So eine kleine winzige silberne Kamera

An sich bin ich ja nicht so der München- oder Stadtteil-Blogger. Bis auf meine Kategorie „Psycho München“ halte ich mich aus diesem Genre raus und überlasse das Feld den arrivierten Blogger-Kollegen, die sich auf diese Sparte verlegt haben.

Andererseits gehts gerade bei mir in der Nachbarschaft hoch her und nachdem sich auch eine menschliche Begegnung damit verbindet …

Aber von Anfang an:

Seit Jahren war das Haus an der Pestalozzistraße 2 in München Zankapfel von Politik und Aktivisten. Das marode Haus war jetzt nicht gerade eine Schönheit, aber wie es oft so ist mit dem nicht so Schönen: Es hatte Charakter. Jahrelang zierte ein riesiger Oktopus die Schmalseite. Die unmittelbare Nachbarschaft des Halloween Gore Store und die Tatsache, dass eine Drogenberatungsstelle dort untergebracht war, sorgten für so etwas wie nun ja, Stimmung.

Gestört hat das Haus hier niemanden, im Gegenteil. Angrenzend an das Glockenbachviertel mit seinem manchmal etwas schrägen Ambiente hat es richtig hier reingepasst.

Dann gab es eine Zeit, in der Abbruchpläne kursierten.

Das rief die Aktivisten von Goldgrund auf den Plan, sie protestierten medienwirksam und sprachen sich für die Nutzung als Flüchtlingsunterkunft aus.

Da gab es noch Hoffnung: "NEUSTART"

Da gab es noch Hoffnung: „NEUSTART“

Ein paar Schritte weiter weg war es dasselbe. Das Haus mit den Holzbalkonen (an dem ich fast jeden Tag vorbeigehe) sollte abgerissen werden. Wieder gab es eine Goldgrund-Aktion, diesmal in Gorilla-Kostümen.

Heute habe ich gelesen, dass die Abbruchpläne für die Müllerstraße 2 bis 6 wohl zurückgenommen werden und einer Nutzung als Flüchtlingsunterkunft nichts mehr im Wege steht. Schön.

Leider hat es das Haus in der Pestalozzistraße nicht mehr geschafft. Vor ein paar Tagen habe ich Fotos vom laufenden Abriss gemacht.

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Und jetzt kommt die Stelle, die wieder keiner glaubt, von der jetzt wieder alle sagen „das hat er sich doch ausgedacht“.

Hat er aber nicht.

Als ich die Fotos machte, kam dieser alte Münchner an. Ein großer schlanker Mann um die 80. Mit einer ganz kleinen winzigen silbernen Digital-Kamera.

„Ich weiß ja nicht, was Sie da drüber denken“, sagte er, „geht mich auch nichts an …“

„Na ja“, sag ich, “ da waren ja auch andere Pläne angedacht.“

„Wissen Sie, da haben mal Verwandte von mir drinnen gewohnt. Also ich kenn das Haus innen selber nicht, aber da haben mal Verwandte …. Also gerade hier in München, da hätte man doch  … also wenn man da Wohnungen gemacht hätte, so mit einfachster Ausstattung, so mit billiger Miete, mehr so Unterkünfte, das wär doch für viele besser gewesen als jetzt der Abriss.“

„Ist immer schade , wenn so ein Haus zerstört wird“, sage ich.

„Ja“, sagt er und schwenkt seine kleine winzige silberne Kamera, „die Fotos, die kommen jetzt auf den Computer. Und da bleiben die dann.“ Er lacht und winkt ab.

Er schaut auf meine Canon und meint: „Machen Sie das beruflich?“

„Nein“, sage ich, „bin auch nur privat hier“.

Wir machen beide noch ein paar Bilder, dann verabschieden wir uns.

 

Peter Teuschel

Bilder: ©Peter Teuschel

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3 Responses
  1. Ich finde es wirklich schade dass gerade diese alten charismatischen Häuser, die das Stadtbild seit Jahrzehnten geprägt haben, abgerissen werden und neuem weichen müssen.

    „Neu ist nicht immer besser!“

  2. osterhasbiene langnase Antworten

    Das ist eine sehr sehr schöne Geschichte…und absolut glaubhaft. Darin zeigt sich wohl so etwas wie Wahrheit und wie wichtig es ist, noch rechtzeitig „die Kurve zu kratzen“, aber wenn nicht, dann ist es auch irgendwie richtig, wenn auch traurig.

  3. osterhasebiene langnase Antworten

    Die Geschichte hat mich sehr zum Nachdenken angeregt und jetzt möchte ich noch einen wichtigen Aspekt anfügen. Eine Voraussetzung für echte menschliche Begegnung ist wohl die gegenseitige Wertschätzung. Und das ist (vielleicht gerade für schwarze Schafe) eine der schwierigsten Disziplinen überhaupt.

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