Poesie und Kriegsverbrechen
Die Verleihung des Literatur-Nobelpreises an Peter Handke hat zu einer sehr kontroversen Diskussion geführt. Letztlich lässt sich diese auf die Frage reduzieren, ob man zwischen dem Künstler und seinem Werk differenzieren kann oder ob dies eine Einheit ist, die immer zusammen betrachtet werden muss.
Diese prinzipielle Frage taucht hier auf, weil Handke – ungeachtet seiner literarischen Qualitäten – sich auch durch politische Statements hervorgetan hat, indem er sich während des Jugoslawien-Krieges auf fragwürdige Weise auf die Seite serbischer Kriegsverbrecher gestellt hat.
Was mich (neben der Entscheidung des Nobel-Komitees an sich) an dieser Angelegenheit irritiert hat, ist die Art und Weise, wie die Presse damit in den ersten Stunden umgegangen ist. Sowohl ZEIT Online als auch SPON schafften es, genau diese Spaltung zu beschwören, dass man Handkes Werk an sich betrachten müsse. Dabei entstanden so seltsame Satzblüten wie „Politisch wollte er nie sein, nur poetisch“.
Wollte ich alles in dieser Weise Geschriebene zitieren, würde mein Beitrag unmäßig lang werden, deswegen belasse ich es bei diesem Beispiel, weil es genau der Punkt ist, auf den ich hinauswill. Welcher gedankliche Salto rückwärts mit dreifacher Rittberger-Logik-Schraube ist nötig, um so etwas zu schreiben über jemanden, der in ganz eklatanter Weise politisch Stellung bezogen hat?
Man möge sich diesen Satz durch die Augen eines der Opfer der Kriegsverbrechen betrachten, dann merkt man schnell, wie wenig der Wille hier wiegt im Vergleich zur Tat. Und wenn der Wille da war, wieso hat er die Tat nicht verhindert?
Gut, mittlerweile sind etliche kritische Beiträge über diese Affäre erschienen, vor allem auf SPON, während ZEIT Online sich nach wie vor schwer tut mit der Handke-Kritik. Am heftigsten formuliert diese im übrigen die FAZ. Dieser spontane Beifall kurz nach der Verleihung irritiert mich aber immer noch.
(Aktuell hat Handke ja angekündigt, nicht mehr mit Journalisten reden zu wollen aufgrund von Nachfragen zu diesem Thema. Immerhin komme er von Tolstoi her, von Homer und von Cervantes, so beklagte er sich.)
Wer den Ilkay kennt …
Die Trennung zwischen „Künstler“ und Werk scheint auch dem Deutschen Fußball-Bund ein Anliegen zu sein. Nachdem sich Mesut Özil und Ilkay Gündogan im letzten Jahr mit Erdogan zusammen ablichten ließen, was zu nicht geringer Kritik geführt hat, kommt dieses Jahr ein „Like“ dazu. Gündogan und Emre Can hinterließen ein solches unter einem Instagram-Post salutierender Fußballer. Mehrere Mitglieder der türkischen Nationalmannschaft zeigten den „Soldatengruß“ nach einem Länderspiel. Hintergrund ist der Einmarsch der Türkei nach Nordsyrien und ein zu befürchtendes Massaker an den dort ansässigen Kurden. Die Lesart von Erdogan ist, gegen die aus seiner Sicht terroristische PKK vorzugehen und eine „Sicherheitszone“ zu schaffen. Die westliche Politik allerdings verurteilt das Vorgehen.
Ein „Like“ für salutierende Fußballer ist also auch ein zutiefst politisches Statement. Can und Gündogan haben das Like mittlerweile gelöscht, allerdings sieht sich zweiterer als Opfer einer Kampagne. Problembewusstsein sieht anders aus.
Und wie reagiert der DFB? Mit einer „alles halb so wild“- Einstellung. Drer Bundestrainer Joachim Löw gab zum besten: „Wer Ilkay kennt, weiß dass er sich distanziert von solchen Dingen.“
Nun will ich aber weder Ilkay Gündogan noch Peter Handke kennen müssen, um zu beurteilen, was sie „eigentlich“ meinen oder denken oder wofür und wogegen sie sind. Erwachsene Menschen sollten für die Auswirkung ihrer Handlungen einstehen ohne Zuspruch eines abwiegelnden Journalisten oder Trainers.
Woher der Wind weht, sieht man übrigens an einer weiteren Äußerung Löws: „Das beste Statement hat Ilkay auf dem Platz gegeben.“ (In einem wichtigen Spiel gegen Estland erzielte Gündogan zwei Tore.)
Soll heißen: Wenn einer für uns Tore schießt, darf er auch Likes für Bilder geben, die kriegerische Handlungen befürworten (so interpretiere ich die „Soldatengrüße“).
Oder im Falle von Handke: So lange einer schöne poetische Bilder formuliert, kann er auch Grabreden für Kriegsverbrecher halten.
Diese Art der Moral ist mir zutiefst zuwider. Weder kann noch will ich hier trennen zwischen Künstler und Werk.
Handkes, Gündogans, ihre Versteher, Entschuldiger , Relativierer und Befürworter wird es immer geben. Manchmal brauche ich da eine extra große Portion Seelenreiniger:
Peter Teuschel
Bild © Peter Teuschel
Den Widerwillen gegen derart gespaltene Moral kann ich durchaus nachvollziehen, ABER: große Werke entstehen nicht durch den vollkommen einwandfrei-moralischen Menschen. Der eindeutig moralisch gute Dichter wird gute Literatur schaffen, aber eben immer einseitig beiben, vielleicht auch diesseitig. Goethe verhielt sich im Leben nicht moralisch gut (Biografie von Sigrid Damm) und seine Dichtung ist ausgewogen erstklassig. Der Extremfall ist die sozialistische Literatur. Künstlerisch wertlos, aber hochmoralisch, der Arbeiter als Held der Geschichte, komplett verklärt.
Ich gaube, ein weiteres Problem kommt hinzu: große Dichter sind Schöpfer und haben generell ein Problem mit dem Opferdasein. Opfer widerspricht Schöpfertum. Deshalb wird das Schwache, Krankheit und Tod von den ganz Großen so oft ausgeklammert, verherrlicht, gemieden. Mir sind die Realisten auch sympathischer, aber die erstklassigen Großen möchte ich ebenfalls nicht missen. Sie sind nämlich die wirklich Unsterblichen. Ich kann hier schon trennen. Sie leben in anderen Welten als wir Normalbürger.
Handke hätte sich einfach politisch zurückhalten müssen, so hat er den Literaturnobelpreis nicht verdient -finde ich, aber nur menschlich gesehen, gerade in Zeiten, wo man Geschichte auf die leichte Schulter nimmt, ist das ein falsches Zeichen, was aber seiner literarischen Meisterschaft keinen Abbruch tut.
Mal mit dem Seelenreiniger anfangen: auch wenn ich wenig klassische Musik höre, aber Danke für die wunderschöne Musik!
Mich wundert immer, wie durchdacht und klar Sie ihre Beiträge schreiben. Den Kommentar von Osterhase finde ich wohl wirklich gut, sagt im Prinzip ergänzend viel! Ist realistisch, denn kein Mensch ist immer ungespalten moralisch.
Ich habe Bücher von Peter Handke in jungen Jahren sehr interessiert verschlungen, da war der auch noch jünger, nicht aber über die Zeit ab und nach den Jugoslavienkrieg. Wenn Peter Handke sagt: soviele Journalisten fragen und urteilen über mich, aber was haben sie wirklich gelesen von mir? sagt das ja nun auch einiges. Weiß denn einer, warum er sich auf Seiten von Kriegsverbrechern gestellt hat? Weiß jemand, ob das mit seinem weiteren Familienkreis zu tun hat, weiß jemand, ob er aus ganz privaten Gründen Partei für`dunkle Seiten´ergriffen hat und undifferenziert privat politisch agiert hat. Gut, jemand, der ein Vorbild ist, sollte sich gut überlegen, was er in die Öffentlichkeit trägt.
Gut, solche Art Moral , wie oben beschrieben,verabscheue ich auch, aber ihr Satz : -Weder kann noch will ich hier trennen zwischen Künstler und Werk.- hat auch einen kleinen Fauxpas: das Wörtchen hier nämlich. Entweder man verabscheut grundsätzlich solche Art Moral und trennt grundsätzlich nicht zwischen Künstler und Werk oder man deutet Moral mal so und mal so, je nachdem, ob man Künstler mag oder nicht. Und das wäre auch gespalten moralisch.
Herr Dr. Teuschel, haben Sie mal in der Zeitonline den Nobel-o-mat -Test gemacht? Kann man denn den Nobel-Preis heute überhaupt noch ernstnehmen?
Zum besseren Verständnis von Peter Handke generell und speziell im Fall der Äußerungen über den Jugoslawienkrieg, empfehle ich uneingeschränkt den Film von Corinna Belz „Peter Handke. Bin im Wald. Kann sein, daß ich mich verspäte“. Hier wird der Mensch „Peter Handke“ ziemlich gut in all seinen inneren Widersprüchen dargestellt, finde ich.