In letzter Zeit habe ich mit vielen Patientinnen und Patienten darüber gesprochen, was die Gründe für eine nicht gut verlaufene Psychotherapie bei unterschiedlichen Therapeuten waren.
Ein Punkt ist mir dabei besonders aufgefallen. Nichts wirklich Neues, nichts wirklich Ausgefallenes.
Aber etwas so Basales, dass ich das gerne mal in einem Beitrag anspreche.
Es ist auch in gewisser Weise eine Phänomen unserer Zeit, und zwar im Hinblick auf die Optimierung von Geschwindigkeit und Endergebnis.
Nicht dass nicht zu allen Zeiten das Ziel einer Therapie war, dass es der oder dem Therapierten besser gehen möge. Aber den Weg dahin kann man als Therapeut auf unterschiedliche Weise zurücklegen. In meiner eigenen Supervision ganz zu Beginn meiner Ausbildung zum Therapeuten sagte mir mein Supervisor: „Also die ersten 10 Sitzungen geben Sie erstmal ganz viel Raum.“
Das hat mich damals sehr überrascht, erwartete ich doch gleich eine Weichenstellung in Richtung bestimmter Interventionen oder Pläne für die Therapie.
Einer meiner ersten Therapiepatienten nach meiner Niederlassung in München (ich hatte zu Beginn eine ausschließlich psychotherapeutische Tätigkeit) hat mir dann auch gleich vermittelt, wie richtig dieser Ratschlag mit dem „Raum Geben“ war. Nach etwa sechs oder sieben Stunden, in denen wir in der Therapie alle möglichen Themen angesprochen hatten, ging ich nach Hause und dachte mir plötzlich: „Oje, du hast ja bei Herrn XY gar keinen Plan.“ Ich hielt mich für einen schlechten Therapeuten und warf mir vor, ins Blaue hinein zu agieren und der ganzen Behandlung keine Richtung zu geben.
Also überlegte ich mir ein Konzept, mit dem ich in die nächste Stunde startete.
Mein Patient aber kam mir zuvor: “ Herr Doktor, jetzt wollte ich Ihnen gleich mal zu Beginn der Sitzung sagen, wie gut mir diese Stunden tun. Ich fühle mich schon viel besser und bin so froh, dass ich diese Behandlung angefangen habe.“
Ups. Mein sorgsam erarbeitetes Konzept behielt ich für mich und machte weiter wie bisher. Die Therapie wurde ein voller Erfolg.
Aus heutiger Sicht war es nicht nur das „Raum Geben“, das geholfen hat. Es ist natürlich wichtig, nicht zu früh mit Fragen oder gar Lösungsideen die Darstellung der Patientin oder des Patienten zu unterbrechen.
Aber das ist nicht das Einzige. Worum es mir in diesem Beitrag geht und was ich aus heutiger Sicht mit unzähligen Therapien und Beratungen in meiner Praxis jedem Therapeuten ans Herz legen möchte, ist das „Akzeptieren“.
Was meine ich damit?
Ich kann mich kaum an einen Patienten erinnern, der nicht mit großen Selbstzweifeln in die Therapie gestartet wäre. Meist werden diese Zweifel auf der Handlungsebene formuliert: „Ich weiß nicht, was ich tun soll.“ „Keine Ahnung, wie es nun weitergehen könnte.“ Oder es wird nach Schuld gesucht: „Habe ich etwas falsch gemacht, hätte ich mich hier oder da anders verhalten müssen?“
Hier liegt die Verführung, sich allzu schnell auf diese Ebene einzulassen.
Denn all dem liegt die Annahme zugrunde: Es stimmt etwas nicht mit mir (meinen Handlungen, meiner Einschätzung, meinen Gefühlen). Wird man als Therapeut hier gleich aktiv, nimmt man dem Patienten eine wichtige Erfahrung, nämlich das Akzeptiertwerden.
Das geht nicht in ein paar Stunden. Um sich vom Gegenüber akzeptiert zu fühlen, muss ich diesem Gegenüber vertrauen. Ich muss mir einigermaßen sicher sein, dass sie oder er ehrlich zu mir ist. Und: Es muss mir etwas an der Einschätzung des Gegenübers liegen.
So eine Einstellung beim Patienten vorauszusetzen, ist zu viel verlangt. Daran muss man als Therapeut erst arbeiten.
Wenn es dann so weit ist, dass eine stabile therapeutische Beziehung hergestellt ist, kommt das oft vergessene oder vernachlässigte Akzeptieren.
Akzeptieren der Patientin oder des Patienten heißt nicht: Alles was du denkst, fühlst oder tust, ist okay. Das wäre billig und unglaubwürdig.
Echtes Akzeptieren geht viel weiter und betrifft die prinzipielle Tatsache, dass die Patientin oder der Patient existiert und zwar zunächst mal so, wie sie oder er sich selbst wahrnimmt. Man möchte nicht glauben, wie viele Menschen im Grunde ihrer Seele davon überzeugt sind, dass etwas Grundlegendes an ihrer Existenz falsch ist. Die meisten machen sich nur keine Gedanken über solche eher philosophischen Dinge. Als Therapeut sollte ich dieses Prinzip aber im Kopf haben und dem Patienten signalisieren, dass er gesehen wird und seine Existenz in all ihrer Einmaligkeit sein darf.
Manchem wird das zu schwülstig erscheinen. Kann ich verstehen.
Aber erst wenn die Ausgangslage auf dieser prinzipiellen Ebene klar ist, kann ich zusammen mit dem Patienten an Lösungen seiner Probleme arbeiten. Wenn ich zu schnell auf Änderungen abziele, baue ich im übertragenen Sinne das Haus vielleicht gut auf, aber es ist nicht unterkellert und hat kein stabiles Fundament. Bei vielen Patienten bliebe dann die Erfahrung, dass einiges anders werden musste, aber nicht, dass die grundlegende Basis ihrer individuellen Existenz nicht in Frage steht.
Natürlich betrifft diese Notwendigkeit in jedem Fall Frauen und Männer, die in ihrer eigenen Familie nicht die Erfahrung machen durften, akzeptiert zu sein. Ich halte diese Erfahrung, nicht in seiner Existenz akzeptiert zu werden, für noch schädlicher als die Erfahrung, nicht geliebt zu werden. Auch das ist natürlich schrecklich, aber das Gefühl, nicht liebenswert zu sein, wurzelt nicht so tief wie der Horror, eigentlich nicht existieren zu sollen. Zumindest nicht so, wie man nun mal ist.
Weiter oben habe ich vom Zeitgeist geschrieben, der auf schnelle Optimierung abzielt.Es darf nicht geschehen, dass diese Denkweise in menschliche Beziehungen Einzug hält. Prinzipiell nicht und deshalb auch nicht im Bereich therapeutischer Beziehungen.
Übrigens gibt es meines Wissens keine Anleitung, wie man als Therapeut seiner Patientin oder seinem Patienten in dieser grundlegenden Weise das Gefühl prinzipieller Akzeptanz verschafft. Ich halte es für eine basale Fähigkeit auf Therapeutenseite, das zu können und vermitteln zu wollen. Eine Art menschlicher Grundbedingung für das Dasein als Therapeut.
Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Nur Therapien, die auf der prinzipiellen Akzeptanz der Patientin oder des Patienten aufbauen, haben eine Chance, erfolgreich zu sein.
Peter Teuschel
Photo ©Peter Teuschel
Danke….. In wundervollen Worten gefasst, was Therapie sein kann….
Sehr geehrter Herr Teuschel,
Ihr Artikel erinnert mich an meine Therapie, die ich vor vielen Jahren bei einer wunderbaren Therapeutin hatte.
Ich hatte in meiner Familie nie das Gefühl eine Daseinsberechtigung zu haben, außer als Projektionsfläche für alles Negative, was in der Familie so ablief. Meine Therapeutin gab mir das erste Mal in meinem Leben einen Raum für mein Dasein und meine Existenz. Sehr beeindruckt hat mich ihr Rat, mir selbst eine Erlaubnisliste für mich zu erstellen. Ich profitiere heute noch davon und konnte so lernen, dass die Erlaubnis und Berechtigung da zu sein sozusagen der Estrich ist, auf dem ich mein Leben aufbauen kann.
Auch Ihr Buch über schwarze Schafe in der Familie hat mir wunderbar geholfen, „mein Lebenshaus“ weiter aufbauen zu können.
Herzlichen Dank dafür.
Wieder ein kleines Puzzleteilchen gesammelt, danke!
Stimmt genau: keine Existenzberechtigung zu haben ist fatal und „böse“, nicht geliebt zu werden ist „nur“ bitter, aber nicht so schlimm – letztendlich.
Ihre Worte, Herr Teuschel, lösen gerade so viel in mir aus, dass ich nicht wüsste, wo ich anfangen sollte, davon zu berichten. Ich beschränke mich daher auf die Essenz.
Sie treffen bei mir mitten ins Schwarze, sowohl was mein eigenes Dasein betrifft als auch, was die Rückmeldungen von meinem Umfeld anbelangt. Dieses tiefe Gefühl, falsch zu sein, nicht gut zu sein, so wie man ist—es scheint beinahe jeden Zweiten da draussen irgendwie zu betreffen. Und ungeachtet meiner riesigen Selbstzweifel, muss ich doch eingestehen, dass mir von meinen Mitmenschen sehr oft und sehr eindringlich mitgeteilt wird, dass das, was sie an mir äusserst schätzen, genau dieses Akzeptiert- und Angenommensein ihrerseits ist.
Nicht, dass mir nicht bereits bewusst gewesen wäre, wie wichtig Akzeptanz ist. Doch dass sie dermassen basal und essentiell ist, wurde mir erst über die Jahre, und jetzt durch Ihren Text noch einmal und noch viel deutlicher, klar. Und einmal mehr werden mir auch gewisse Aspekte meines eigenen Lebens und Erlebens besser verständlich und eingänglicher.
Ob dieses Geschreibsel für Sie und andere einen Sinn ergibt, ich weiss es nicht. Er tut es für mich und das ist am Ende das Wichtigste. Vielen herzlichen Dank dafür, dass Sie Ihre Gedanken und Erfahrungen weiterhin mit uns teilen 🙂
Nadine Hostettler
Sehr geehrter Herr Dr. Teuschel, es freut mich sehr, hier in Ihrem Blog zu lesen, dass es Therapien gibt, die gelingen bzw. gelungen sind. Leider gehöre ich trotz meiner jahrzehntelangen ehrlichen und redlichen Bemühungen, in den mir angebotenen Therapien konstruktiv mitzuarbeiten, nicht zu den glücklichen Patient/-innen bzw. Klient/-innen, die sagen könnten, da wäre irgendwas gelungen gewesen, es hätte mir Heilung gebracht. Ich weiß aus früheren Schriften von Ihnen, dass Sie nicht der Fan der „Antipsychiatrie“ sind, auf deren Autoren ich mich manchmal gerne im Zusammenhang mit gescheiterten Therapien berufe. Ich allerdings freue mich, trotz meiner immerwährenden Pechsträhne mit Psychotherapeut/-innen und Psychiater/-innen, für alle Patienten und auch Therapeuten über das Gelingen von Therapien.
Mit freundlichen Grüßen, Kerstin Knopf
Es stimmt, Kommentare mit antipsychiatrischem Inhalt oder antipsychiatrischen Links schalte ich nicht frei. Es gibt andere Stellen im Internet, so etwas zu posten (wenn man denn unbedingt möchte), als auf dem Blog eines Psychiaters … 😉
Schöne Grüße
Peter Teuschel
Sehr geehrter Herr Dr. Teuschel, vielen Dank für Ihre Antwort. Ich kann akzeptieren, dass es bei mir eine Posttraumattische Belastungsstörung ist. Ich verlasse die erlernte Hilflosigkeit durch selbstwirksame Handlungen wie z.B. kochen, einkaufen, mir genügend Ruhe und Erholung gönnen. Ich kann mich damit abfinden, dass seit 1982 alle meine Therapien gescheitert sind, ich kann alle meine Kränkungen Schritt für Schritt verarbeiten. Ich bin sehr dankbar für das Internet, wo ich mir jeden Tag die Beiträge einiger kluger und erfahrener Leute aus verschiedenen Blickwinkeln anschaue und mir dann meine eigene Meinung bilde. Mit freundlichen Grüßen, Kerstin Knopf
Lieber Peter,
Du sprichst hier eine sehr wahre Erkenntnis gelassen aus. Vielen Dank dafür.
In dem Augenblick, in dem ich das las´, wurde mir schlagartig klar, warum ich zwar gerne Psychologe geworden bin, aber nicht Therapeut sein konnte …
Na ja, wäre ja auch jammerschade, wenn Du Dich nicht auf die Arbeitspsychologie verlegt hättest. Wer hätte sich dann um die Mobbingopfer gekümmert?
Sehr geehrter, lieber Herr Dr. Teuschel,
als Ihre Patientin seit nunmehr mehr als 4 Jahren kann ich Ihrem Text nur zustimmen. Ihre Therapie hilft mir vor allem deshalb so enorm, weil Sie sich die Mühe machen, genau hinzuschauen, anstatt Ihre PatientInnen ab Therapiebeginn, wie ich es leidvoll in einer früheren völlig nutzlosen, ja sogar schädlichen Therapie erleben musste, in eine diagnostische Schublade zu stecken. Durch Ihren Ansatz des grundsätzlichen und vollständigen Akzeptierens der Person, die Ihren Rat sucht, entwickelt sich relativ rasch ein höchst stabiles Vertrauensverhältnis. Ich freue mich auf jeden Termin bei Ihnen!