Narzisstische Melange oder Die Trivialisierung der Psychiatrie

Die Abschaffung der narzisstischen Störung

Vor einigen Tagen bin ich über einen Artikel in der FAZ gestolpert.

Darin war die Rede von der Forderung nach der Abschaffung der Diagnose „narzisstische Persönlichkeitsstörung“. Es wurde berichtet, dass der Psychologe Prof. Peter Fiedler auf dem letztjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie (DGPPN) gefordert hat, diese Störung nicht mehr in die nächste Revision des Diagnosenkatalogs DSM aufzunehmen.

Ob dies nun seine Berechtigung hat oder nicht, will ich gar nicht diskutieren. Mir geht es darum, auf etwas hinzuweisen, was sich gerade an diesem Artikel der FAZ schön zeigen lässt, nämlich die Trivialsierung psychiatrischer Fachbegriffe.

Durch die Verwendung von Fachtermini in der Umgangssprache verlieren diese ihre ursprüngliche Bedeutung, werden zunächst verwässert und aufgeweicht. Schließlich drängen sie sich durch den häufigen Gebrauch abseits ihrer eigentlichen Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung derart in den Vordergrund, dass der medizinische Laie den irrigen Eindruck gewinnt, psychiatrische Fachbegriffe zu kennen und zu verstehen.

Trivialisierung psychiatrischer Begriffe

Dazu zwei Beispiele:
Der umgangssprachliche Gebrauch des Wortes „schizophren“ gibt diesem eine völlig neue, von der psychiatrischen Terminologie abweichende Bedeutung. Trivialisiert bezeichnet „schizophren“ schlicht eine innere Widersprüchlichkeit, die derjenige, der den Begriff verwendet, zum Ausdruck bringen will. „Das ist ja schizophren“ soll heißen: „Da passt ja was inhaltlich gar nicht zusammen“.

Das hat nun nichts mehr mit der psychiatrischen Bezeichnung der Erkrankung Schizophrenie zu tun, einem Krankheitsbild, das sich durch vielfältige Symptome wie Wahnbildung und Halluzinationen sowie Störungen des Ich-Erlebens auszeichnet.

In einer anderen Version des öffentliches Gebrauchs wird „Schizophrenie“ mit „Persönlichkeitsspaltung“ übersetzt, womit gemeint sein soll, dass verschiedene Persönlichkeiten in einem Menschen vorhanden sind. Auch das hat überhaupt nichts mit der psychiatrischen Realität gemein. Die verschiedenen Persönlichkeiten kann man allenfalls einem Störungsbild namens „multiple Persönlichkeitsstörung“ zuweisen, wobei noch völlig unklar ist, ob es das in dieser Form wirklich gibt.

Das zweite Beispiel: Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, jemand sei „hysterisch„? Auch dieser Begriff wurde durch den Gebrauch abseits der medizinischen Terminologie so sehr „vulgarisiert“, dass er schließlich nicht mehr in seiner ursprünglichen Form verwendet werden konnte. Die Bezeichnung „hysterisch“ suggeriert ein übertriebenes und unangemessenes Verhalten und ist deutlich abwertend gemeint.

Das Konzept der ursprünglich so bezeichneten Persönlichkeitsstörung dagegen war rein beschreibend und keinesfalls wertend. Es handelt sich um Personen mit einem gesteigerten Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, die diese durch entsprechend auffälliges Verhalten (z.B. durch übermäßig verführerische oder attraktive Selbstdarstellung) auf sich zu ziehen versuchen. Ihre Emotionalität ist stark schwankend und erscheint oberflächlich.
Gewiß ist hier noch der Zusammenhang zwischen dem ursprünglichen Konzept und der umgangssprachlichen Verwendung erkennbar, der Unterschied liegt aber in der abwertenden Verwendung des Begriffes im allgemeinen Sprachgebrauch.
Dies hat dazu geführt, dass die Bezeichnung „hysterisch“ von der medizinischen Fachwelt aufgegeben und durch den Begriff „histrionisch“ ersetzt wurde.

Auch beim Begriff „Mobbing“ besteht die Notwendigkeit, der umgangssprachlichen Verwendung des Begriffes durch den repetitiven Hinweis auf die Definition etwas entgegenzusetzen, um eine inflationäre Ausweitung einzudämmen.

Im Artikel der FAZ fällt nun auf, dass genau diese Verwässerung (in dem Fall der narzisstischen Persönlichkeitsstörung) nicht nur beschrieben, sondern auch betrieben wird. Wenig wird hier über die Kriterien geschrieben, die für die Vergabe der Diagnose erforderlich sind. Vielmehr beschäftigt sich der Artikel mit dem Begriff des Narzissmus als solchem und trennt diesen durchgehend nicht von der Diagnose einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Nur sind Narzissmus als Phänomen und narzisstische Persönlichkeitsstörung nicht deckungsgleich. Bereits die Frage in der Überschrift des Artikels „Ist Narzissmus eine Störung?“ ließe sich mit einem einfachen Nein schnell beantworten.
Der Narzissmus ist keine Störung, wohl aber die narzisstische Persönlichkeitsstörung, bei der narzisstische Anteile die Persönlichkeit in einem Maße dominieren, die zu psychischem Leiden führt. (Dagegen sind gewisse narzisstische Persönlichkeitsanteile keineswegs hinderlich, ganz im Gegenteil).
Analog dazu könnte man formulieren, dass auch „Alkoholtrinken“ keine Störung ist, wohl aber die Alkoholabhängigkeit.

Hier wird ein psychiatrisches Störungsbild durch Vermischung mit allen möglichen anderen Aspekten dessen, was einem so zum Thema Narzissmus einfallen kann, vermengt zu einem unübersichtlichen Gemisch, bei dem am Ende niemand mehr sagen kann, wovon eigentlich die Rede ist.
Witzigerweise schreibt die Autorin am Ende sogar noch, das schlimmste, was dem Begriff Narzissmus passieren könne, wäre seine Trivialisierung.

In meinen Augen ist der Artikel selbst das beste Beispiel genau dafür.

Peter Teuschel

2 Responses
  1. Nicht zu vergessen die Begriffe, die auch noch völlig in ihrer Bedeutung verfälscht werden wie ADHS.Wird grade in der jungen Generation gerne als Schimpfwort im Sinne von „Aufmerksamkeitssuchend/Attentionwhore“ benutzt. Regt mich jedes Mal auf.

    Auch Depressionen werden ziemlich inflationär verwendet für alle möglichen Ereignisse wie schlechtes Wetter, tote Hamster oder einfach mal schlecht drauf sein.

    Wichtig ist im Bezug auf deinen Artikel, dass du da leider selbst einem Irrtum unterliegst, nämlich dem Satz, dass die multiple Persönlichkeitsstörung in ihrer Existenz ungesichert ist. Das steht zwar nach wie vor noch in einigen Fachbüchern aber ist an sich nicht mehr der Fall. Für Menschen, die an der Erkrankung leiden ist es natürlich ebenso stigmatisierend wenn sie -zwar nicht von Laien aber in der Fachwelt- von einigen Ärzten nicht ernst genommen werden und mit einem „Ihre Krankheit gibt es doch gar nicht“ konfrontiert sind.

    • „Ihre Krankheit gibt es doch gar nicht“ ist in der Tat eine wenig hilfreiche Intervention.
      🙂

      Aus meiner Sicht hat es sich bewährt, eine offene Haltung gegenüber neuen diagnostischen Einteilungen zu haben. Dazu gehört auch – zumindest bei mir – eine gewisse Skepsis, die aber nur bedeutet, dass ich mich insgesamt bei diesem Thema defensiv verhalte. Das verknöchert Konservative bringts eben so wenig wie das Aufspringen auf jeden neuen Zug.

      Dazu gäbe es noch jede Menge Beispiele, vor allem das weite Feld der somatoformen Störungen.

      Meinen Patienten sage ich immer, dass ich mich schon sehr wundern würde, wenn gerade wir im Jahr 2012 schon alles entdeckt und begriffen hätten, was es so gibt, nachdem das bisher noch keiner Generation gelungen ist.

      Aber bis ich wo mitmache, muss ich schon ordentlich eigene Erfahrung gesammelt haben.

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