Individualisten als Impfskeptiker

Ich gebe zu, ich würde nicht gerne freiwillig mit Menschen aus der Verschwörungsmystikerecke diskutieren, zumindest nicht über deren Verschwörungsmythen. Meine Erfahrung ist, dass das reine Zeitverschwendung wäre.

Nun bin ich beruflich in einer Situation, dass ich sehr viel mit Menschen spreche und das auch sehr gern tue.

Seit Corona gibt es jetzt diese Fraktion, die ein für mich eigenartiges Verhalten an den Tag legt, indem sie sich vom allgemeinen Konsens und der Wissenschaft ab- und oftmals ihren Verschwörungsthemen zuwendet. Die Abwendung vom allgemeinen Konsens wäre nicht schlimm, im Gegenteil lebt unsere Gesellschaft ja von diesen Individualisten, die nicht-konforme Standpunkte einnehmen. Abwendung von der Wissenschaft allerdings ist schrecklich. 

Kein einziger meiner Patienten ist in meiner Behandlung, weil er sich mit Chemtrails, Gatesschen Chips oder ähnlichem beschäftigt. Aber einige wenige Patienten, die wegen anderer Themen bei mir sind, gehören in diese Kategorie der Querdenker, Impfverweigerer und was für Untergruppen es noch so gibt. Und deshalb komme ich nicht umhin, mit ihnen auch darüber zu sprechen. In der Regel macht das keine Probleme, weil ich mich mit den meisten geeinigt habe, dass wir genug andere Themen haben, die wir bearbeiten müssen. Aber mitunter kommt es dann halt doch zu einer Diskussion, in letzter Zeit vermehrt über das Thema Impfung.

Und in Wirklichkeit gibt es nicht nur diese eine, nein, es gibt zwei Gruppen.

Die eine ist schnell abgehandelt, es sind die oben erwähnten Verschwörungsmystiker, die in einer Welt eigener Prägung leben und aus dieser Ecke weder alleine hinausfinden noch von mir herausbegleitet werden können. Deren Impfablehnung ist nur ein Mosaikstein in ihrem bizarren Weltbild, das sich durch die Weigerung eines Abgleichs mit der Realität auszeichnet. 

Die andere Gruppe ist in meinen Augen hochinteressant.

Es sind differenzierte Menschen ohne Verschwörungshintergrund. Sie sind keine Impfverweigerer, sondern Impfskeptiker. Natürlich läuft das im Endeffekt auf das selbe hinaus: Sie sind ungeimpft. Aber vor allem erlebe ich sie als überfordert, ambivalent, oftmals gequält. Und die meisten sehen sich selbst so. Natürlich lesen sie zu viel vom Falschen. Sie hören den falschen Menschen zu. Und so sie wissen nicht, was die Wahrheit ist.
Letztlich haben auch sie sich von der Wissenschaft abgewendet, nur eben nicht in der quasi-wahnhaften Weise der Querdenker. Diese Menschen gehören in meinem Erleben häufig der oben zitierten Gruppe der Nonkonformisten an, es sind oft kritische Geister, unangepasste Zeitgenossen. Mit den meisten komme ich sehr gut zurecht, weil ich (einerseits als Psychiater, andererseits auch als Mensch) ein Faible habe für diese menschlichen „Einzelstücke“, die in keine Schublade passen. Sie leben sich meist nicht leicht, aber sie sind Salz und Pfeffer in unserer Gesellschaftssuppe.

Die Frage, die ich mir stelle, lautet: „ Wie können wir diese Menschen erreichen und ins Boot holen?“

Natürlich fragen sie mich, was meine Meinung zum Impfen ist und ich sage sie ihnen klar und deutlich. Trotzdem fällt es ihnen schwer, sich für diesen Weg zu entscheiden. In meiner Rolle als Arzt habe ich oft den Eindruck, einem generellen Misstrauen ausgesetzt zu sein: „Muss der Teuschel das sagen, weil er Arzt ist?“ (Diesem generellen Misstrauen Ärzten gegenüber nachzuspüren und es zu analysieren wäre nicht nur einen Blogartikel, sondern ein Buch wert, deshalb lasse ich mich an dieser Stelle nicht darüber aus.) In meiner Arzt-Rolle erzähle ich (natürlich anonymisiert) über Patienten, die an Corona erkrankt und verstorben sind, ich berichte über die grausamen Schicksale unserer Long-Covid-Patienten. Aber das reicht nicht. Diejenigen von meinen Patienten, die mich schon länger und besser kennen oder auch diejenigen, die sich trauen, fragen nach meinen privaten Entscheidungen. „Ja, alle in meinem familiären Umfeld sind geimpft.“ Diese Aussage wiegt meist schwerer, weil die menschliche Ebene die Arzt-Patienten-Beziehung immer toppt.

Aber natürlich bin ich nur eine Stimme unter vielen. 

Was müsste passieren, damit wir diese versprengten, leidenden, ambivalenten Individualisten dazu bekommen, sich rational wissenschaftlich zu verhalten? Darüber denke ich viel nach.

Nachdem in den letzten Tagen sich die Veröffentlichung der Single „Imagine“ von John Lennon zum 50. Mal jährte, stelle ich mir vor, er würde eine Update-Version veröffentlichen, ein posthumes „Imagine 2021“ mit einer Strophe, dass sich alle Menschen im Geiste der Aufklärung und der Wissenschaft, des Fortschritts und der Rationalität die Hände reichen und das Richtige tun, um diese Bedrohung unserer Gemeinschaft abzuwehren. Er war ja selbst ein „Einzelstück“ und die Wirkung einer solchen Strophe könnte gigantisch sein. Aber würde er das so schreiben?

Ich sage mal ja. Und wer daran zweifelt, dem entgegne ich: „You may say I‘m a dreamer, but I’m not the only one …“

Peter Teuschel

P.S. Ja, ich weiß, ich habe das schon x-mal verlinkt, aber hey – dafür wurde es geschrieben!

8 Responses
  1. Naja, geschätzter Herr Dr. Teuschel, ein paar Ungeimpfte muss es doch auch geben;) Deswegen sind diese Leute doch nicht gleich krank oder untherapierbar oder… Ambivalenz ist zwar nicht immer angenehm, aber ein sehr guter Entwicklungsmotor. Es führt dahin, gut und böse unterscheiden zu lernen. Wissenschaft ist nicht immer per se gut, sie kann auch bösen Zielen dienen. So einfach ist das alles nicht. Mein Fazit: wir haben in unserer Hochabsicherungsgesellschaft viel zu viel Angst vor dem Tod und verraten dadurch zu leicht unsere Werte.

  2. https://www.spektrum.de/news/ignoranz-warum-manche-menschen-die-fakten-leugnen/1838431

    Vielleicht wird die Angst vor dem drohenden Gesichtsverlust und Verlust der eigenen kreierten Individualität, sollte man sich und anderen eingestehen müssen, mit seiner Meinung, Haltung falschgelegen zu haben, unterschätzt?

    Wissenschaftlich gesehen, muss man sich als Mensch von Menschen verstehen können, nicht als Mensch „unter“Menschen, und dass das eigene Lebensrisiko immer bei 100 % im Gegensatz zu Impfrisiko, welches nur einen verschwindend geringen Anteilteil des Lebensrisiko darstellt, liegt, wenn man zu keiner Risikogruppe gehört.

    Das kann einen überfordern und quälen, weil man sich entscheiden muss, wer man sein will.

  3. Hallo Hr. Dr. Teuschel, eine Antwort auf diese Menschen habe ich auch nicht.
    Aber sie schrieben mit dem „Geiste der Aufklärung und der Wissenschaft, des Fortschritts und der Rationalität“. Das klingt wie eine Religion. Hinzu kommt, das Erkenntnisse dieser Wissenschafts-Religion über Bord geworfen werden, sobald diese durch Neue ersetzbar geworden sind. Ist ja auch ganz normal. So geht Fortschritt. Aufklärung ist, wenn das Alte nicht mehr heran genommen werden kann, weil durch Fortschritt widerlegt, z.B. die Bibel.
    Aber es gibt Menschen, die in Schwanken kommen, wenn sich ein Weltbild verändert. Das ist nichts Festes für sie, aber genau das brauchen sie. Hier kann ich mir vorstellen, beginnen diese Menschen auf der Suche nach etwas Festem sich ein eigenes „Denkbild“ zu erschaffen, das nicht von außen kommt. Vielleicht sind sie deshalb so schwer für andere zu erreichen.
    Übrigens, für die erste der von Ihnen genannten Kategorie von Verschwörungsmystikern habe ich gesten in der ARD-Mediathek eine nette kleine Folge von „Kranitz – Bei Trennung Geld zurück“ gesehen. Folge1: Tine + Jochen – er weint viel.
    Viel Spaß beim gucken.

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