Lady Gaga wieder auf Anti-Stigma-Mission

Bereits in vergangenen Jahren hat Lady Gaga als Kämpferin gegen Mobbing und Ausgrenzung Stellung bezogen.

Aktuell war die erfolgreiche Sängerin und Schauspielerin bei Oprah Winfrey, der lebenden Talk- Legende in den USA. Dort berichtete Stefani Germanotta, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, erneut über eigene Erfahrungen. So sei sie mit 19 Jahren mehrfach vergewaltigt worden, habe das nie richtig verarbeitet und sei deshalb an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt.

Lady Gaga schlägt mit diesen Enthüllungen bewusst einen anderen Weg ein als so viele ihrer Künstlerkolleginnen, die nach außen hin das Image einer perfekten Frau in einer perfekten Welt pflegen. Insofern ist sie als Prominente eine in meinen Augen überaus wichtige Identifikationsfigur für alle, die an einer psychischen Problematik leiden und nicht im Rampenlicht stehen.

Was ich ihr in meiner Eigenschaft als Arzt besonders hoch anrechne, ist ihr Eintreten für die Bereitschaft, sich medikamentös helfen zu lassen.
Viele Menschen haben Angst davor, Medikamente gegen psychische Krankheiten zu nehmen. Ich will, dass diese Stigmatisierung aufhört„, wird sie zitiert.

Die weit verbreitete Abneigung vieler Menschen gegen Psychopharmaka verhindert in vielen Fällen eine schnelle und wirksame Behandlung psychischer Störungen. Stattdessen wird dann irgendein Blödsinn wie Homöopathika oder Bachblüten präferiert. Neben der Psychotherapie ist die Verordnung sinnvoller Medikamente gegen Depression, Angststörungen und Psychosen eine immer noch zu Unrecht geschmähte medizinische Maßnahme. Natürlich muss man bei den verschiedenen Substanzen differenzieren, aber als Patient eines Facharztes für Psychiatrie braucht niemand Angst vor einer medikamentösen Behandlung haben.

Erfreulicherweise mache ich selbst zunehmend die Erfahrung, dass auch viele meiner Patientinnen und Patienten mehr und mehr offen mit ihrer Thematik umgehen.

Künstler wie Lady Gaga sind an dieser Entwicklung maßgeblich beteiligt. Könnte ich einen Anti-Stigma-Preis vergeben, sie wäre meine erste Preisträgerin.

Peter Teuschel

Bild ©Peter Teuschel

4 Responses
  1. Der kompliziertere und langwierigere Weg z.B. bei Angststörung ist dennoch der Weg der Ursachenforschung, denn kein Symptom besteht ohne Grund. Es macht Sinn und im Symptom liegt auch das ganze Potenzial. Die tiefe Einsicht in systemische Zusammenhänge bleibt beim Wegmachen durch Medikamente oft auf der Strecke, weil der Leidensdruck genommen wird. Das darf aber nicht verallgemeinert werden, nicht jeder Mensch besitzt die gleiche seelische Stabilität, Leiden durchzustehen und auszuhalten. Manche verlieren den Mut und zerbrechen daran, z.B. bei stark struktureller Störung (Verlust von Urvertrauen u.ä.). Es kommt darauf an, wie stark der Glaube an die Auflösbarkeit des Problems vorhanden ist – denke ich. Das ist eine Ressource, die nicht jeder Kranke besitzt (hat auch mit Bildung, Charakter und Sozialisation zu tun – kurz: Resillienz). Ich bin sehr froh, im Nachhinein, über meine Angst (die Angst hat 1000 Gesichter). Sie hat mir stets den richtigen Weg gewiesen. Mit Medikamenten hätte ich mich frühzeitig mit etwas zufrieden gegeben, das weitere Probleme nach sich gezogen hätte. Klar, für mein Umfeld wäre das bequemer gewesen. Familieäres Unrecht wäre weiterhin geleugnet worden. Die Hartnäckigkeit, Probleme zu lösen verdanke ich nicht zuletzt dem Symptom. Es kommt darauf an, was man vom Leben erwartet, welche Ziele man sich gesetzt hat -auch auf seelischer Ebene.
    Die zweite Seite der Medaillie Angst ist eben der Mut und die Kraft, die Ressource. Hilfe kommt oft auf wundersame Weise. Auch mein Weg hat durch die Verweigerung der Opferrolle Opfer gefordert, vielleicht hätte frühzeitige Therapie das verhindern können.
    Grundsätzlich ist gegen Medikamente nichts einzuwenden, wenn sie Leiden lindern. Schwierig wird es ausserdem, wenn sich Symptome verselbständigen (z.B. Panikattacken, Depression, Zwang), der bezug zur Ursache also gänzlich verlorengeht. Hier besteht die Gefahr der Chronifizierung. Es besteht die Gefahr, dass sich der Mensch gänzlich selbst verliert.
    Systemische Klarheit lässt nicht selten Sinnhaftigkeit erscheinen, die das Symptom überflüssg macht. Traumatherapie ist nochmal eine andere Geschichte. Trauma ist schwierig über den Verstand aufzulösen, denn der Schrecken sitzt in jeder Körperzelle fest. Der Prozess der Heilung geht sehr langsam über den Weg der Körperintegration. Wenn Medikamente, dann nur begleitend und zeitlich begrenzt, um den Mut nicht zu verlieren, an sich zu arbeiten.
    In jedem Fall ist es sehr mutig von Lady Gaga, dass sie so offen über ihre psychischen Probleme spricht. Wer hat sie nicht – in der einen oder anderen Weise!

  2. Loslassen und Resillienz können Medikamente ersetzen, aber nicht zwingend. Man sollte baldmöglichst die Verantwortung dafür übernehmen, dass man anderen die Täter-Rolle zugestanden hat – aus systemischer Sicht. Meist findet sich die Lösung im Herkunftssystem.

    • Erpressung, Nötigung und Missbrauch sind die Werkzeuge im Täter-Koffer der Mobber…dies alles hat der Gemobbte mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in der Herkunftsfamilie schon erfahren. Es wiederholt sich bis ein klares „Stopp“ erteilt wird. Meist haben die Täter bessere Karten (höherer Rang, Vermögen, Titel). Deshalb kommt es auch nicht selten zur Täteridentifikation (Stockholm-Syndrom). Klare Erkenntnis, wo und wann im Leben Missbrauchs-Opferrollen eingenommen worden sind, ist nötig, um den Fallstricken der Identifikation zu entkommen. Ein glasklares „Nein“ zur Missbrauchsenergie und ein allmähliches Hineinwachsen in eine Bindungsenergie (Kooperation) mit gesunden Strukturen – es ist brutal schwer, aber aus meiner Erfahrung der beste Heilungsweg.

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