Tja. Selten bringt mich ein öffentlich ausgetragener Disput mehr in einen inneren Konflikt.
Obwohl – vor ein paar Jahren wäre das nicht so gewesen. Oder paradoxerweise doch, aber ganz anders rum.
Um nicht in Rätseln zu reden:
Vor 10 Jahren habe ich weder von Hansi Flick noch von Karl Lauterbach viel gehalten, das gebe ich offen zu.
Lauterbach war für mich der Inbegriff des patientenfernen schwadronierenden Politikers. Und Flick kannte ich nur als Adabei. Also als jemanden, der irgendwie und irgendwo im System Fußball mitwirkt, ohne dass sein Wirken sich mir erschließen würde.
Das hat sich mittlerweile sehr geändert.
Karl Lauterbach ist einer der klügsten Köpfe in der Corona-Pandemie. Er ist Mediziner und Epidemiologe. Gut, das sind viele und das schützt nicht vor Unsinnsabsonderungen.
Aber bei Lauterbach ist das anders. Irgendwie hat er in dieser Krise seinen Stil und sein Niveau gefunden. Er ist messerscharfer Analysierer und schonungsloser Wahrheitsverkünder. Zu schwülstig?
Will sagen der Mann hat einfach Recht mit fast allem, was er zu Corona sagt. Aufgefallen ist mir das aber schon vor der Pandemie. Da hat er sich sehr sinnvoll, weil wissenschaftlich fundiert, zum leidigen Thema Homöopathie geäußert. Für mich also eine reinrassige „Vom Saulus zum Paulus“-Geschichte.
Und Hansi Flick?
Als Mitglied des FC Bayern München kann ich nur in Superlativen über diesen Mann reden. Er spricht die Sprache seiner Spieler, er holt Thomas Müller wieder ins Boot und er ist der unprätentiöste (kann man das steigern?) Trainer, den Bayern in den letzten Jahren gehabt hat. Mal abgesehen von Niko Kovac, aber dem blieb der Erfolg verwehrt.
Und nun also Godzilla gegen King Kong: Lauterbach gegen Flick. Die Highlander schwingen ihre Schwerter. Es kann nur einen geben.
Wirklich?
Zunächst mal muss ich ganz klar sagen, dass ich auch nur diese beiden Stimmen berücksichtige. Nicht den Unsinn, der oft von Politikerseite (Team Lauterbach) abgesondert wird und auch nicht die fremdschämpeinlichen Einwürfe um Impfprioritäten von Profifußballern des ewig humorlosen Karl-Heinz „Ich krieg das mit der Maske nicht hin“ Rummenigge (Team Flick).
Natürlich hat Lauterbach Recht. Die Pandemie ist eine Pandemie ist eine Pandemie. Zahlen sind Zahlen sind Zahlen. Da bin ich ganz auf seiner Seite. Und er ist auch nicht ein „sogenannter Experte“, sondern er ist ein Experte.
Das „so genannte“ finde ich in dieser ganzen Diskussion mit das gefährlichste. Das klingt nach Wissenschaftsverleugnung. Ein Hauch von orangefarbenem Primitivismus der übelsten Sorte. Insofern gelbe Karte für Hansi Flick. Dunkelgelb, wenn man so will. Fans wissen, was diese Farbe bedeutet.
Aber andererseits weist Flick auch auf etwas hin, das nach meiner Auffassung nicht von der Hand zu weisen ist. Die Kommunikation von Seiten der Politik ist im Moment sehr negativ getönt. Es fehlt der Ausblick auf bessere Zeiten. Wer immer nur mahnt und verbietet, wird bald die meisten gegen sich haben. So wichtig die Einschränkungen auch sind: Menschen brauchen Hoffnung.
Und davon kann ich in der öffentlichen Darstellung der Krise wenig wahrnehmen.
Das hat nichts mit Schönreden zu tun, sondern damit, dass sich Krisenzeiten besser durchstehen lassen, wenn man gut begleitet wird.
Jeder Psychotherapeut weiß das: Wenn es dem Patienten ohnehin schon schlecht geht und der Therapeut nicht eine gewisse hoffnungsvolle Haltung in diese Beziehung hineinbringt, macht sich Trostlosigkeit breit.
Flick und Lauterbach: Ich denke, jeder hat auf seine Weise Recht.
Was ich dabei besonders schön finde:
Heute haben sich die beiden Kontrahenten zum Gespräch getroffen. Es sei ein Austausch in gegenseitigem Respekt gewesen, wie zu lesen ist. So beginnt Annäherung, Verstehen der jeweils anderen Position und Lernen.
Flick und Lauterbach machen vor, was zur Zeit von vielen vermisst wird: Fairer Austausch unterschiedlicher Positionen. Nicht gemeint ist hierbei das Einbeziehen abwegiger Einstellungen und Verschwörungstheorien, sondern die Konsensbildung bei unterschiedlichen Herangehensweisen vernünftiger Menschen.
Peter Teuschel
Ein Problem ist, dass unsere Gesellschaft noch immer glaubt, alles beherrschen zu koennen. Schon vor 100 Jahren wurden wir mit der Atomkraft eines besseren belehrt. Auch die Computernetze beherrscht der Mensch nicht. Zum Positiven: wir koennen gescheiter werden.
Lieber Herr Dr. Teuschel,
sehr präzise mit der Draufsicht auf beide Seiten und Positionen geschrieben, vielen Dank dafür. Heilsam zu lesen. Es gibt Schwarz und „Weiß“. besser ist immer, einen Grauton im Leben zu finden. Leben und leben lassen. Wie wichtig gerade für die Moral einer multikulturellen, vielschichtigen, noch lebendigen Bürgerschaft.
Ich glaube ehrlich nicht, dass es in dem Disput um Recht haben oder im Recht sein geht. Das bringt Niemanden etwas.
Wenn es, gelänge einen synchronen Flickflack in vollendeter Schönheit auf das Parkett der Tatsachen hinzulegen, dann hätte beide Seiten gewonnen.
Dennoch denke ich, das wird, nicht nach solchen Schlagzeilen und nachträglicher von der großen Masse ungelesenen Konsensfindung, nicht gelingen, obwohl man sich nicht mehr als dies wünsche.
Karl Lauterbach – seine Haltung und stete Aufklärung der breiten Bevölkerung empfinde ich als sehr charakterstark und gefestigt und vor allem sehr, sehr mutig – wird mehr und mehr als Buhmann für verfehlte politische Entscheidungen instrumentalisiert und bleibt dennoch „unverfrorenerweise“ seiner selbst treu.
Wenn seine Empfehlungen, behindert durch einen schwer nachvollziehbaren Förderalismus/Feudalismus (wer oder was wird in solchen Ausnahmefällen gefördert) landesweit nicht umsetzbar sind, ist es kein Wunder, wenn sich Querköpfe im Querdenken stetig üben.
Ich würde mich nicht wundern, wenn das Wort des Jahres 2021 „Arbeitsverbot“ hieße. Obwohl m. E. dabei ständig der mittelständige Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer gleichgesetzt wird. Angebot und Nachfrage – wer durch Corona sein Geschäft nicht mehr führen darf, ist nicht zwingend in der gleichen Situation, wie jener, der seinen Lebensunterhalt nicht mehr verdienen kann.
Reden wir nicht über Profis und Fußball, wir durchleben gerade eine katastrophale Wintertsaga 2020/2021 egal, was gewonnen wird. Die Gemeinschaft gewinnt gar nichts – nur der Neid wird nicht kleiner, weil die Renditen größer werden. Die mutierten Vorhersagen lassen mich eher auf ein Frühlingssterben beim Osterspaziergang als ein Frühlingserwachen schließen.
Wer nicht glaubt, dass Karl Lauterbach von jeher ein reger unbequemer, analytisch denkender Geist ist, und sich nur über abgelegte Fliegen indentifizieren lässt, dem empfehle ich:
https://www.youtube.com/watch?v=ugNsczId3gc
https://www.youtube.com/watch?v=kP1kHhTvzgQ
Mögen sich seine Voraussagen nicht bewahrheiten.
Liebe Grüße an alle Sophie
Dein Blog ist sehr schön