Publizistische Synchronizität: Von Granatäpfeln und Wassermelonen

Pomegranate with seeds over white

Carl Gustav Jung, einstiger Weggefährte von Sigmund Freud und später einer seiner großen Kritiker, hat den Begriff der Synchronizität geprägt. Er verstand darunter das nahezu gleichzeitige Auftreten zweier Ereignisse, die miteinander in Verbindung stehen, von denen aber das erste nicht das zweite auslöst. „Sinnvolle Koinzidenz“ hat er das genannt, und wenn wir einmal kurz davon absehen, dass diese Ausdrücke ein weiterer Beweis dafür sind, dass sich Psychiater eben nicht verständlich ausdrücken können, so hat er damit auf ein höchst charmantes Phänomen hingewiesen: Die Abkehr von der langweiligen Kausalkette.

Das Auftreten des ersten Ereignisses ist also nicht der Grund dafür, dass das zweite Ereignis auftritt, obwohl sie zusammenhängen. Jung hat das Phänomen in erster Linie für ein erstes emotionales und ein zweites reales Ereignis beschrieben.

Ein Beispiel: Ich träume von einem Haus, in dem in der Eingangshalle eine große Standuhr steht. Am nächsten Morgen stelle ich fest, dass unsere Uhr in der Praxis stehengeblieben ist.

Niemand würde behaupten, dass die Uhr den Dienst quittiert hat, weil ich von der Standuhr geträumt habe. Aber eine „sinnvolle Koinzidenz“ ist das dennoch. Beide Ereignisse sind durch einen gemeinsamen Sinn verbunden: Die Verschmelzung von Uhr und Stehen(bleiben) oder allgemeiner: das Nebeneinander von stetigem Fortschreiten (die (Uhr)zeit) und Stagnation (das Stehenbleiben).
[Nebenbei bemerkt, kann man an diesem Beispiel auch erkennen, welche gewaltige Kreativität in den Traumbildern steckt: Der Begriff „Standuhr“ ist in seiner inneren Widersprüchlichkeit kaum zu toppen. Aber das nur so am Rande]

In enger Zusammenarbeit mit einer großen in Süddeutschland erscheinenden Zeitung ist es mir jetzt gelungen, dieses Prinzip auch im Bereich des Journalismus nachzuweisen. Ich will jetzt nicht die Diskussion anstoßen, wer sich Journalist nennen darf, kann oder gar muss, denn es geht mir um etwas anderes.

In meinem Artikel

Attentäter von Paris keine “irren Geisteskranken”!

habe ich darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung der Charlie-Hebdo-Attentäter als „irre“ oder „geisteskrank“ letztlich auf eine Diskriminierung psychisch Kranker hinausläuft.

Zwei Wochen später erscheint in der SZ ein Essay, dass darauf hinweist, dass die Bezeichnung der Charlie-Hebdo-Attentäter als „irre“ oder „geisteskrank“ letztlich auf eine Diskriminierung psychisch Kranker hinausläuft.

Wollte man jetzt dem langweiligen Kausalitätsprinzip frönen, könnte man einen derartigen Zusammenhang vermuten, nachdem das Thema (Charlie Hebdo) zwar in allen Medien war, aber der spezielle Blickwinkel nur in zwei Beiträgen auftauchte (so weit ich weiß), zuerst in meinem Blog und 14 Tage später in der Zeitung.

Voller Freude über diese synchrone Berichterstattung habe ich mich an die Redakteurin gewandt, die den Artikel verfasst hat. Natürlich waren mir kurz Zweifel gekommen, ob der  Zeitraum von zwei Wochen noch im Jung´schen Sinne als „synchron“ anzusehen ist. Aber Print ist halt mal bissl langsamer als web, dachte ich mir, passt schon, da werd ich doch die sinnvolle Koinzidenz wegen schlapper zwei Wochen nicht in Frage stellen.

Mir wurde auch sehr spontan und freundlich bestätigt, dass natürlich kein kausaler Zusammenhang zwischen meinem Blogbeitrag und dem Artikel in der SZ besteht. Mann, war ich erleichtert. Jung hatte also doch Recht gehabt!

Ein paar Tage später kamen mir aber wieder Zweifel und ich dachte mir, was wäre es doch schade, wenn sich doch so ein kleiner kausaler Spielverderber in die Sache eingeschlichen hätte. Schließlich wollte ich ja über Jung´sche Synchronizität im Publizismus bloggen.

Also mailte ich auch noch den  zuständigen Ressortleiter an und bat ihn um eine Einschätzung. Zu meiner großen Beruhigung versicherte auch er mir, dass hier nichts Kausales weit und breit zu entdecken sei.

Ja, und deshalb bin ich weiterhin so ein Fan von C.G.Jung und seiner Synchronizität. Die gibt es sogar im Publizismus.

Ein Einwand des Ressortleiters hat mir aber auch noch ganz persönlich weitergeholfen. Er meinte, dass „bei allem Respekt“ mein „knapp gehaltener Blogeintrag“ „schwerlich als Vorlage für einen Essay in SZ herhalten“ könnte. Schon aus formalen Gründen.

Das bringt mich jetzt doch noch zu einer neuen Erkenntnis. Nämlich dass Ideen nicht in kleinen Blogs entstehen können. Um wirklich ein gutes Thema für ein Essay zu finden, braucht es eine Redaktionskonferenz mit mindestens sieben Mitgliedern. Oder acht. Jedenfalls groß genug, um die nötige Quantität für gute Gedanken zu erreichen. Eine Art kritische Masse, ab der die Bildung guter Ideen spontan einsetzt.

Wir sollten also nicht Blogs und Print-Essays vergleichen.

Wir vergleichen ja auch nicht Granatäpfel mit Wassermelonen.

Die Freude über die Synchronizität ist bei mir aber ungebrochen. Zumal die Überschrift des SZ-Artikels „Wahn und Wirklichkeit“ lautet. Und nachdem der Untertitel meines neuesten Buches „Geschichten über Menschen zwischen Wahn und Wirklichkeit“ heißt, ist das ja sozusagen der doppelte Rittberger der Synchronizität.

Fast wie Synchronschwimmen.
Zwei Artikel-Herzen im Dreivierteltakt.
Obwohl es beim Tanzen ja wichtig ist, dass beide Tänzer zeitgleich im Takt sind. Sonst tritt man sich am Ende noch auf die Füße.

Peter Teuschel

Bild: © Anett Bakos – Fotolia.com

10
12 Responses
  1. Ich muss mich Fritz G. anschließen: so ärgerlich die Sache mit dem evtl. Ideenklau auch ist, so klasse haben Sie sie dennoch erzählt. Die Hinführung zum Thema ist einfach spitze, das Fazit ebenso.

    Aber vergleichen Sie ruhig Granatäpfel mit Wassermelonen – da Sie ersterer sind (als 1-Mann-Redaktion im Vergleich zur 7-8-Personen-Redaktion), schneiden Sie viel besser ab.
    Die Wassermelone ist gesundheitlich mehr oder weniger unerheblich, bestenfalls als Kosmetikzusatz oder Diät-Frucht gepriesen, der Granatapfel hingegen wird als Protektor gegen Zellentartungen etc. gehandelt und, nicht zu vergessen, man fand ihn schon als Beigabe in einer Grabkammer eines hohen ägyptischen Beamten aus der Zeit von Ramses IV.. Da kann die Wassermelone nicht mithalten, trotz ihrer imposanten Erscheinung.

    Schönen Abend und danke für die Erheiterung
    Rosalita

  2. Das hat alles nichts mit Synchronizität im Jungschen Sinne zu tun, mein lieber Herr Teuschel. Sie versuchen doch nur zu verdecken, daß Sie die SZ prä-plagiiert* haben. Schämen Sie sich!
    * Hm, da gibt’s doch irgend ’ne Krankheit, bei der es u.a. zu Wortneuschöpfungen kommen kann … – Aber wenn’s den Sachverhalt nun mal trifft!

  3. osterhasebiene langnase Antworten

    Mir war gar nicht bewusst, dass C.G.Jung so ein Esoteriker war. Das oben beschriebene Phänomen ist wohl so was, wie das morphogenetische Feld. Psychologen denken also nicht ausschließlich kausal, welche Erleichterung.

    Nur zur Info:
    Das sog. Morphogenetische Feld, dessen Begriff durch den britischen Biologen Dr. Rupert Sheldrake geprägt wurde, ist der Gedächtnisspeicher der Erde. Vielfach wird dieser auch als kosmisches Geistfeld, oder Akasha Chronik bezeichnet.

    Man kann sich dieses Feld als ein riesiges Drehbuch vorstellen, in dem alles geschrieben steht was war, ist und jemals sein wird. Jedoch ist dies nicht gänzlich in Stein gemeißelt, sondern durch den freien Willen des Menschen beeinflussbar.

  4. „Um wirklich ein gutes Thema für ein Essay zu finden, braucht es eine Redaktionskonferenz mit mindestens sieben Mitgliedern. Oder acht.“

    unbedingt *ironie off*

    offtopic: tolles zebrafraubuch :). die marmorstadt-geschichte hat mich zwar unglücklich zurück gelassen, aber mei, so ist das leben.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.