Depot-Neuroleptika in der Abendsprechstunde

Neulich, bei der Praxisbesprechung:

Wir sind immer bemüht, die Sprechstunde in unserer Praxis zu strukturieren und effizient zu gestalten. Für die Patienten bedeutet das kurze Wartezeiten und übersichtliche Abläufe. Nachdem uns aufgefallen war, dass die Patienten, die eine Depot-Spritze bekommen, bisher in einem Zeitfenster einbestellt wurden, bei denen dann doch Wartezeiten aufgetreten sind, haben wir auch hier nach Abhilfe gesucht und feste „Spritzenzeiten“ eingeplant.

Depotspritzen sind Neuropleptika, also Medikamente zur Behandlung von (meist schizophrenen) Psychosen. Diese Applikationsart, nämlich das Medikament intramuskulär zu verabreichen, hat den großen Vorteil, dass der einzelne Patient etwa einmal im Monat zum Termin erscheint und seine Spritze bekommt. Er muss also nicht auf tägliche Einnahme achten, kann seine Medikation nicht vergessen und hat einen gleichbleibenden Wirkspiegel.

Als wir die Patienten durchgegangen sind, die zum „Spritzentermin“ einbestellt werden sollen, kam der Hinweis, dass wir für einige auch einen Termin in den Abendstunden bereitstellen müssen, weil diese Patienten nach ihrem Arbeitstag dann noch in der Praxis vorbeikommen können, um sich die Spritze geben zu lassen.

An dieser Stelle bin ich bei unserer Besprechung gedanklich etwas abgeschweift. Ich dachte zurück an meine Anfangsjahre in der Psychiatrie und an die damaligen Patienten mit Depot-Neuroleptika. Ich kann mich heute an keinen dieser Patienten erinnern, der in der Lage gewesen wäre, einem Beruf nachzugehen. Das lag zum einen natürlich an der Erkrankung, zum anderen aber auch an den Nebenwirkungen der Medikamente. Wer früher mit einem Neuroleptikum behandelt wurde, dem hat man es meistens angesehen. Die Steifigkeit der Glieder, das reduzierte Mitschwingen der Arme aufgrund des medikamentös bedingten „Parkinsonoids“, das gelegentliche „Auf-der Stelle-Trippeln“ durch die so genannte „Akathisie“, ein vermehrter Speichelfluss, all das waren in vielen Fällen untrügliche Anzeichen einer neuroleptischen Behandlung. Undenkbar, dass jemand in diesem Zustand einer Arbeit hätte nachgehen können.

Gewirkt haben diese „alten“ Neuroleptika auch, aber was die Nebenwirkungen anbelangt, so ist durch die Entwicklung neuer, nebenwirkungsarmer Medikamente ein großer Schritt nach vorne erzielt worden.

Heute besprechen wir mit unseren Patienten, wie es ihnen in der Arbeit geht. Einige bringen ihren Partner mit zum Termin. Früher waren diese Patienten oft nicht in der Lage, eine Partnerschaft zu führen. Die Behandlung mit einem Neuroleptikum sind man ihnen in den allermeisten Fällen nicht mehr an.

Auch wenn die Fortschritte einem manchmal langsam erscheinen, so hat sich doch viel getan in der Behandlung schizophrener Frauen und Männer.
Eine Abendsprechstunde für Patienten mit Depot-Neuroleptika anbieten zu müssen, weil diese dann erst von der Arbeit kommen können, ist ein gutes Zeichen.

Peter Teuschel

Beitragsbild: © Gino Santa Maria – Fotolia.com

2 Responses
  1. Zum Glück gibt es heute solche Medikamente. Vor wenigen Jahrzehnten waren psychische Erkrankungen wie diejenigen, die mit Neuroleptika behandelt werden, praktisch nicht in den Griff zu bekommen. Patienten befanden sich jahrelang in der Psychiatrie, wurden schikanös behandelt und von ihren Anhörigen und der Gesellschaft meist verachtet (wenn nicht gar ermordert (3. Reich)). Leider ist das in der Gesellschaft meist nicht klar und Psychopharmaka werden auch heute noch gnadenlos verunglimpft obwohl die Menschen, die darüber urteilen, keine Ahnung davon haben. Der medizinische Fortschritt diesbezüglich ist wirklich hilfreich! Man muss sich das wirklich einmal klar machen!

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