecken Vater und Sohn auf ihrer Reise in „Die Straße“. Diese Mal ist es ein Raum im wahrsten Wortsinn, ein unterirdisches Lager, voll mit allem, an was Mangel herrscht in der postapokalyptischen Welt des Romans. Aber auch hier ist das keine Lösung auf Dauer, die beiden müssen wieder hinaus in die lebensverneinende Umwelt und weiterziehen.
Die Unmöglichkeit, Ersehntes und Liebenswertes zu bewahren, ist ein immer wiederkehrendes Thema bei McCarthy.
Aber sie existieren. Der Mensch hat im Laufe seiner Machtergreifung auf diesem Planeten sich zu einem ohne jede Moral agierenden Wesen entwickelt, aber Eigenschaften wie Mitgefühl, Verantwortung, Respekt und Rücksichtnahme haben überlebt. Sie sind ohne Chance in McCarthys Romanen, aber sie glimmen auf und wir erkennen ganz klar: Das könnte sein, aber es ist nicht.
Der Lauf der Dinge ist dabei eindeutig: Es wird nicht gut enden. „Ihnen ist klar, wie das alles ausgeht, oder?“ sagt Anton Chigurh in „No country for old men“ am Telefon zu dem Mann, der durch einen Zufall in den Besitz seines Geldkoffers gekommen ist. Und das ist für mich der Satz, der McCarthys Romane vielleicht am ehesten charakterisiert.
Ich denke mir: Ja, wir wissen, wie das ausgeht. Für jeden einzelnen von uns. Wir werden das hier nicht überleben. Dass wir die Zeit, die uns bleibt, und die Welt, in der wir leben, mit Grausamkeit und Nihilismus füllen, dass wir die Kälte schon zu Lebzeiten in unserem Geist und unserer Seele herrschen lassen, ist wie alles andere nur von uns so gewollt und gelebt.
Dass uns Cormac McCarthy diesen Spiegel nun nicht mehr vorhalten kann, stimmt mich sehr traurig.
Peter Teuschel
(Ich weiss nicht, ob Cormac McCarthy Sibelius‘ Violinkonzert gekannt hat, aber möglicherweise hätte es ihm gefallen. Hier der erste Satz.)
Es gelingt Ihnen, in absolut beeindruckender Sprache die Quintessenz, den Tenor von
McCarthys Werk eindrucksvoll rüberzubringen. Ich erfahre mit Ihrer Darstellung zum ersten Mal von dem Autor! Brillant führen Sie uns vor Augen, worum es McCarthy geht — vielmehr— es uns gehen soll / muss im Leben. Dies wird einem durch Ihre bildhafte Skizzierung —ohne angestrengt nachdenken zu müssen — sofort bewusst.
Bin fasziniert von Ihrer Formulierungskunst!
Vielen Dank!
„Die Straße“ von Cormac McCarthy ist für mich überhaupt das Buch aller Bücher. Die Hoffnung liegt darin, dass es auch anders ginge, wenn der Mensch wirklich wollte.
Es ist für mich auch ein Entwicklungsroman. Am Ende schafft es der Sohn, in eine „andere “ , menschliche Gemeinschaft zu gelangen, Vater und Sohn müssen aber erst das Tal das Finsternis durchwandern.
Dass der Autor nun das irdische Leben verlassen hat tut mir sehr leid.
„Die Straße“ wurde von „Publishers Weekly“ (USA) als „das dem Alten Testament am nächsten kommende Buch der Literaturgeschichte“ bezeichnet. So eine Rezension bekommt man auch nicht alle Tage.
Wow, dem kann ich mich nur anschließen. Das wusste ich nicht.
Danke für disen Nachruf. Was mich auch berührt, meine Eltern pflegten nach einer Todesnachricht das Violinkonzert von Sibelius aufzulegen. So ist es für mich immer voller Schmerz gewesen – aber auch Trost.
Dann habe ich ja in dieser Hinsicht das „richtige“ Konzert ausgewählt. Schon seltsam, welche Koinzidenzen es manchmal gibt.