Immer erkenntnisreich: Der Partner des Patienten in der Sprechstunde

Über die Jahre hinweg habe ich sie schätzen gelernt. Sie bringen Überraschung in die Sprechstunde. Sie eröffnen mir ganz neue Sichtweisen. Sie sind ein Stück Ehrlichkeit.

Die Rede ist von den Besuchen der Partner meiner Patienten(1) in der Sprechstunde.

Obwohl jeder Besuch anders verläuft, habe ich doch im Laufe der Zeit ein paar Grundprinzipien festgestellt. Archetypen von Dreiergesprächen sozusagen.

 

Ausgangssituation 1:

Der Partner kommt mit zum Ersttermin.

Hier unterscheide ich zwei Varianten:

  • Der Partner begleitet den Patienten aus Sorge und um ihn nicht alleine zu lassen.
  • Der Partner begleitet den Patienten, um sicherzustellen, dass er auch wirklich zum Psychiater geht. Außerdem soll überwacht werden, dass der Patient auch wirklich alles sagt (vor allem das, von dem der Partner glaubt, dass es wichtig ist). Eine Variante hiervon ist, dass der Partner auch schon den ersten Termin für den Patienten vereinbart. Sozusagen ein retrogrades Paargespräch.

Während Punkt eins rührend und meist ein gutes Zeichen ist, birgt Punkt zwei gewisse Risiken. Zum Beispiel kann es geschehen, dass der Partner auf alle Fragen des Arztes antwortet oder den Patienten korrigiert, wenn er etwas sagt, dass zwar dessen subjektiver Wahrnehmung entspricht, aber die (immer objektive!) Sichtweise des Partners außer Acht lässt.
In jedem Fall gibt die Ausgangssituation, in der der Partner gleich zum Erstgespräch mitkommt, meist einen ersten Einblick in die Beziehungsdynamik des Patienten.

Ausgangssituation 2:

Ich schlage vor, dass der Partner doch einmal mitkommen soll. Hier gabelt sich wieder der Weg:

  • Der Patient ist erfreut.

– Er hofft, dass der Arzt dem Partner „ins Gewissen redet“.

– Er hofft, dass der Arzt erkennt, dass der Partner Schuld hat am Leiden des Patienten.

– Er will, dass der Partner in die Therapie mit eingebunden wird.

– Er will dem Arzt zeigen, was für einen guten/witzigen/ attraktiven Partner er erwischt hat.

  • Der Patient ist sichtlich erschrocken.

– Er fürchtet, der Partner könnte ihn in ein schlechtes Licht rücken.

– Er glaubt, der Partner könnte den Arzt auf die „falsche Seite“ ziehen.

Früher konnte ich meinem Arzt vertrauen, aber seit dem Dreiergespräch mit meinem Partner ist er irgendwie anders

Früher konnte ich meinem Arzt vertrauen, aber seit dem Dreiergespräch mit meinem Partner ist er irgendwie anders (CC Ron Riccio)

– Er hat Angst, der Partner könnte dem Arzt „die Wahrheit sagen“.

– Er hat Angst, der Arzt könnte enttäuscht sein, was er sich für einen schlechten/langweiligen/hässlichen Partner ausgesucht hat.

 

Nach meinem Vorschlag für ein Dreiergespräch gibt es naturgemäß wieder einige Varianten:

  • Der Partner kommt nicht.

– Der Patient hat es ihm nicht ausgerichtet. Er hat ihm abgeraten. Er hat ihm gedroht, nur ja nicht „etwas Falsches“ zu sagen, woraufhin der Partner sich nicht zum Gespräch traut.

– Der Partner hat kein Interesse oder keine Lust. Die Psycho-Nummer nervt ihn. Psychiater haben ja selbst einen an der Klatsche. Die Beziehung ist ohnehin kaputt/ die Beziehung ist ohnehin so stabil, dass es kein Dreiergespräch braucht.

– Wenn der Partner fernbleibt mit dem Argument, er wolle die Behandlung nicht beeinflussen, liegt meist einer der beiden anderen Punkte vor.

  • Der Partner kommt. Jetzt wird es spannend!
Dreiergespräch. Falls jemand rätselt: Der Therapeut ist der mann rechts im Bild. Kenntlich am iPad, ohne das ein gescheites Dreiergespräch unvorstellbar wäre

Dreiergespräch. Falls jemand rätselt: Der Therapeut ist der Mann rechts im Bild. Kenntlich am iPad, ohne das ein gescheites Dreiergespräch unvorstellbar wäre. Vielleicht ist es aber auch ein Skizzenblock, auf dem der Therapeut Paarportraits erstellt.

– Er macht dem Arzt Vorwürfe, dass der Patient noch nicht gesund ist.

– Er macht dem Arzt Vorwürfe, dass er zum Dreiergespräch kommen musste und doch gar keine Zeit hat.

– Er wundert sich, was er hier soll. Schließlich sei der Patient der Patient und nicht er.

– Er sitzt mit verschränkten Armen da und taxiert den Arzt mit abschätzigem Blick.

– Er nutzt die Gunst der Stunde, um den Patienten in die Pfanne zu hauen nach dem Motto: Endlich hört mir mal einer zu. Variante: Eigentlich geht es mir viel schlechter als dem Patienten.

– Er nutzt die Gunst der Stunde, um Dinge anzusprechen, die in der Beziehung schon lange nicht mehr ausgesprochen wurden.

– Er ist eigentlich ein Partner, der zum Erstgespräch mitgekommen wäre, aber sich ehrlich zurücknimmt und nicht in den Vordergrund spielen will.

– Er nutzt die Gunst der Stunde, um den Partner seiner Unterstützung, seines Mitgefühls und seiner Liebe zu versichern.

Natürlich gibt es in der Praxis noch viel mehr Spielarten des Themas „Der Partner des Patienten im Dreiergespräch“. In jedem Fall aber ist nicht nur das Gespräch an sich, sondern das Verhalten und die Einstellung des Partners vor, während und nach dem Termin eine Quelle der Erkenntnis für den Arzt.

Besonders erfreulich ist es, wenn – wie neulich – eine Patientin mir verwundert mitteilt, dass sie sich nie gedacht hätte, dass ihr Partner tatsächlich so sehr zu ihr steht, weil er das zu Hause noch nie gesagt hat. Im Dreiergespräch hatte er aber keinen Zweifel daran gelassen, wie wichtig ihm die Beziehung ist.

Manche Dinge sagen sich leichter im Beisein des Arztes oder Therapeuten als in der Intimität der Beziehung. Klingt seltsam, ist aber so.

Peter Teuschel

(1) Aus Gründen der Einfachheit verwende ich die männliche Form, wenngleich stets beide Geschlechter gemeint sind.

Dreiergespräch: Bild © Adam Gregor – Fotolia.com

9 Responses
  1. Fehlt noch Archetyp 3 – der Inkognito-Partner, der den Partner nicht begleitet, weil er befürchtet, er müsse in der Sprechstunde bleiben und der Patient kann geheilt nach Hause gehen.
    Auch wenn sie Ihnen nicht vis a vis zu Gesicht bekommen, er ist Ihnen sicherlich auch schon begegnet. 😉

  2. Lieber Peter, vielen Dank für die ermunternde Zusammenfassung – schönes Thema! Mit fällt noch der Fall ein, in dem nur einer der beiden kommt und von der ersten bis zur letzten Sitzung behauptet, eigentlich müsse sein Partner an seiner statt beim Arzt sein, der dies jedoch ein wenig anders sieht…

  3. osterhasebiene langnase Antworten

    Vielleicht wird manches erst wirklich, wenn es laut vor einem Zeugen ausgesprochen wird. Deshalb braucht es bei der Eheschließung auch einen Trauzeugen, damit das „ja“ auch wirklich stimmt und nicht mehr so ohne Weiteres zurückgenommen werden kann oder dass der eine nicht im Nachhinein behaupten kann, der andere hätte sich doch wohl verhört, das habe er ja nie so behauptet oder gemeint. Etwas laut vor einem Dritten zu sagen, ist was ganz anderes als das „Gemunkel“ zu zweit, ein Wort zu dem man dann auch stehen muss. Das hat eine andere Verbindlichkeit.

    • Verbindlichkeit? MUSS man zu dem stehen, was man vor einem anderen LAUT sagt? Sicherlich nur temporär! Herr Dr. Teuschel wäre bald arbeitslos, wäre es so einfach.

      Der Trauzeuge bezeugt, dass man sich „traut“, nicht, dass man sich vertraut und es ernst meint.

      Das können nur die zwei für sich selbst entscheiden – auch, ob sie es wieder zurücknehmen wollen.
      Gäbe es sonst so viele Scheidungen? 🙂

      • osterhasebiene langnase Antworten

        Müssen tut man grundsätzlich gar nichts, aber man kann dann nicht einfach so tun, als wäre gar nichts gewesen. Alles weitere verlangt dann eine neue Entscheidung. (Entschuldugung fürs „man“, hier: der Einfachheit halber verwendet)

    • osterhasebiene langnase Antworten

      Weil mich dieses Thema einfach nicht loslässt…es geht hier nicht um Misstrauen dem Partner gegenüber oder um ein sich Absichern des Gesagten/Versprochenen oder ein Festnageln des anderen. Es handelt sich in der therapeutischen Sitzung vielmehr um das „Zur-Eigenen-Sprache-Findens“ – denke ich. Dafür ist ein trennender Dritter notwendig (J. Lacan). In der menschlichen Entwicklung ist das eine Vaterfigur=Gesetz, das die symbiotische Einheit mit der Mutter durchbricht (also das wortlose Verstehen). Damit wird die individuelle Entwicklung eingeleitet (Autonomie und Verantwortung=Erwachsensein) und parallel dazu entwickelt sich die (eigene) Sprache. Sprache dient dem (vergeblichen)Versuch, sich der paradiesische Einheit oder dem Nicht-Getrenntsein wieder anzunähern. Sie drückt den (lebenslangen) Mangel des Individuums aus und versucht ihn zu beheben oder zu mildern. Daher funktioniert das „Lese-mir-meine-Wünsche-von-den-Augen-ab“ in einer Beziehung nicht.In der Therapie wir hier also m.E. ein Defizit in der kindlichen Entwicklung bearbeitet. Na ja, das sind wohl die (schon fast vergessenen) Nachwirkungen eines Germanistikstudiums!

  4. Ein guter und wichtiger Bericht. Diese, bzw. ähnliche Erkenntnisse können auch außerhalb des therapeutischen Rahmens gemacht werden. Schön, dass Sie die Ehrlichkeit erwähnen. Von Wahrheiten wird so oft gesprochen, bzw. geschrieben. Davon gibt es so viele. Ehrlichkeit nur eine.
    Die oft als Argument hervorgehobene Objektivität haben Sie auch, vermutlich wohlwissend, genannt. Diese gibt es nicht, und doch klammern sich viele Menschen an ihr fest.

    Schöne Grüße, maro

    • PS: das Foto des metallnen Zombies mit dem Untertext ist mal wieder ein Volltreffer!
      Diese Einlagen sind einfach immer wieder gelungen. :-))

  5. Immer wieder erkenntnisreich: Was sich Psys so über ihre Patienten und deren Angehörige für Gedanken machen. Ohne Schubladen geht’s wohl nicht…
    NIchts für ungut, Motzki

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