Sind Arbeitnehmer in Deutschland Sozialschmarotzer?

Eine Pressemitteilung der Deutschen Elite-Akademie beschäftigt sich mit dem Krankenstand in Deutschland. So sei 2013 „trotz der hohen Arbeitslosigkeit“ der Krankenstand insgesamt von 3,8 auf 4 Prozent gestiegen. Den größten Zuwachs dabei verzeichne man bei psychischen Störungen.

Über die Ursachen dieses Trends wird gegen Ende der Pressemitteilung spekuliert:

„Weshalb gibt es trotz eines erstklassigen Ernährungsangebots und trotz des deutlich gestiegenen Wohlstands gegenüber früheren Zeiten eine Häufung der Fehltage?

Teile der Bevölkerung meinen, dass dieser Zustand auf ein Überforderungssyndrom am Arbeitsplatz hindeuten würde, andere vertreten die Auffassung, die Doppelbelastung in Beruf, Haushalt und Familie speziell bei Frauen sei schuld daran, andere wiederum vermuten, dass zahlreiche Arbeitnehmer den ausgeprägten Freizeitgedanken mit einer Krankschreibung verbinden, dass eine gewisse Belastungsresistenz die Folge wäre, der einzelne immer weniger bereit sei, sich in die Gemeinschaft einzubringen, die Ichbezogenheit dominieren würde und dadurch ein Missbrauch der sozialen Sicherung stattfände, die in Deutschland eine herausragende Rolle einnimmt.

Die Deutsche Eliteakademie erkennt hier als Hauptgrund ein Konglomerat aus allen drei Faktoren und sieht Arbeitgeber, Kassen und Ärzte in der Pflicht, Aufklärungsarbeit zu leisten und den Arbeitnehmer aufgefordert, sich den beruflichen Aufgaben, die er übernommen hat, vollumfänglich zu stellen.“

Wenn ich mir diesen Text so durchlese, so erkenne ich bei den vermuteten Ursachen ein gewisses Ungleichgewicht:

Überforderungssyndrom am Arbeitsplatz- 3 Wörter

Doppelbelastung in Beruf, Haushalt und Familie speziell bei Frauen – 9 Wörter

zahlreiche Arbeitnehmer den ausgeprägten Freizeitgedanken mit einer Krankschreibung verbinden, dass eine gewisse Belastungsresistenz die Folge wäre, der einzelne immer weniger bereit sei, sich in die Gemeinschaft einzubringen, die Ichbezogenheit dominieren würde und dadurch ein Missbrauch der sozialen Sicherung stattfände – 39 Wörter

Zusammen mit der abschließenden Aufforderung an „den Arbeitnehmer“, sich den beruflichen Aufgaben (…) zu stellen, wird der Anschein erweckt, als sei dies das Hauptproblem.
Sind die Deutschen ein Volk von Drückebergern? Von Weicheiern, die nichts aushalten? Gar von Schmarotzern, die den Sozialstaat ausnutzen?
Die Pressemitteilung bedient nach meinem Empfinden alte Klischees vom krankfeiernden, blaumachenden Arbeitnehmer.

Wie sieht die Realität aus? Ich kann nur von unserer Praxis sprechen, in der aber doch nicht wenige dieser arbeitsunfähig gewordenen Patienten behandelt werden.

Nun, natürlich sehen wir auch immer wieder Frauen und Männer, denen wir die Notwendigkeit, ihrer Arbeit nachzugehen, näher bringen müssen. Es gibt natürlich immer Menschen, die glauben, die Praxis sei ein Selbstbedienungsladen für Krankschreibungen.

Nur – wie häufig ist das? Ist das „Überforderungssyndrom am Arbeitsplatz“ wirklich im Vergleich zu den „Pflichtvergessenen“ zehn Mal so selten wie es das obige Ungleichgewicht der Wörter glauben macht?

In meinem Empfinden verhält es sich genau anders herum. Einer großen Menge von ausgebrannten, abgearbeiteten und am Arbeitsplatz verschlissenen Frauen und Männern steht ein geringer Prozentsatz von Menschen gegenüber, die wir auf ihre Pflichten hinweisen müssen.

Peter Teuschel

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