Tod und Teufel

Herr K. hat seine Frau verloren. Sie ist gestorben, ganz schnell, innerhalb von ein paar wenigen Tagen, an Krebs, den keiner auf dem Radar hatte.
Herr K. hatte kaum Zeit, sich zu verabschieden. Er war fassungslos, überfordert, am Ende.

Herr K. ist seit langen Jahren mein Patient. Wir haben die Medikation, die er dauerhaft nimmt, etwas angepasst. Er kam häufiger zu mir in dieser Krise. Mit der Psychotherapeutin, die ich ihm empfohlen habe, hat es gleich geklappt. Sie hat genau die richtigen Worte gefunden. Er geht gerne hin.
Dann geht er noch in eine Trauergruppe und ins Trauercafe. Er erfüllt seine Pflichten, was ihm Struktur verleiht. Er stützt sich auf die Personen, die ihm Halt geben.

Herr K. hat Schuldgefühle und macht sich Vorwürfe. Hätte er etwas merken müssen? Hätte er seine Frau zum Arztbesuch drängen sollen? Hätte er etwas verhindern können? Hätte er noch etwas zu ihr sagen sollen, dass er bisher nie gesagt hatte? War er wirklich bei ihr am Ende oder hat er sich innerlich zurückgezogen, aus Angst vor dem Sterben seiner Frau?

Wir haben über all das gesprochen. Aber Herr K. war auch immer sehr religiös. Er fragt mich, was ich denke: Soll er sich mit diesen Fragen auch an einen Pastor wenden?

Naja, meine ich, wenn es ihm Trost gibt, soll er sich natürlich auch aus dieser Richtung Beistand holen. Vielleicht entlastet es ihn, wenn er auch vom Pfarrer hört, dass er nichts falsch gemacht hat.

Wer bin ich, denke ich mir, dass ich ihm davon abraten sollte.

Heute kommt Herr K. und erzählt vom Gespräch mit dem Pastor. Es habe sich alles darum gedreht, dass die geliebte Verstorbene seine zweite Ehefrau war.

IngutenwieinschlechtenZeiten
und
wasGottzusammengefügthatdassollderMenschnichttrennen
und diese ganzen Dinge.

Er habe in Sünde mit dieser Frau gelebt, hat der Pfarrer gesagt. Aber der Herr vergibt, hat der Pfarrer gesagt. Er solle regelmäßig in die Messe kommen, dann werde ihm der Herr vergeben. Hat der Pfarrer gesagt.

Wer bin ich, denke ich mir, dass ich Herrn K. nicht abgeraten habe.

Teufelsschatten

Bild: © Ruediger Rau – Fotolia.com

 

Peter Teuschel

 

10 Responses
  1. Es bleibt einem der Mund offen und der Kopf hört nicht zu schütteln auf, wenn man liest, was Pfarrer verbrechen können. Da kann man wirklich nur sagen: MEIN GOTT!!!
    Es geht doch nichts über wahre Nächstenliebe, nicht wahr?

    Man kann nur hoffen, dass Gott diesem Pfarrer vergibt – aber andererseits: wo er doch soooo gelehrt ist und sich mit den Theologiegesetzen so gut auskennt, sollte sich der Herrgott gut überlegen, ob er so einem Pfarrer wirklich vergeben soll…

    Das Schlimmste ist die subtile Psychotour – und die hat der Pfarrer ja grenzenlos gut drauf.
    Kommt ein Hilfesuchender zu ihm, und BOING, kriegt er schon die nächste Ladung noch dazu.

    Narzismuss und Sadismus ist allerorts zu finden, aber besonders gut versteckt und herrlich perfide wirkt dieser im Mäntelchen der Heiligkeit.
    Man kann es nicht fassen, aber… wie sehr muss dieser Pfarrer Menschen BRAUCHEN, die leiden, und was für eine große Befriedigung muss es für diesen sein, sie noch mehr zum Leiden zu bringen. Natürlich unter dem Mäntelchen der Rechtschaffenheit und Nächstenliebe.

    Was religiöse Menschen schon für Unheil in die Welt gebracht haben…

    Ich verstehe so gut die Gedanken Ihres Patienten… Das Blöde ist, dass sich die, die immer so bemühen, dass sie fürsorgend und liebevoll sind, sich selbst zerfleischen, und immer noch irgend was finden, was sie VIELLEICHT hätten besser machen können…
    Aber DIE,
    die sich wie Berserker verhalten, kaum mitbekommen, was im anderen vorgeht, und die sich bei allem abputzen, DIE stellen sich nie in Frage. Denn – ist ja klar: Die machen nie was falsch…

    Das ist die Tragik….
    Ich bin mir sicher, so wie Sie ihren Pat. schildern, gibt es wohl nichts, woran er nicht gedacht hat, und was er nicht gemacht hat, um das Allerbeste für seine Frau zu tun.

    Zu seinen Gedanken:
    Hätte er etwas merken müssen?
    Ja wie denn? Woran denn? Und selbst WENN er etwas hätte jemals merken können: Hätte er deshalb wohl auch den Verlauf nicht ändern können.

    Hätte er seine Frau zum Arztbesuch drängen sollen?
    Das ist eine Frage, die sich alle Ärzte/-innen, PatientInnen und Angehörige auf der ganzen Welt stellen: Ist es GUT, je früher man etwas erkennt? Oder: Nicht?
    Die Fachwelt streitet sich, ob Mammographien gut sind als Kontrolle oder nicht. Die einen sagen: JA unbedingt, die anderen NEIN, sie können Brustkrebs HERVORrufen, wenn sie zu oft gemacht werden. Die einen sagen: Je früher man erkennt, desto besser. Die anderen sagen: Für das ENDergebnis ist es nicht ausschlaggebend, wie früh erkannt wird – im Gegenteil: es wurde stat. bewiesen, dass nur das LEIDEN und die Krankheitszeit mit der Früherkennung verlängert wird, jedoch dies für den Verlauf KEIN Ergebnis bringt.
    Kein Mensch kann wissen, ob früher besser gewesen wäre – oder nur die sorgenfreie Zeit verkürzt und das Leiden und die Angst verlängert gewesen wäre…

    Hätte er etwas verhindern können?
    Wie sagte schon Goethe:
    Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser.
    Schicksal des Menschen, wie gleichst du dem Wind…

    Hätte er noch etwas zu ihr sagen sollen, dass er bisher nie gesagt hatte?
    Ich bin sicher, es fällt einem IMMER noch etwas ein, was man vielleicht noch hätte sagen können. Vor allem wenn man viel darüber grübelt oder nachdenkt. Vielleicht sollte er sich die Frage stellen: Was alles habe ich meiner Frau gesagt?
    Und: Wie schön, dass ich ihr DAS alles noch sagen konnte!

    War er wirklich bei ihr am Ende oder hat er sich innerlich zurückgezogen, aus Angst vor dem Sterben seiner Frau?
    Wie oft erlebt ein Mensch das Sterben eines Lebenspartners?
    Wahrscheinlich sehr selten bis einmalig…
    Es ist selbstverständlich, dass jemand Angst hat, wenn sein geliebter Mensch sterben muss.
    Es macht ja auch selbst Angst … Und man darf Angst haben. Man darf sich auch innerlich ein bisschen zurückziehen, weil man völlig überfordert ist mit allem, was auf einen zukommt, und was man seinem geliebten Menschen nie gewünscht hat! Man darf unsicher sein, irritiert, und muss sich oft aus Schutz davor, seine Gefühle vor dem anderen ganz rauszulassen, innerlich zurückziehen – aus der Situation.

    All das würde ich Ihrem Patienten gerne sagen..

    Und vlt. auch, dass man sich vielleicht selbst ausdauernd infrage stellen muss,… weil einen sonst die Trauer und der Schmerz übermannen würden…

    Einen geliebten Menschen durch Krankheit zu verlieren, ihm bis zum Schluss beizustehen, ist wohl eines der schwersten Situationen, die einem im Leben „passieren“ können. Ich bewundere Ihren Pat., dass er das alles so liebevoll gemacht hat. Es gehört eine unheimliche Stärke dazu, das zu durchleben.

    Möglicherweise gibt es auch eine Selbsthilfegruppe (wir in Ö haben SHG für Angehörige von schwer Kranken bzw. auch nach dem Tod. Auch für verwitwete Menschen. Oder die 12-Schritte-Gruppe von emotions anonymus, eine ganz tolle Sache, für ALLE Menschen, die im Gefühlsbereich „Schwierigkeiten“ haben. Sehr freundlich geführte SHGs, wo sich auch ein kleines Netz von Befreundeten bilden kann, mit gegenseitiger Unterstützung.

    PS: Ich hätte es auch so gemacht wie Sie, und nicht Einspruch erhoben, als Ihr Pat. Sie wegen des Pfarrers gefragt hat (aber dass er SO ein Riesenpech mit diesem sadistisch angehauchten Teufelskerl hat, war ja aber auch wirklich nicht vorauszusehen… JESUS!).

    Und: es gibt einen Superspruch:

    RELIGION IST HEILBAR

    😉

    Beste Grüße!
    Eva

    unsere lieben toten sind nicht gestorben,
    sie haben nur aufgehört, sterblich zu sein.
    ottokar kernstock

  2. ..ob tibetische Mönche oder katholische Pfarrer, Kirche hält die Leute durch Scham und Schuld klein und bei der Stange.

  3. … und da wundert sich die Kirche, warum es so viele Austritte gibt!

    Was Gott zusammenfügt kann ein Mensch nicht trennen, das ist wohl wahr.
    Nur sind Pfarrer oder Pastoren eben NICHT Gott, sondern auch nur Menschen und was sie zusammenfügen kann wieder getrennt werden. Das sollten diese mal verstehen lernen.
    Bei Herrn K. war es eben seine zweite Frau, die ihm von Gott zugefügt wurde und von diesem wieder getrennt wurde. Gott braucht dazu keinen Altar.

    PS: Wo bekommen Sie nur immer diese schönen und passenden Bilder her! Entweder Sie suchen stundenlang im Internet (was ich nicht glaube) oder aber Sie haben eine reichhaltige Quelle dazu gefunden aus der Sie sich bedienen.
    Aber bitte nicht verraten, so bleibt es für mich spannender!

  4. Meine Güte. Da fehlen einem echt die Worte. Manche Menschen wenden sich auch nur deshalb Gott zu weil sie sonst keiner mögen kann.
    Wie gehts denn Herrn K jetzt damit?

  5. Das Sprichwort „Das Kreuz im Nacken tragen“,
    trifft es punktgenau.
    „Scheinheiligkeit kommt nie aus der Mode,
    sie erfindet sich jede Saison neu“,

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