Foudroyantes Mobbing: Ein verzwickter Fall

 

Ein Paradebeispiel, wie verzwickt die Beurteilung von Mobbing-Sachverhalten sein kann, hat Spiegel Online recherchiert:

Die Belegschaft eines Bremerhavener Container-Terminals hat die Arbeit geschlossen niedergelegt. Grund hierfür ist Marcel B., mit dem keiner der Kollegen mehr zusammenarbeiten will. Der Arbeitgeber EuroGate beziffert den Schaden durch die Aktion auf einen fünfstelligen Betrag. Am nächsten Tag meldete sich Marcel B. krank. Daraufhin nahmen seine Kollegen ihre Arbeit wieder auf.

Vorangegangen war bereits eine Unterschriftenaktion gegen den Kollegen.

Zum Einen ist das ein gutes Beispiel für mein Credo, die Dauer von Mobbing-Handlungen nicht allzu sehr in die Definition einfließen zu lassen. Ein genauer Zeitrahmen wird nicht berichtet, aber es werden von der Unterschriftenaktion bis zum Streik vielleicht einige Wochen gewesen sein. Auch das Kriterium einer mindestens einmal pro Woche erfolgten Mobbing-Handlung ist hier nicht gegeben.

Deutlich erkennbar ist aber das Ziel aller Mobbing-Aktionen, nämlich den Arbeitnehmer mit aller Macht vom Arbeitsplatz zu entfernen.

Die Aktion setzt den Arbeitgeber aufgrund des massiven finanziellen Schadens derart unter Druck, dass nicht viele solcher Machtdemonstrationen nötig sein dürften, um das Mobbing-Ziel zu erreichen. Es ist sozusagen foudroyantes Mobbing. Der Begriff stammt aus der somatischen Medizin und bezeichnet den ungewöhnlich raschen oder stürmischen Verlauf einer ansonsten sich langsamer entwickelnden Erkrankung.

Ein gutes Beispiel für foudroyantes Mobbing sind auch Cybermobbing-Attacken, die bereits durch eine einmalige gezielte Aktion das Opfer völlig aus der Balance bringen können.

Neben der eindrucksvoll kurzen Zeitdauer der Mobbing-Attacke ist natürlich auch die Art und Weise interessant. Es handelte sich um eine indirekte Mobbing-Handlung, die dem Opfer kein Haar krümmte, aber dennoch größte Wirkung entfaltete.

Und wer sich jetzt fragt, warum die Kollegen so druckvoll verhindern wollten, mit Marcel B. wieder zusammen zu arbeiten, der ist beim spannendsten Teil der ganzen Geschichte angelangt:

Der 39jährige Arbeiter wurde 2012 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Er hatte seine Stieftochter missbraucht und Kinderpornos besessen. Als Freigänger wollte er jetzt wieder arbeiten und setzte dies juristisch durch.

„Na, da versteh ich die Kollegen aber schon“ ist an dieser Stelle eine der häufigsten Reaktionen.
Dass man mit jemandem, der eine Straftat aus dieser Kategorie begangen hat, nichts mehr zu tun haben will, ist ja vielleicht verständlich. Immerhin stehen wegen Kindesmissbrauchs Verurteilte auch im Gefängnis auf der untersten Hierarchie-Stufe und müssen in der Regel vor Übergriffen durch Mitgefangene geschützt werden.

Rechtfertigt also in einem solchen Fall die Straftat das Mobbing?

Nach meiner Auffassung läuft in all diesen Fällen etwas gründlich schief. Mobbing kann in keinem Fall eine erlaubte Verhaltensweise sein. Zumal ja Marcel B. gerade seine Strafe für sein unrechtes Verhalten absitzt.

Hätte in diesem Fall der Arbeitgeber nicht die Aufgabe gehabt, schon vor dem ersten Arbeitstag nach einer Lösung zu suchen?
Möglicherweise wurde das versucht, der Artikel gibt dazu zu wenig her.

Oder war die Forderung von B.´s Anwalt, dass ein Arbeitsversuch in jedem Fall durchgeführt werden soll, einfach an der Realität vorbei?
Aber warum soll B. auf sein Recht verzichten?

Ein verzwickter Fall, der letztlich durch eine Erkrankung und die daraufhin erfolgte Krankschreibung fürs erste entschärft wurde.

Ohne genaue Kenntnis dessen, was im Vorfeld alles an Kompromisslösungen gesucht wurde, will ich mir nicht anmaßen, irgend jemandem hier ein Versäumnis vorzuwerfen. Es bleibt aber immer ein schales Gefühl, wenn eine Situation am Arbeitsplatz in Mobbing eskaliert, egal wie die Hintergründe sein mögen.

 

Peter Teuschel

Hier der link zum Artikel

13 Responses
  1. Ja, das ist wirklich verzwickt!
    Da überlege ich mir, wie ich mich selber verhalten würde. bekäme ich einen Kollegen/in der/die z.Zt. eine Haftstrafe absitzt und als Freigänger arbeiten möchte. Ich hatte so eine Situation noch nicht, glaube aber von mir selber sagen zu können, normal wäre mein Verhalten diesem Kollegen gegenüber nicht. Ich glaube von mir sagen zu können, das ich zwischen Neugier und Ablehnung hin und her schwanken würde. Da spielt sicherlich die Kenntnis der Straftat auch eine Rolle.
    Grundsätzlich bin ich der Meinung, das niemand aufgegeben werden darf und das inpliziert auch das einige Menschen weit mehr als nur eine zweite Chance brauchen.
    Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich das auch einem Vergewaltiger oder pädophilen Täter zugestehen könnte. Das wird schwer! Da ist sicherlich Aufklärung angesagt.
    Wie soll man sich da als Arbeitgeber verhalten? Inwieweit sollte man die bestehende Belegschaft dazu befragen und in die Entscheidung der Einstellung mit einbeziehen?
    Was würden Sie tun Hr.Dr. Teuschel, sollte Ihnen als Arbeitgeber eines Tages die Bewerbung eines Freigängers auf den Tisch kommen?

  2. Es käme wahrscheinlich bei mir auf die persönliche Sympathie an, die ich für den Menschen hege. Ich bin Mensch ich kann nicht anders.

    Einen Idioten mag ich nicht. Das wird auch nicht anders durch Straftaten die er begangen hat. Wobei „Idiot“ hier durchaus eine persönliche Wertung ist, die nicht zwingend von anderen geteilt werden muss.

    Wenn ich mit einem Kollegen zusammenarbeite, ist mir die Vergangenheit desselben in erster Linie ziemlich schnuppe. Ich soll mit dem arbeiten, nicht ihn heiraten. Oder sie.

    Und wenn die Chemie stimmt, ist alles andere nicht mein Bier. Wenn derjenige sich sonst anständig verhält, warum zum Teufel soll ich da noch persönlich eingreifen?

    Nochmal: Der Mann hat seine Strafe erhalten. Über Sinn/Unsinn/Zweck kann man trefflich diskutieren. Ich würde mit ihm wahrscheinlich kein persönliches Wort wechseln wollen. Aber Professionalität heißt auch, dass man unterscheiden kann zwischen persönlicher Rache (und nichts weiter ist dieser Streik der Hafenarbeiter) und professioneller Arbeit.

    Und DIE können das nicht. Ich schon – ich habs gelernt, bzw. lernen müssen. War nicht toll.

      • Das Problem ist das Triggerwort „Kindesmissbrauch“. Da brennen bei den Leuten die Sicherungen durch.

        „Der hat ein Kind angepackt, den mach ich fertig“
        „WENN einer mein Kind anpackt, bringe ich ihn um“

        So bescheuert wie kontraproduktiv. Im ersten Fall wird man vom Unbeteiligten zum Täter und im zweiten vom Angehörigen, der sein Kind, dass da gerade hochtraumatisiert wurde, seinem Kind *noch* ein Trauma zufügt: „Wegen mir ist Papa/Mama im Gefängnis“.

        Die Kids müssen damit umgehen, dass ihnen furchtbares angetan wurde. Und dann sehen sie, dass der Papa/die Mama wegen ihnen (denn das ist die Botschaft, die sie bekommen) völlig durchdreht und möglicherweise ins Gefängnis geht.

        Für mich ist das häufig das viel schlimmere Trauma: Daran schuld zu sein, dass die Familie auseinandergerissen wurde, weil man die Schnauze nicht halten konnte.

        Aber nö, dass sehen diese Rächer der Vererbten ja nicht. Hauptsache, man hat ein Ventil für die eigene Wut.

        *RECHTZEITIG* hingucken: Nö. „Das hätt ich NIE gedacht“. Aber wenns dann raus ist, die Bürgerwehr spielen wollen, das hab ich gerne.

  3. Von dem Sachverhalt mal abgesehen – woher wussten die Kollegen denn, dass er sitzt (ok, das kann man vielleicht nicht verhindern, keine Ahnung) und vor allem warum er gesessen hat?

    • Weil einer immer was weiß. Und weil es nichts Interessanteres und Mitteilenswerteres gibt als so was.
      Wenn ich Herrn Meier krank schreibe und er die AU persönlich in der Personalstelle abgibt, weiß spätestens zwei Tage später der Cousin dritten Grades der Freundin des Pförtners, dass der Stempel auf der AU vom Psychiater war.

      • Weswegen meine Hausarztpraxis so nett war, die Krankschreibung für die gesamte Zeit (immerhin 7 Monate) zu übernehmen. Vielleicht auch eine Lösung für Ihre Patienten, wenn da Probleme befürchtet werden? (Gut, ich habe echt Glück mit meinen Hausärzten, ist eine Gemeinschaftspraxis, die versucht, die dadurch vorhandenen Potentiale auszunutzen, hatte das natürlich schon vorher gewusst, aber als Patient in einer akuten Krisensituation feststellen dürfen, dass die mich nicht nur ernst nehmen, sondern auch eine gute Erstbetreuung leisten, bis ich bei einem Psychiater untergekommen bin.)

        Auf jeden Fall: Vielen Dank für Ihren Blog!

  4. Ich weiß nicht, ob ich mit jemandem auch nur zusammentreffen möchte, der eine solche Straftat begangen hat. Mit dieser Person zusammenzuarbeiten, heißt auch, diese an sich heranzulassen. Vermutlich bin ich nicht professionell genug, denn schon bei dieser Vorstellung schüttelt es mich.

    Mag auch der Gesetzgeber meinen, dass mit zwei Jahren Freiheitsentzug alles abgegolten wäre… ich denke, der Mensch an sich vergibt nicht so schnell wie ein Gesetzestext. Ich kann die Mobber also verstehen. Ob ich mich beteiligt hätte… zum Glück stehe ich nicht vor dieser Entscheidung.

  5. Ich würde es davon abhängig machen, wie sich die Person bei der Arbeit verhält (und generell, um welche Arbeit es geht). Ist sie zwischenmenschlich ausreichend distanziert – was ich generell bei Kollegen präferieren würde – und erledigt die aufgetragene Arbeit zuverlässig und ordentlich, würde ich da kein Problem sehen.

    Skeptisch wäre ich eher bei ausgesprochenen (malignen) Narzissten & Soziopathen, denen würde ich nicht trauen und hätte keine Lust auf irgendeine Art von Kontakt – und sei es auch nur beruflicher Art.

  6. Das ist nun wirklich verzwickt.
    Ich kann jetzt natürlich so fernab der Situation leicht behaupten, dass ich mich keinesfalls wie die Kollegen verhalten hätte (finde ich auch immer wundervoll in Bezug auf das Dritte Reich, wo sich heutzutage 99% Aller sicher sind, dass sie auf jeden Fall im Widerstand massivst tätig gewesen wären und natürlich auch ohne mit der Wimper zu zucken für ihr Ideal gestorben wären – aber zugegeben, das ist nun ein ganz anderes Thema). Wirklich wissen kann ich es nicht. Grundsätzlich würde ich behaupten, dass ich durchaus in der Lage wäre, mit einem Straftäter zu arbeiten. Und es würde mir wohl ähnlich gehen wie Ruth Gramit mit einem Schwanken zwischen Neugier und Ablehnung. Aber so lange die Arbeit nicht beeinträchtigt wird, besteht kein großes Problem. Je nach Straftat. Und das finde ich hier den interessanten Punkt. Anscheinend ist es mir ein Anliegen, den Betreffenden moralisch zu beurteilen. Was eigentlich bei den meisten Arbeiten unwichtig ist, denn es geht ja nur um berufliche, nicht um freundschaftliche Beziehungen. Oder steht dahinter nur die Frage nach der möglichen Gefährlichkeit der Person? (Ich glaube – bei mir – nicht nur. Das ist interessant. Da muss ich nochmal in mich gehen.)

    Die größte Schwierigkeit liegt in diesem Fall glaube ich auch in der Straftat. Kindesmissbrauch. Das ist wirklich das Thema, bei dem den meisten Menschen die Sicherungen durchbrennen. (Auch ich kann mich davon leider nicht wirklich freisprechen, noch erschwert durch persönlichen Bezug dazu.) Und so sehr ich auch der Meinung bin, dass auch diese Straftat kein soziales und berufliches Todesurteil sein sollte… was sich in der Theorie so leicht dahersagt und so schön klingt… ich bin nicht sicher, ob ich persönlich mich dementsprechend verhalten könnte. Aber ich hoffe es. Wenn noch nicht jetzt, dann hoffentlich in Zukunft.

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