Anhaftende Patienten oder Wann kommt die Medizin in der Gegenwart an?

Sprachregelungen haben etwas Entlarvendes.

Zum Beispiel das Wort „Sprachregelung“. Als ließe sich so etwas Archaisches und Anarchisches wie Sprache regeln. Na ja, versucht wird es.

Aber das soll hier nicht das Thema sein. Hier geht es um verpasste Chancen in der deutschen Medizin.

Seit einigen Jahren wird der Begriff „Compliance“ abgelöst durch das Wort „Adhärenz“.
Kann einem egal sein? Vielleicht. Aber es ist eine dieser verpassten Chancen.

Beide Begriffe beschreiben das Verhalten eines Patienten im Hinblick auf die Verordnung des Arztes.
Und wer jetzt bei „Verordnung“ zusammenzuckt, hat Recht. Ordnung ist ja etwas Gutes, Anzustrebendes, zumindest in der Behandlung kranker Menschen. Was Ver-Ordnung bedeuten mag, sei mal dahingestellt.
Aber auch das ist hier nicht Thema.

„Der Patient ist compliant“ bedeutet, dass der Patient die Anordnungen des Arztes umsetzt. Dahinter steht sehr viel Wichtiges im Arzt-Patienten-Kontakt. Zum Beispiel das Vertrauen, dass der Arzt die für den Patienten beste Behandlung auswählt und empfiehlt. Aber auch, dass der Patient akzeptiert, dass der Arzt die Kompetenz dazu hat.
Beides scheint heute nicht mehr selbstverständlich.
Patienten zweifeln, ob sie im Medizinbetrieb wirklich im Vordergrund stehen oder ob sie nur Mittel zum Zweck sind, ob finanzielle Interessen die medizinischen dominieren.
Und Ärzte sind entnervt, wenn Patienten alles besser zu wissen glauben.

„Compliance“ wurde wie gesagt abgelöst durch „Adhärenz“.

Können Sie, so Sie nicht Kollege sind, sondern Patient, damit etwas anfangen?

„Adhaere“ bedeutet „anhaften“. Das soll signalisieren, dass der Patient an den Verordnungen des Arztes haftet. Tja.

Damit ich nicht missverstanden werde: Das, was mit „Compliance“ oder „Adhärenz“ ausgedrückt werden soll, halte ich für sehr wichtig.
Aber muss man das so verschwurbelt ausdrücken?

© Ariwasabi - Fotolia.de

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Patienten, die mich konsultieren, wollen meinen fachärztlichen Rat. Davon gehe ich aus, weil alles andere keinen Sinn ergibt.
Hält sich jemand nicht an diesen Rat, kann ich ihm auch nicht helfen.
Bei bestimmten Erkrankungen, zum Beispiel bei Psychosen, kommt es krankheitsbedingt immer wieder dazu, dass Patienten nicht das tun, was ich Ihnen empfehle. Beispielsweise setzen sie ihre Medikamente ab und landen wieder in stationärer Behandlung. Das ist bedauerlich, aber zu einem gewissen Teil eben durch die Parallel-Realität der Patienten erklärbar.
Wer keine Psychose hat und meinen Rat nicht befolgt, stellt seine Skepsis oder andere Informationen oder was auch immer über diesen Rat. Das ist das gute Recht des Patienten. Ob eine Behandlung bei mir dann funktionieren kann, lasse ich mal dahingestellt.

„Anhaftende“ Patienten aber will ich nicht. Und deshalb mag ich weder den Begriff „Compliance“ noch „Adhärenz“. Weil sie nur verschleiern. Weil sie das Verhältnis von Arzt und Patient nicht gut beschreiben.

Wieso schafft es die Medizin in Deutschland nicht, allgemein verständliche Begriffe zu verwenden, die jeder verstehen kann?

Ich will nicht sagen, dass ich eine perfekte „Sprachregelung“ hätte, mit der diese Begriffe übersetzt werden könnten.
Es müsste wohl etwas sein, in dem Vertrauen, Zusammenarbeit, Bündnis eine Rolle spielen.

Die Zeiten sind vorbei, in denen Patienten ihren Ärzten „blind“ folgen. Dafür sorgt schon Dr. Google. Diese Entwicklung ist manchmal zum Vorteil, manchmal zum Nachteil des Patienten.

Die Begriffe „Adhärenz“ oder auch „Compliance“ stammen aus einem Medizinverständnis des letzten Jahrhunderts. Die Realität ist längst weiter. Patienten sind heute anders, informierter, kritischer, manchmal verwirrter.

Für die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient ist „Adhärenz“ kein besserer Begriff als „Compliance“. Eine überflüssige Sprachregelung. Eine verpasste Chance.

Peter Teuschel

 

13 Responses
  1. osterhasebiene langnase Antworten

    „Blinde“ Nachfolge und Anhängerschaft an medizinische Instanzen, gibt es schon länger nicht mehr. Patienten bringen heute den Laptop zur Behandlung mit, um schnell mal eine Aussage des Fachmanns zu prüfen. Mehr denn je kommt es auf das menschliche Vertrauensverhältnis an, auf die Person des Arztes. Was ist das für ein Mensch, würde er sich selbst genauso behandeln ect.- das sind Fragen, die man sich als Patient stellt. Das Mündigwerden und Selberdenken ist grundsätzlich positiv und ich denke auch, dass dieser Patient ein Produkt unseres Gesundheitssystems ist, das eben primär gewinnorientiert arbeitet. Nicht wenige Fehl/Überbehandlungen führen letztendlich zur Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder sogar zum Tod. Meines Erachtens wäre es längst überfällig, Ärzte und Psychotherapeuten regelmäßig von einer unabhängigen an Gesundheit interessierten Instanz auf Herz und Nieren zu prüfen. Oder Einheitsgehalt für alle Ärzte unabhängig von der Behandlung, mit Gewinnprämien bei Gesundung, also Bezahlung nach Leistung. Eine Garantie, dass es der Arzt wirklich gut mit einem meint, gibt es leider nicht. Der Patient wird mehr und mehr zum Arzt für seine Leiden. Und es stimmt auch, dass vieles von selbst heilt. Psychotherapeuten können für manche Menschen sogar extrem schädigend sein, wenn sie z.B. sich selbst über den Patienten zu heilen versuchen. Hier ist tatsächlich äußerste Vorsicht geboten. Es kommt vor, dass nicht der Patient dem Psychotherapeuten anhängt, sondern umgekehrt. Man versteht sich blendend, aber die Therapie ist letztendlich schädlich. Der Patienten wurde in seiner Entwicklung blockiert, das „alte“ Muster gefestigt. Daher ist oft auch der scheinbar „unliebsame“ Therapeut die gute Wahl. Es ist wirklich nicht einfach, hier die richtigen Entscheidungen zu treffen.

  2. Wenn ich mal in leo.org schaue, wundere ich mich nicht, dass sich keine deutsche Übersetzung von „Compliance“ so recht durchsetzen konnte.

    „Elastische Nachgiebigkeit“ finde ich hübsch, ein Begriff aus der Bruchmechanik. Mit anderen Worten: der Patient sollte sich so lange biegen, bis er bricht.

    Oder „Willfährigkeit“: Das müsste Ihnen doch gefallen, Herr Dr. Teuschel!

  3. Spaßeshalber noch kurz, wie Montaigne „Compliance“ oder „Adherence“ versteht:

    „Wenn ich krank bin, lasse ich meine Ärzte, falls sie gerade in der Nähe sind, zu mir rufen, damit sie mir Gesellschaft leisten. Ich bitte sie dann, sich mit mir über meinen Zustand zu unterhalten, und hierfür bezahle ich sie wie jeder andre. Sie dürfen mir sogar auferlegen, mich warm zu halten, solange ich das selbst als angenehmer empfinde“, (Essais, Eichborn 1998, Seite 387)

  4. „“Adhaere” bedeutet “anhaften”. Das soll signalisieren, dass der Patient an den Verordnungen des Arztes haftet.“

    Ach da bin ich ja beruhigt. Ich dachte schon, dass mit „der Patient ist adhärent“ codiert werden soll, dass der Patient am Arzt klebt, also übermäßig anhänglich bis distanzlos ist im Arzt-Patienten-Verhältnis. Stalker sind so gesehen auch äußerst adhärent, aber nicht compliant.

    Vielleicht könnte man aus der Juristerei den Begriff „gutgläubig“ klauen?
    Der Patient ist gutgläubig => der Patient vertraut auf die Anweisungen des Arztes.

  5. Blind allen Aussagen der Ärzte zu glauben halte ich für schädlich. Vor allem dann, wenn ein Arzt etwas diagnostiziert, das ich für unwahrscheinlich halte oder mir eine Therapie vorschlägt, die mir nicht passend erscheint. Aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen mit Ärzten bin ich kritisch und das kommuniziere ich jeweils entsprechend.

    Zu den Begriffen: „Compliance“ finde ich zu unverständlich, „Adhärenz“ finde ich komplett unpassend, da hab ich das Bild von einem Patienten im Kopf, der am Arzt klebt wie eine Haftnotiz.
    Passender finde ich „mitarbeitend“. Denn im besten Fall ist eine Therapie – egal, ob gegen psychische oder physische Probleme – eine Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient.

  6. “ Zusammenarbeit “ ist eine sehr gute Beschreibung!… und ist unerlässlich. Gegenseitiges Vertrauen und Kontakt auf Augenhöhe sind ebenso wichtig.Der Arzt als Halbgott ( oder sogar Gott ) im weißen Outfit ( wie ihn meine Eltern so immer noch sehen ) hat ausgedient. Endlich ist der Mensch gefragt, der wissende, empathische, heilende Mensch. Und letztlich auch der mitarbeitende, ernsthafte und suchende Patient.Und das ist doch positiv, da können mich seltsame, verwirrende, akademische und auch überflüssige Fremdwörter nicht mehr blenden.

  7. Es gibt sehr viele Menschen die sich sehr schwer damit tun, anderen Menschen Vertrauen zu schenken. Dieses Misstrauen lässt sich häufig aus den Lebensgeschichten der Betroffenen
    und deren belastenden Lebenserfahrungen erklären. Als Therapeut bekommen Sie dieses
    Misstrauen wahrscheinlich viel mehr zu spüren, als Ärzte, die sich um die körperlichen Leiden
    ihrer Patienten kümmern. So ein Vertrauen zum Arzt lässt sich nicht erzwingen. Da ist jeder
    Arzt oder jede Ärztin hilflos, so wie Sie das schon erwähnt haben. Die Wortwahl erinnert mich
    an den Zwang, dieses Vertrauen erzwingen zu wollen. Das ist aber zum Scheitern verurteilt,
    weil so ein Zwang naturgemäß das schon vorhandene Misstrauen noch verstärkt.

  8. Zwang zum Vertrauen!? das macht mich nachdenklich ( by the way: nachdenklich werd`ich gerne, also danke für die Anregung) . Ist Vertrauen nicht eine Bauchentscheidung, kann man Vertrauen denn rational erklären ? Schwierig, bei mir ist es doch immer der Bauch ( die Seele ) der(die) Vertrauen herstellt oder auch nicht. Hab` mich da dann auch wohl oft verirrt. Aber Vertrauen rein intellekuell begründen, geht das denn ?? Kann man nur mit dem Verstand vertrauen?

  9. Tja, das ist nicht so einfach mit diesen Begriffen und ihrer Auslegung.
    Manchmal überkommt mich ein Gefühl, dass Begriffe für Situationen, die in einer Art „Zwischenraum“ sich befinden, gesucht und gefunden werden, die für die Sache nicht sehr erhellend sind. Sondern eher die Gegebenheiten in seiner Unklarheit weiter aufrecht erhalten.
    Vielleicht weil es (noch) nicht besser ausdrückbar ist.

  10. „Zwischenräume“, lieber Maro, sind was schreckliches und was schönes… also vielleicht sogar was schrecklich schönes. Nichts ist wirklich klar, vorhersehbar und endgültig wahr. Das macht es spannend und das Leben zum Abenteuer.
    Im Vorbeigehen an einem Kiosk, hab` ich heut` gesehen, dass die „Zeit“ das Thema“ Vertrauen“ auf der Titelseite hat, das werde ich mir bald geben, denn auch dem Journalismus muss man vertrauen und kann man teilweise noch vertrauen, bis Erdogan auch hierzulande triumphiert……

    • Je nachdem wir die Zwischenräume definieren kann dabei etwas ganz unterschiedliches herauskommen.
      Zwischenräume – Zwischentöne …

  11. Wenn man Therapietreue googelt, findet man automatisch Adhärenz.
    Vielleicht beschreibt es das im Deutschen besser.

    Und ich meine nicht Therapeutentreue. 😉

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