Gewalt durch psychisch Kranke: Online-Tool hilft bei der Einschätzung

An einer schizophrenen Psychose erkrankte Menschen haben ein höheres Risiko, Opfer einer Gewalttat zu werden, ebenso ist aber auch das Risiko erhöht, dass diese Patienten selbst Gewalttaten begehen.

In der Presse werden diese Taten meist entsprechend reißerisch dargestellt, was einerseits aufgrund der nach außen hin „sinnlosen“ Delikte nachvollziehbar ist, aber leider zur Stigmatisierung psychisch Kranker in erheblichem Maße beitragen dürfte.

Einige neuere Studien [1. http://www.thelancet.com/journals/lanpsy/article/PIIS2215-0366(16)00103-6/fulltext] [2. http://www.thelancet.com/journals/lanpsy/article/PIIS2215-0366(17)30109-8/fulltext] [3. http://www.europsy-journal.com/article/S0924-9338(17)32953-X/fulltext] beschäftigen sich mit der Frage, ob Gewalttaten bei schizophrenen Patienten vorhersagbar sind beziehungsweise welche Kriterien zu einem erhöhten Gewaltrisiko beitragen. Aus den Studienergebnissen haben forensische Psychiater der Oxford Universität ein Online-Tool entwickelt, in dem man für einen individuellen Patienten das jeweilige Risiko errechnen kann, innerhalb der nächsten 12 Monate eine Gewalttat zu begehen. Dieses Tool ist nicht nur auf Patienten mit Schizophrenie anwendbar, sondern eignet sich auch für bipolar affektiv Erkrankte.

Natürlich sind die damit errechneten Prozentzahlen im Einzelfall eben „nur“ Statistik und jeder, der mit psychisch Kranken zu tun hat, wird immer den Einzelfall beurteilen müssen.  Allerdings sollte man einige Einflussgrößen im Hinterkopf haben, ob man nun das Tool benutzt oder nicht.

Substanzmissbrauch erhöht das Risiko von Gewalttaten

Ein höheres Risiko für Gewalttaten besteht unter anderem bei folgenden Bedingungen:

  • der Patient ist männlich
  • der Patient wurde bereits wegen eines Gewaltdelikts verurteilt
  • der Patient ist nicht antipsychotisch behandelt
  • der Patient ist derzeit in stationärer Behandlung
  • der Patient konsumiert Alkohol oder Drogen in missbräuchlicher oder abhängiger Weise
  • das Risiko ist um so höher, je jünger der Patient ist

 

Aus dieser Auflistung ergibt sich die Konsequenz, Patienten in jedem Fall nach bereits erfolgten Verurteilungen und nach Substanzmissbrauch zu fragen. Die Compliance des Patienten zur medikamentösen Behandlung spielt ebenfalls eine große Rolle.

Der aktive Umgang mit diesen Kriterien im Gespräch mit dem Patienten ist ein wichtiges Instrument, um drohende Delinquenz bei psychotischen Frauen und Männern einzuschätzen und einzudämmen.

 

Peter Teuschel

Bild: © Nomad_Soul – Fotolia.com

 

4 Responses
  1. osterhasebiene langnase Antworten

    Unter „Gewalt durch psychisch Kranke“ fällt m.E. aber auch z.B. Selbstmorddrohung gegenüber nahestehenden Personen. Das kommt event. sogar noch häufiger vor. Ich kenne einen Fall, in dem ein bipolar erkrankter Mann durch einen Selbstmordversuch die Trennung von seiner Frau verhindert hat. Psychische Erpressung ist auch Gewalt.

  2. osterhasebiene langnase Antworten

    Derartige Erfassungen und „Tools“ führen -m.A.- nur zu Verzerrungen der Realität: der „friedfertige“ psychisch Kranke. Ganz ehrlich…manchmal würde man psychisch kranken Menschen mehr offene Aggression im Außen wünschen! Sie wenden diese leider eher gegen sich selbst oder indirekt gegen ihr nahes Umfeld an.

  3. Die Punkte sind aber doch genau die, die auch allgemeine Delinquenz höher treiben: jung, männlich, Alkohol oder Drogen, schon gewaltbereit – nur Medikation oder stationär sind explizit krankheitsbezogen.
    Aussagekräftig wäre dann auch Bildungsgrad , erreichte Abschlüsse und Status.

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