Manche Schlagzeilen machen ihrem Namen wirklich alle Ehre. Also Zeilen sind es ja immer, aber die angekündigten Schläge fallen bei einigen wirklich besonders hart aus.
Zwei Beispiele aus dem Mobbing-Bereich:
„Studien ergeben: Cybermobbing ist weniger schlimm als reales Mobbing“ titelt die Telekom-Presse.at.
Auch der Untertitel hat es in sich: „Zwei Studien mit fast tausend befragten Jugendlichen ergaben, dass das Mobbing im Internet nicht so schlimm ist, wie bisher von der Öffentlichkeit dargestellt.“
Im Text lesen wir dann von Studien der Pädagogischen Hochschule Thurgau und der Uni Zürich/ Bern. Wir erfahren, dass Mobbing unter Jugendlichen „in der Realität“ dreimal häufiger vorkommt als über das Internet. Meist wäre das Mobbing im Internet nur eine Fortsetzung des Mobbings im echten Leben.
Also: richtig ist, dass Cybermobbing weniger oft vorkommt als Mobbing in der Schule (findet aber Cyber-Mobbing nicht „in der Realität“ statt, wie im Artikel formuliert wird?).
Aber: Daraus zu schließen, es sei weniger schlimm, ist nicht richtig. Tatsächlich kann Cyber-Mobbing bereits durch eine einzige Mobbing-Attacke verheerenden Schaden anrichten. Gründe sind unter anderem der Zugriff auf das Opfer „rund um die Uhr“, die Möglichkeit, die Attacken genau zu planen und exakt zu platzieren und das zahlenmäßig nicht mehr begrenzte Publikum. Dadurch sind die Auswirkungen auf das Opfer im Einzelfall katastrophal. Diese schwerwiegenden Mobbing-Handlungen im Sinne „traumatisierender Attacken“ sind für nicht wenige Suizide verantwortlich.
Aus der Häufigkeit des Vorkommens auf die Schädlichkeit zu schließen ist schlicht Unsinn.
Für mich deshalb eine echt schräge Schlagzeile.
(Nebenbei bemerkt leuchtet mir auch der Untertitel nicht ein: Wo bitte stellt „die Öffentlichkeit“ etwas dar? Die Darstellung geschieht doch zumeist durch die Medien, oder? Darstellungen „der Öffentlichkeit “ würden mich ja auch sehr interessieren, aber ich habe noch keine gesehen.)
Das zweite Beispiel zeigt eine schon fast klassische Verwechslung:
„Urteil: Mobbing ist keine Berufskrankheit“ lesen wir bei haufe.de.
Berichtet wird über ein Urteil des hessischen Landessozialgerichts (Az.: L 3 U 199/11).
Eine Frau hatte als Folge von Mobbing am Arbeitsplatz psychische Störungen erlitten, für die sie von der gesetzlichen Unfallversicherung eine Entschädigung erhalten wollte. Nachdem die Unfallkasse dieses Ansinnen abgelehnt hatte, ging die Sache vor Gericht. Das Urteil: Mobbing könne nicht wie eine Berufskrankheit entschädigt werden, da es „in allen Berufsgruppen und im privaten Umfeld“ vorkomme. Auch seien z.B. die Kriterien für einen Arbeitsunfall nicht gegeben.
Also: Mobbing ist keine Berufskrankheit. Stimmt. Auch Asbest ist keine. Auch Benzol nicht, nicht Lärm und nicht Strahlung.
Schon klar, worauf ich hinauswill, oder? Wie so oft wird hier über Mobbing gesprochen, als wäre es eine Krankheit. Dabei handelt es sich um eine spezielle Konfliktform am Arbeitsplatz oder in der Schule. Dass durch Mobbing Erkrankungen ausgelöst werden können, ist etwas ganz anderes. Auch ein Dachziegel ist keine Krankheit, aber wenn er mir auf den Kopf fällt, dann bin ich krank.
Schlampiger Umgang mit der Sprache führt hier in beiden Fällen zu einer Verdrehung und Verfälschung des Inhalts.
Und wenn jetzt jemand meint, ich sei da vielleicht ein wenig kleinlich:
Keineswegs! Ich bin da sogar SEHR kleinlich.
Bis zur Realisierung der Gedankenübertragung ist nämlich die Sprache unser Kommunikationsmedium. Und es gibt doch wahrlich schon genug Missverständnisse auf der Welt, als dass man „nicht häufig“ mit „nicht schlimm“ und eine Ursache mit ihrer Auswirkung gleichsetzen sollte.
Naja, vielleicht ist es ja gar kein so weiter Weg mehr bis zur Gedankenübertragung. Wissenschaftler in den USA haben jetzt Rattenhirne vernetzt, so dass die Tiere über ihre Gedanken kommunizieren konnten.
Wie? Was ? Nein, das ist jetzt kein schräger Schlag, sondern Realität. Hier der link zur Meldung und hier der zur Studie.
Kommunikation zwischen zwei Rattenhirnen ist sicher nicht sehr häufig.
Ist sie auch nicht sehr schlimm?
Und kann man davon krank werden oder ist das an sich schon eine Krankheit?
Ach, ist das alles kompliziert …
Peter Teuschel
Vom Informationsdienst Wissenschaft iwd hab ich heute den Link gefunden….
http://idw-online.de/de/news522799
Ganz besonders möchte ich auf den letzten Satz hinweisen:
Medienkompetenz gehört zweifellos auch dazu, doch kann diese falsche Akzente setzen, wenn sie möglichen Opfern die Schuld zuschiebt, weil diese unbedacht Bilder gepostet hätten – das kann die negativen Auswirkungen von Mobbing noch verschlimmern“, warnt Sonja Perren.
Nämlich – WIE TRAUMATISIEREND es ist, wenn den Mobbingopfern die SCHULD gegeben wird!! Auch hier wird beschreiben, dass es die Auswirkungen von Mobbing noch verschlimmern kann. Idem dazu wird von Dr. Bämayr beschrieben, dass die opferbeschuldigende „Behandlung“ von gemobbten Personen oft sogar noch ein größeres Trauma darstellt als das Mobbing selbst!
http://www.aerzteblatt.de/archiv/27942/Mobbing-Hilflose-Helfer-in-Diagnostik-und-Therapie
Gerade deshalb ist es SO FATAL, wenn „halbgeschulte“ oder Pseudo-Mobbing-Experten die Betreuung von diesen Personen innehaben!!!!!
Leider sind gerade viele Psychotherapeuten mit einem „Eigene Anteile“-Reflex ausgestattet und stellen alles in Frage, was mit dem Opferstatus zu tun hat. Sie unterliegen in meinen Augen der Illusion ständiger Selbstbestimmung und vollkommener Kontrolle über das eigene Leben. Außerdem gibt es nicht wenige in dieser Zunft, die glauben, alles ließe sich psychotherapeutisch lösen. Entsprechend groß ist hier auch die Hybris. Das sieht man schon an der oft schwer verständlichen psychologischen Fachsprache. Ich glaube, manche Therapeuten fühlen sich einfach dadurch sicher, dass sie auf dem Therapeutenstuhl sitzen und dieser Kaste angehören.
Aber das führt jetzt zu weit und ist eine andere Geschichte …
Ich selbst empfehle zur Durchführung von Psychotherapien nur Ärzte und Psychologen, die ich kenne und von denen ich weiß, wie sie arbeiten.
Ach, 1000-fach geklont gehören Sie *g*
Mir war beim Lesen nicht so ganz klar – trennen die zwischen Cyber- und Nicht-Cyber-Mobbing? Bzw. hängt das denn nicht oft zusammen? Dass (ich kann nur von Schülern reden) sowohl im täglichen Schulbetrieb gemobbt wird, das Opfer aber gleichzeitig auch im Internet gemobbt wird?
Ja, das wurde unterschieden. In den meisten Untersuchungen zu diesem Thema zeigt sich genau so wie hier, dass die Cyber-Bullies meist mit den Schulmobbern identisch sind, also die Cyber-Variante in sehr vielen Fällen nur die Fortsetzung des herkömmlichen Mobbings darstellt.
Das ändert nichts an der Tatsache, dass Cyber-Bullying insgesamt seltener vorkommt, aber im Einzelfall wesentlich gefährlicher ist, was die gesundheitliche Schädigung betrifft.
„Das Problem beim Cybermobbing ist nicht im Cyber zu suchen, sondern beim Mobbing.“
Laut Erhebungen geht Cybermobbing auch oft zuvor mit „normalem“ Mobbing einher… Ein Grund mehr, in Schulen qualifizierte Personen mit Mobbing- und Bullying-Prävention auszubilden….
http://www.zeit.de/digital/internet/2012-10/amanda-todd-anonymous
Und hier noch ein Artikel, inwieweit Mobbing in der Vorgeschichte bei Amokläufen in Schulen relevant ist….
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-03/target-forscherverband-gewalttaten/seite-1