Beim ESC 2019 war wieder mal etwas zu sehen und zu hören, das – politisch korrekt – immer mehr zum Phänomen wird. Sowohl die israelische Vorjahres-Siegerin Netta als auch zum Beispiel eine Akteurin bei Bilal Hassani sowie deren vier bei John Lundvik waren deutlich adipös.
Darüber bräuchte man jetzt kein Wort verlieren, wenn ich nicht den Eindruck hätte, dass das letztlich wieder so etwas Inszeniertes, so eine „Ich bin okay, du bist okay“- Rattenfängerei ist. Manchmal scheint es mir, dass ein Künstler (sei er Sänger, Fotograf, Maler oder Regisseur), will er maximale Toleranz demonstrieren, an einem Quoten-Dicken nicht vorbei kommt. Vielleicht ist es ja auch nur ein Abgrasen von Klicks/ Likes/ Downloads bei einschlägig vorbelasteten Zuschauern.
Was mich dabei wundert, ist, dass vor allem im LGBT-Bereich offensichtlich die Bereitschaft besteht, Adipositas als etwas „Alternatives“ darzustellen. Die Botschaft ist: Egal, ob du schwul, lesbisch oder sonstwie queer bist, du bist schon okay. Das kann ich auch unterschreiben, aber trifft das wirklich auf die Superdicken zu?
Ich spreche hier nicht von einer menschlichen Dimension, da steht außer Zweifel, dass eine Frau oder ein Mann nicht mehr oder weniger „wertvoll“ ist, wenn er mehr oder weniger wiegt.
Aber der gesundheitliche Aspekt wird dabei leider völlig außer Acht gelassen. „Gesundes“ Dicksein ist eines der modernen Märchen. In Wahrheit häuft man Risikofaktoren für verschiedenste Erkrankungen auf sich, wenn man übergewichtig ist. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass man sich stolz und selbstbewusst zur Schau stellt.
So gesehen ist mir mulmig, wenn ich diese Art einer „forcierten Normalisierung“ der Adipositas sehe. In meinen Augen werden hier Menschen missbraucht, wenn in einem Video oder einer Bühnen-Show auf jeden Fall eine Dicke oder ein Dicker dabei sein muss. Für mich ist das Instrumentalisierung und dadurch letztlich doch auch wieder Diskriminierung.
Da ich beruflich viel mit essgestörten Menschen zu tun hatte und habe, seien es anorektische Frauen oder bulimische Männer (oder vice versa) und weiß, wie viel Leid gerade die Adipositas sowohl auf körperlichem wie auf seelischem Gebiet erzeugt, halte ich es für unverantwortlich, einem breiten Publikum zu suggerieren, dass zu dick Sein schon okay wäre. Ist es nämlich nicht. Es ist gesundheitsgefährdend, sonst nichts.
Peter Teuschel
(Israel Kamakawiwoʻole wurde nur 38 Jahre alt. Was hätte dieser wunderbare Musiker und politisch aktive Mensch nicht noch alles erreichen können, hätte ihn seine Adipositas nicht vor der Zeit aus dem Leben gerissen …)
Bild © Peter Teuschel
Wenn ich dies alles lese, bekomme ich wieder einmal eine riesengroße Wut. Eine Wut darauf, daß das Gros unserer Mitmenschlein alles, na ja fast alles, nur für ihr eigenes Wohl instrumentalisieren. Brauchen wir wieder einen Krieg oder mindestens eine große Katastrophe, um zu lernen, daß wir in einem ausgewogenen Miteinander mehr bewirken können als in unserem egomanen
Gebaren? Schauen wir als nächstes auf unsere Politiker: Herr Spahn: dies ist mir zu unterkomplex (hätte er Germanistik studiert, wüßte er daß es diesen Ausdruck gar nicht gibt und wäre zweitens nicht so arrogant). Er agiert doch nur im Sinne seines persönlichen Wohlergehens…
Herr Lindner: Der Umweltschutz sollte den Fachleuten überlassen bleiben. Sag mal, gehts noch, weshalb haben wir Politiker als Interessensvertreter unserer Belange gewählt? Zu ihrer eigenen Befriedigung? ….. Morgen mehr. Justina
Ja, das ist es -Adipositas- einfach nur gesundheitsgefährdend…und es hat seine Gründe, psychische und körperliche, und es verursacht Leiden. Wer einmal diesen „Körperwahn“= Essstörung hatte, der weiß ein Lied davon zu singen. Es bedarf jahrelanger, harter, mentaler Arbeit, um diesen „Vogel“ loszuwerden. Das muss noch nicht mal hardcore (Bulimie oder Anorexie) sein, es reicht der ganz „normale“ Jojo-Effekt (10 kg plus-minus). Die Hölle, wenn man ständig ans Essen denken muss…
Sehr geschätzter Herr Dr. Teuschel,
ich kann Ihre Zeilen durchaus nachvollziehen, dennoch verwundert mich Ihre Vehemenz.
Unbestreitbar ist eine adipöse Erkrankung, welches Ausmaßes stets eine unbestreitbar, medizinisch zu betrachtende und behandlungsbedüftigende Erkrankung.
Wie auch jede andere Essstörung, die nicht sichtbar ist. Es steht mir sicherlich nicht zu, denke jedoch, dass durchaus weit mehr Teilnehmer oder Teilnehmerinen davon betroffen sein könnten und insbesondere Ihre Praxis frequentieren.
Ich habe des ESC nicht gesehen, deshalb kann ich mich nur auf Ihren Beitrag beziehen. Man dreht sich nicht als Satelit in dem ESC ohne später zu erkennen, man ist nicht mehr Frau seiner Privatsphäre und sein Körper(Bild) dauerhaft der öffentlichen Meinung anzupassen. Der Inhalt der Performance weicht anschließend nur dem öffentlich geforderten Bild.
Eine krankhafte Abweichung vom Normalgewicht ist immer behandlungwürdig, bedeutet jedoch nicht, man könnte nicht eine musikalische Botschaft oder einen nachhaltig positiven Fingerprint auf Menschen hinterlassen.
Ich denke, in Bezug Israel Kamakawiwoʻole übersehen Sie regional-landestypische Traditonen und Vorlieben. Dick und richitg fett zu sein, ist (war) durchaus ein Zeichen von Reichtum, Würde und Fortpflanzungfähigkeit in Hawaii. Nicht umsonst, sondern traditionell zeigt er seinen nackten, fetten Oberkörper. Dafür lieben wir auch Buddha.
Wie könnte man annehmen, dass er noch ausdruckvoller eine weltweite Botschaft hätte verbreiten können.
Um Menschen zu helfen, Ihr Leben, Ihre Defizite zu gestalten, ist es m. E. nicht hilfreich über Quoten zu reden noch darüber nachzudenken und andere dazu anzuhalten. Jeder Mensch lässt sich mehr oder weniger instrumentalisieren. Gut, dass auch die Dicken lernen darüber zu stehen und sich mit ihren Stärken und Schwächen zu zeigen.
Ich werde demnächst genauer hinschauen, ob es so etwas wie Quoten-Idioten, Quoten-Durchschnittliche, Quoten-Gewichtige noch interessanter Quotenvorurteilsfreiresistenze gibt. Ich befürchte, einen Teil davon würde ich umgehend zum Arzt schicken
LG Sopie
Sehr geehrter Herr Teuschel,
meine Meinung zu dem von Ihnen geschilderten Sachverhalt ist eine gänzlich andere als die Ihre. Ich bin zwar nicht adipös, aber doch übergewichtig. Meine Kilos kamen mit dem Clozapin, das ich leider nehmen muss, da andere Neuroleptika entweder nicht halfen oder noch unangenehmere Nebenwirkungen mit sich brachten. Dadurch, dass dicke Menschen sichtbarer geworden sind und sich auch in ihrem Körper wohlfühlen können und dies auch kommunizieren, habe ich wieder mehr Selbstbewusstsein erlangt und fühle mich nicht mehr nur schlecht. Dieses „Du bist dick, du bist okay“ ist für mich eine wichtige Botschaft, ist Seelenhygiene. Wenn ich das Clozapin absetze und wieder abnehme, dann um den Preis eines psychotischen Schubes (das hatte ich vor ein paar Jahren „ausprobiert“). Soll ich mich die ganze Zeit schlecht fühlen, weil mein Körper den Normen nicht entspricht? Soll ich bei jedem Bissen, wenn es mal kein Salat ist, sondern vielleicht eine Pasta, ein schlechtes Gewissen haben? Und ja, ich esse gesund und ich mache sogar Sport. Solche Leute wie Netta oder Tess Holliday sind für mich Vorbilder. Ich will mich nicht verstecken müssen, nur weil ich dick bin. Und ich will auch nicht immer schief angesehen werden. Ich möchte einfach ein schönes Leben haben können, so wie alle anderen es ja auch wollen. Ob dick oder nicht, sollte keine Rolle spielen.
So unterschiedlich sind unsere Standpunkte gar nicht, und dann aber doch ganz verschieden.
🙂
Natürlich sollen Sie selbstbewusst sein und sich auch überhaupt nicht verstecken! Es geht in meinen Augen gar nicht darum, dass Ihr Körper „den Normen“ entspricht.
Mit Ihrem Gewissen („Pasta statt Salat“) müssen Sie sich naturgemäß selbst auseinander setzen. 😉
Es spielt aber durchaus eine Rolle, „ob dick oder nicht“. Nicht auf der menschlichen Ebene, sondern auf der gesundheitlichen. Und da sehe ich Netta und die anderen doch sehr zwiespältig. Die Botschaft „Ihr seid keine Menschen, die sich verstecken müssen“ ist okay, aber sich vorzumachen, dass Übergewicht keine Rolle spielt, ist unsinnig und gefährliche Augenwischerei. Ich verstehe, wenn jemand Netta als Ausgleich für so manchen fehlgeleiteten Körperkult sieht, aber als Vorbild?
Meine Kritik in dem Beitrag richtet sich auch in erster Linie an all die, die mit „Quoten-Adipösen“ auf „Stimmenfang“ (beim ESC etc.) gehen. Ich sehe dahinter kein echtes Engagement für die Sache, sondern nur kommerzielles Interesse.
Ihnen persönlich wünsche ich alles Gute (und dass Sie möglichst viel von dem erwähnten „schönen Leben“ abkriegen). Clozapin kann gewichtstechnisch echt fies sein, ist aber ansonsten ein sehr gutes Medikament. Halten Sie Kurs!
🙂
Unter dem gesundheitlichen Aspekt ist es genauso erwähnenswert, das dem Mode-Kommerz dienende Modelbild dürr verhungert und groß bis hin zur tödlichen Magersucht anzugehen,das Normal- bis leicht Übergewichtige schon zu hässlichen Dicken abstempelt,bestimmt schon seit den 60er Jahren, die gefälligst in Fitnessstudios ihre Kilos abspecken sollen und vielen ein krankes Körperbild eintrichtert. Bullimie und Anorexie lassen Trend-grüßen. Ich habe Netta komischerweise nur als genial, witzig und außergewöhnlich gesehen, und Sängerinnen im Soul-Bereich oder auch Opernsängerinnen sind gar nicht so selten adipös, da steht das Können doch aber im Vordergrund. Der Öffentlichkeit klarzumachen, das weder zu Magersüchtig noch zu Dick gesund ist, haben viele Institutionen auch in Medien schon, aber soll man beim ESC den Künstlern sagen: Du darfst nur auftreten, wenn du bis so und soviel an Kilos wiegst?? Kommerzielles Interesse Stichwort: dick, alt, hässlich, arm weggebuht und ausgegrenzt, egal ob großes Talent für etwas, schlank bis mager,schön,jung,wohlhabend im Focus der Öffentlichkeit, egal ob strohdumm und untalentiert. Das adipös natürlich gesundheitlich bedenklich ist, sollte klar sein, aber nicht Thema für künslerische Veranstaltungen. Kann man doch genauso für alle Künstler,wie z.B.so einen Meat Loaf mit seinem Sauerstoffzelt früher anbringen,oder? Ist das wirklich eine Quotenmasche mit den Dicken? Oder trauen sich Dicke wieder mehr, weil das Anders für andere neues Interesse bedeutet. Gegen das Einheits-Schön-Klappergestell-Ideal , das langsam langweilig wird.
Möglicherweise sind das die Auswirkungen der Fatacceptance-Bewegung sowie fehlgeleiteter Anti-Magersuchts-und-Bulimie-Kampagnen … .
Zitat:
„Da ich beruflich viel mit essgestörten Menschen zu tun hatte und habe, seien es anorektische Frauen oder bulimische Männer (oder vice versa) und weiß, wie viel Leid gerade die Adipositas sowohl auf körperlichem wie auf seelischem Gebiet erzeugt, halte ich es für unverantwortlich, einem breiten Publikum zu suggerieren, dass zu dick Sein schon okay wäre. “
Meinen Sie mit Adipositas an dieser Stelle die Essstörung Binge-Eating oder warum nennen Sie eine Gewichtsbewertung (adipös) im Zusammenhang mit Essstörungen wie Bulimie etc.?
Ich frage nur nach, weil ich Sie bis zu der Stelle so verstehe, dass Sie sich rein auf die Gewichtsbewertung beziehen, nicht auf etwaige psychische Erkrankungen. … Reicht ja, dass auch hier in den Kommentaren teilweise Gewichtsbewertungen wie untergewichtig mit der psychischen Erkrankung Magersucht munter synonym verwendet werden und z.B. in dem Kommentar über mir Magersucht als Gegenteil von Adipositas dargestellt wird (das Gegenteil von Adipositas wäre richtigerweise so gesehen Untergewicht, nicht Magersucht).
@BINE
Zitat:
„Unter dem gesundheitlichen Aspekt ist es genauso erwähnenswert, das dem Mode-Kommerz dienende Modelbild dürr verhungert und groß bis hin zur tödlichen Magersucht anzugehen,das Normal- bis leicht Übergewichtige schon zu hässlichen Dicken abstempelt,bestimmt schon seit den 60er Jahren, die gefälligst in Fitnessstudios ihre Kilos abspecken sollen und vielen ein krankes Körperbild eintrichtert. Bullimie und Anorexie lassen Trend-grüßen. “
Die „tödliche Magersucht“ bekämpft man nicht, indem man Mitmenschen wie Models, die groß gewachsen und sehr dünn sind, abwertet und verächtlich macht; das sind ebenso Menschen wie Sie und ich.
Außerdem liegen die Ursachen für derartige Erkrankungen wie Bulimie, Magersucht etc. idR nicht beim „Mode-Kommerz“, auch wenn das so oft bei diesem Thema gepredigt wird.
Wobei ich ja doch manchmal gerne wüßte, wie viele Betroffene diejenigen, die solche Behauptungen in die Welt setzen, eigentlich persönlich mitsamt der jeweiligen Krankheitsgeschichte kennen … .
Zitat:
„Der Öffentlichkeit klarzumachen, das weder zu Magersüchtig noch zu Dick gesund ist“
Was soll denn bitte „zu magersüchtig“ sein? Das impliziert, dass es aus Ihrer Sicht einen gesunden magersüchtigen Bereich gäbe … .
Da Sie wohl inhaltlich eigentlich Untergewicht meinen dürften: Magersucht ist etwas anderes, als Untergewicht. Wer untergewichtig ist, muss z.B. nicht magersüchtig sein, auch wenn das einigen Mitmenschen schwer fällt, zu begreifen.
Mit Adipositas meine ich in diesem Kontext nicht die Essstörung Binge-eating, sondern Adipositas an sich.
Die implizite Behauptung, dass allein das zur Adipositas führende Essverhalten „essgestört“ ist, ist mir bewusst.
Alle anderen Anmerkungen kann ich gut nachvollziehen.