„Wiederentdeckte“ Erinnerungen unter Hypnose: Vorsicht, Falle!

Letzte Woche konnte die Supervisionsstunde mit meiner Assistentin nicht pünktlich starten. Sie war noch eine Viertelstunde am Telefon, um ein notfallmäßiges Gespräch mit einer Patientin zu führen.

Diese hatte sich gemeldet, weil sich ihr „innere Bilder“ aufdrängten und sie bisweilen nicht mehr zwischen Realität und Fantasie unterscheiden könne.

Was war der Hintergrund dieser Entwicklung?

Die Patientin erzählte, sie sei seit einigen Wochen in einer Hypnosetherapie. Dort „sei rausgekommen“, dass ihre Symptomatik (depressiv-ängstliche Beschwerden ohne ersichtlichen Grund) auf einen Missbrauch durch ihren Vater zurückzuführen seien. Sie habe sich bislang an keine Missbrauchssituation erinnern können, aber die Hypnose habe „verdrängte Erinnerungen“ wieder „ans Licht gebracht“. Und seit dieser „Erkenntnis“ komme in den Hypnosesitzungen „immer mehr ans Licht“. Nun sei sie sich sicher, dass auch ihr Onkel sie missbraucht habe.

Ein kurzes Goggeln nach der Hypnosetherapeutin brachte dann zu Tage, dass die Patientin bei einer Heilpraktikerin „in Behandlung“ war und diese die Hypnose als aufdeckendes Verfahren für verdrängte Erinnerungen einsetzt.

Kindlicher Missbrauch gehört zu den existentiell bedrohlichen und schwere seelische Wunden hinterlassenden Erfahrungen.

Nur: Patienten erinnern sich in aller Regel an die Missbrauchssituation. Das Erinnerungsvermögen, das aufgrund der Hirnreifung ab einem Alter von etwa drei, vier Jahren einsetzt, begrenzt die „Aufdeckbarkeit“ von Missbrauchserfahrungen ohnehin auf ein Lebensalter ab diesem Bereich. Früheres kann schlicht nicht erinnert werden.

Was ist ansonsten von Erinnerungen zu halten, die „verschüttet“ sind und erst durch Hypnose wieder „zugänglich“ gemacht werden?

Ganz allgemein sind „wiederentdeckte Erinnerungen“ immer unsicher und unzuverlässig. Hier spielen Suggestibilität, das Verhalten und die Intention des Therapeuten sowie unser Kausalitätsbedürfnis eine Rolle. Die Diskussion über das „false memory syndrome“ ist seit Jahren in Gang. Scheinbare Erinnerungen an Missbrauch, die im Rahmen therapeutischer Situationen auftreten, dürfen nie als gesichert gelten. Zu anfällig ist unsere Psyche für Erinnerungsverfälschungen.

Ich persönlich rate davon ab, Hypnose überhaupt als Instrument zum Aufspüren „verdrängter“ Erinnerungen zu benutzen. Hypnose ist eine wirksame und bewährte Methode, um innere Ressourcen zu mobilisieren, die bei der Bewältigung von Lebensproblemen helfen können. Erfahrene und seriöse Hypnotherapeuten wissen das und gehen mit diesem Thema behutsam um.

All das werden wir unserer Patientin erklären und ihr raten, mit den „Erkenntnissen“ aus der „Behandlung“ durch die Heilpraktikerin sehr sorgsam und mit der gebotenen Vorsicht umzugehen.

Für mich ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr die „Psycho-Szene“, ebenso wie die gesamte „Alternativ-Medizin“ in Deutschland ein Tummelplatz für selbsternannte „Therapeuten“ und „Heiler“ geworden ist. Mit staatlicher Duldung wohl gemerkt. Die zunehmende Versumpfung des intellektuellen Lebens, der Bildung  und der Politik wird immer mehr solche Absurditäten erzeugen. Das Bedürfnis der Menschen nach einfachen Lösungen, nach Mystik, Transzendenz und Spiritualität wird ausgenutzt von Scharlatanen und Rattenfängern.

Wir haben in unserer Praxis natürlich auch Heilpraktikerinnen als Patienten, von denen wir einer oder zwei durchaus zutrauen, einen Menschen sinnvoll zu begleiten und zu betreuen. Es gibt ja immer auch positive Beispiele, wo etwas funktioniert, das im Prinzip völlig falsch läuft.

Deutschland ist an der Oberfläche ein fortschrittliches Land mit eindeutig wissenschaftlicher Ausrichtung. Im Untergrund jedoch sitzt ein atavistischer und anarchischer Dämon, der alles daran setzt, uns wieder ins finsterste Mittelalter zu stürzen. Immer häufiger steckt er seinen Kopf an die Oberfläche, um zu sehen, ob die Zeit schon reif ist.

 

Peter Teuschel

 

Bild © Adobe Stock

One Response
  1. Herzlichen Dank für diesen Beitrag! Ich stimme beiden Punkten zu:
    Hypnose ist ein tolles und effektives Verfahren bei vielen Indikationen (z.B. Schmerzen und Ängsten), im Rahmen einer Traumatherapie oder zum Aufspüren vermuteter Traumata ist sie jedoch m.E. gefährlich und sollte nicht oder nur sehr spezifisch angewendet werden. Überhaupt halte ich die Idee, „verschüttete“ Trauma zu suchen, sehr fraglich. Körpertherapeutisch gibt es z.B. wesentlich sicherere und bessere Methoden, auch mit non-verbalen Erinnerungen oder Körpermustern zu arbeiten, die aus sehr frühen Erfahrungen stammen.
    Auch der Kommentar zum „Heilpraktiker für Psychotherapie“ findet meine volle Unterstützung. Höchstwahrsheinlich gibt es auch da tolle Therapeuten, es fehlt aber einfach jegliche Qualitätssicherung.

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