Mobbing-Opfer und meine Rolle als Arzt

Bei dem Beitrag über Tebartz-van Elst und das Phallussymbol kam es in der Diskussion zu der Frage, wie man erkennt, ob ein Mensch tatsächlich Opfer von Mobbing ist oder das nur behauptet.

In diesem Zusammenhang kommt auch oft der Einwand, ob man nicht „beide Seiten“ hören soll, um „der Wahrheit“ auf die Spur zu kommen.

Natürlich kann ich diese Frage nur aus der Sicht des Arztes beantworten.

Dazu zunächst ein paar andere, aber sehr verwandte Fragen:

Eine Patientin gibt an, sie sei vor zwei Monaten vergewaltigt worden. Glaube ich ihr das?

Ein Patient berichtet, er sei als kleines Kind von seinem Vater mehrmals die Woche verprügelt worden. Glaube ich ihm?

Alle diese Fragen beschäftigen sich mit dem Problem, wie ich ein tatsächliches Opfer von einem Menschen unterscheiden soll, der nur die Opferrolle für sich in Anspruch nimmt.

Aber das Thema ist in Wirklichkeit viel größer:

Sie gehen zum Arzt und berichten ihm, dass Sie seit gestern starke Bauchschmerzen haben. Der Arzt sagt Ihnen, dass das eine sehr subjektive Schilderung sei, die er nicht überprüfen könne. Ob Sie die Schmerzen irgendwie beweisen könnten?
Wie würden Sie sich fühlen?

Man sieht schon, in welche Richtung das geht: Die Beantwortung unserer Ausgangsfrage hängt sehr damit zusammen, in welcher Rolle Sie auftreten.
Ein Richter oder ein Staatsanwalt wird völlig anders an das Thema herangehen als ein Arzt.

Die ärztliche Rolle beinhaltet einen ganz wesentlichen Punkt: Der Patient hat zunächst einmal einen gewaltigen Glaubens- und Vertrauensvorschuss. Das bedeutet, ich nehme seine Aussagen zunächst einmal so hin, wie er sie tätigt. Genauer gesagt: Ich höre mir das vorurteilsfrei an. Bezweifle ich als Arzt alles, was der Patient an unbewiesenen Angaben vorträgt, so wird´s ganz schnell ganz schwierig.

Also: der Patient sagt, er werde gemobbt und ich zweifle das erstmal nicht an. Aus dieser Ausgangsposition heraus messe ich alles, was ich in dieser Angelegenheit höre, an meinen Kenntnissen und meiner Erfahrung zum jeweiligen Thema.

Bei Thema Mobbing wird der Patient in fast allen Fällen eine Menge Beispiele aufzählen, wie und auf welche Weise das Mobbing erfolgt ist. Ich frage mich dann: Leuchtet mir das alles ein? Sind das typische Mobbing-Handlungen? Wie ist die Stellung des Patienten im Mobbing-Geschehen (zum Beispiel ist Mobbing „von unten nach oben“ sehr selten)? Wie ist die Reaktion des Patienten auf das Mobbing? Ist er sich unsicher, ob er wirklich gemobbt wird (die meisten „echten“ Opfer sind das)?

Und das Wichtigste: Welches Krankheitsbild habe ich vor mir? Das ist nämlich gerade zu Beginn der Therapie wesentlich wichtiger als die Frage „echtes Mobbing“ oder nicht. Schließlich ist meine Aufgabe in erster Linie die Behandlung von psychischen Störungen und nicht die Beurteilung von Arbeitsplatzkonflikten. Das Erkennen einer psychischen Störung beinhaltet auch die Unterscheidung von vorgetäuschten Erkrankungen. Die allermeisten Krankheitsbilder sind mit der nötigen Erfahrung von Simulationen unterscheidbar (Ausnahmen kommen vor!).

Versucht ein Mobber, sich in die Opferrolle davon zu stehlen, so verhält er sich anders als ein echtes Opfer: Er ist vorwurfsvoller, angriffslustiger, er hat weniger eigenes Schuldgefühl (davon haben echte Opfer erstaunlich viel), er räumt keine eigenen Fehler ein. Und nicht zuletzt kann er wenig typische Mobbing-Handlungen beschreiben. Die Darstellung eines Macht-Ungleichgewichtes wird ihm kaum gelingen, dieses ist aber unabdingbar für echtes Mobbing. Er wird versuchen, mich früh für seine Zwecke zu instrumentalisieren (schließlich will er aus der vorgetäuschten Opferrolle irgendeinen Vorteil ziehen), wird auf Nachfragen gereizt und nicht betroffen reagieren und so fort.

In der Tat ist es nicht leicht,  die Unterschiede in der Theorie zu beschreiben, am konkreten Fall fällt es aber meist nicht schwer.

Der Richter wird die Gegenseite hören wollen. Als Arzt mache ich das mit meinem Patienten alleine aus. Er bekommt von mir einen Vorschuss an Glauben und Akzeptanz. Aber seine Schilderungen müssen vor dem Hintergrund meines Wissens und meiner Erfahrung Bestand haben, sonst ist dieser Vorschuss irgend wann einmal aufgebraucht.  Dann werde ich ihm sagen, dass ich Zweifel an seiner Schilderung habe und warum.

Im so einem  Zweifelsfall werde ich mich auf die Angaben des Patienten beschränken und die objektiv feststellbaren Gesundheitsstörungen beschreiben, mich bei der Bewertung, ob hier Mobbing vorliegt, aber zurückhalten.

Ein ganz anderer Fall sind Angaben über Mobbing, die auf einer eindeutig psychotischen Symptomatik beruhen. „Die Nachbarn mobben mich, indem sie Gas in meine Wohnung einleiten, um zu verhindern, dass meine Verwandtschaft zu Obama an die BILD-Zeitung durchsickert“ hat nichts mit echtem Mobbing zu tun.

Eine gute Übung ist es immer, sich vorzustellen, dass der Richter bei einer fiktiven Verhandlung fragt: „Woher wissen Sie denn, dass der Kläger gemobbt wurde? Sie waren ja nicht dabei.“ Dann muss ich diesem Richter erklären, dass ich es zwar nicht weiß, aber es für glaubhaft halte, und zwar aus folgenden Gründen …

Mehr an „Wahrheitsfindung“ ist nicht Sache des Arztes.

Peter Teuschel

Bild: #37277300 © ysk_hrsw_i (fotolia.de)

9 Responses
  1. Ich denke, dass es auch das Recht des Patienten ist, dass der Arzt ihm erstmal einfach glaubt. Denn es gehört ja schon ein großer Leidensdruck dazu, damit zum Arzt zu gehen. Wenn man dann gleich in die Verteidigung muss, warum und wieso man es so erlebt. Dann wird der Patient nicht wieder kommen. Das in Frage stellen und das ausdiskutieren kann dann an anderer Stelle kommen.
    Aber erst mal muss der Patient so angenommen werden, wie er da sitzt.

    Irgendwie schwierig auszudrücken, bin ein wenig aus der Übung… 🙂
    LG Marita

    • shgmobbinggraz Antworten

      Sehr geehrte Marita! Sie haben das bestens ausgedrückt – danke!
      In der Selbsthilfegruppe ist oft der ERSTE Platz, wo Mobbingopfer wahr und ernst genommen werden – und viele berichten von traumatisierenden Ärzteerlebnissen, wo ihnen NICHT geglaubt wurde, was sie schilderten, oder wo schlichtweg gar keine Zeit dazu war, etwas schildern zu können. Danke für Ihren Beitrag!

  2. Vielen Dank für diesen sehr informativen Artikel. Jetzt verstehe ich, dass man echte Mobbingopfer tatsächlich von denen unterscheiden kann, die nur auf dem Mobbing-Zug aufspringen und in Wirklichkeit ein ganz anderes Problem haben.

  3. ich weiss nicht ob das mobbing ist ,versuche mal es hier zuschreiben.
    wir wohnen jetzt etwas über ein jahr hier in dieser wohnung .die nachbarschaft so okay ausser unsere nachbarin neben an .am ersten abend wo wir den schlüssel hatten und auf die möbel gewartet haben (es war 19uhr 30)haben wir und unterhalt und gelacht und da haute sie schon an die wand wir sollen ruhig sein.dann sind wir eingezogen und haben im erker wo schon blümen standen unseren milchkübel mit blumen hingestellt und auf einmal klingel es und die nachbarin stand an der tür und sagte der muss weg das treppenhaus wäre kein wohnzimmer .als wir es aber nicht gemacht haben haben sie sich bei der hausverwaltung beschwert und wir mussten ihn wegräumen.dann hat sie sich über unseren hund beschwert ,der hund würde den ganzen tag bellen und das treppen haus verschmutzen ,was nicht stimmt und wollte das der hund aus dem haus muss .obwohl ihre freundin die unter uns wohnt auch einen hund hat .als da nicht so lief wie sie es sich vorgestellt hatte ,hat sie sich beschwert sie hätte angst vor dem hund und das nur weil sie genau weiss das das unser schwachpunkt ist .sie behauptet seid wir hier wohnen ist das treppenhaus verdreckt ,wir würden unsere reklame auf die kästen legen anstatt sie wegzuwerfen .die lässt die kinder nicht in ruhe und behauptet sie würden ihr den stinkfinger zeigen ,sie will das treppenhaus wo der hund herläuft nicht mehr putzen .wenn sie uns sieht redet sie auf russisch was und lacht uns dabei hinterhältig an.sie behauptet wir sind eine dreckige familie und würden das treppenhaus nicht putzen und hätten es seid dem wir hier wohnen nie geputzt .beim letzten streit gespräch mit der hatte ich kopfschmerzen und habe meinen zucker (bin zuckerkrank)gemessen und der lag beei 486 ,habe darauf sofort gespritzt.mit anderen worten die versucht das wir hier freiwillig ausziehen ,wir wissen nicht was wir der getan haben ,das die so gemein zu uns ist und das schon wo wir noch nicht hier eingzogen sind .

    • shgmobbinggraz Antworten

      hallo rolf! es tut mir sehr leid, dass ihr das erleben müsst.. es ist wahnsinnig zermürbend, wenn man solcherart nachbarschafts“verhalten“ ausgesetzt ist! eigenartig, dass es förmlich schon anfing, als ihr noch nicht mal drin ward – als am einzugstag (!). das deutet mögl.weise darauf hin, dass er der guten dame offenbar wurscht ist, WER da wohnt, hauptsache, derjenige ist WEG…??
      wir in der SHG haben leider sehr viel mit nachbarschafts-/miet-/mobbing zu tun.. oft gehen diese geschichten jahrelang…. siehe auch http://mobbing-konkret.jimdo.com/fam-lerch-1/ – ich empfehle eine anwaltliche beratung betreffend aller vorfälle, und als vorbeugung, falls es ärger wird, welche konkreten schritte ihr unternehmen sollt/könnt, ev. empfiehlt sich auch ein aufnahmegerät griffbereit liegen zu haben. http://www.rechtsanwaelte-vorarlberg.at/publikationen/aktuelles-recht/news/artikel/tondbandaufnahme-als-beweismittel.html natürlich wäre in ERSTER linie wünschenswert, dass man diese situation direkt mit dem angreifer klärt, mögl.weise wollt ihr das versuchen – und euch vorher inputs holen bei nachbarschaftsberatungsstellen – diese schießen gemeinhin schon vermehrt aus dem boden…
      ob es helfen wird, dass die anfeindungen aufhören, lässt sich nicht sagen, aber einen versuch ist es wert. (manchmal suchen sich diese gestörten personen – wenn man mal auf den putz hat – jemanden anderen, und „hoppen“ zum nächsten opfer…, dass solche leute ganz aufhören, ist bei den fällen, die mir bekannt sind, nicht der fall gewesen bisher….
      alles gute!! beste grüße aus graz, eva, shg mobbing graz http://www.selbsthilfegruppe-mobbing-graz.at

  4. Bin selber auch Opfer von Mobbing / Bossing geworden ist. Das Problem mit eigenen Schuldzuweisungen kenne ich nur zu gut. Die Mobbinghandlungen treffen einen oft, wie der Schlag. Damit bricht ein Stück weit die eigene Welt zusammen. Man kommt ins Grübeln und die Gedanken drehen sich in Selbstzweifeln. Glücklicherweise habe ich es noch rechtzeitig zu einer Ärztin geschafft (gehe sonst nie zum Arzt). Obwohl in ich vorher ein Gegner von Beruhigungsmitteln war, haben diese Mittel zu meiner Heilung erstaunlich gut beigetragen.

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