Land unter

An manchen Tagen kommt es wirklich knüppeldick.

Der erste Patient heute: Jahrelanger Kampf gegen Benachteiligung und Mobbing am Arbeitsplatz. Einer der wenigen, die tatsächlich eine diesbezügliche Auseinandersetzung durchgestanden und gewonnen haben: Das Mobbing wurde vom Arbeitgeber eingeräumt. Was hat es ihm geholfen? Nichts, denn die Schikanen gehen weiter.

Der nächste Patient (beim selben Arbeitgeber): Jahrelange Überforderung, verzweifelter Versuch, sich am Arbeitsplatz zu halten. Erschöpfung, Depression, Tinnitus. Das Drama: der betriebsärztliche Dienst trickst in seinen Augen herum, steht eher auf Seiten des Arbeitgebers.

Der dritte Patient: Über Jahre hinweg in leitender Position gezwungen, Maßnahmen durch zu setzen, die politisch gewollt, inhaltlich aber mehr als fragwürdig waren. Er hat noch versucht, es für seine Mitarbeiter so erträglich wie möglich zu gestalten. Jetzt nach körperlichem und psychischem Zusammenbruch frühberentet. „Herr Doktor, das ist doch Unrecht. Ich kann das alles belegen. Soll ich da nicht klagen?“ Um Gottes Willen. Wenn er bis jetzt überlebt hat, das wird ihn sicher fertig machen.

Der vierte Patient, wieder ein großer Arbeitgeber: Er ist erst seit kurzem bei mir, während ich die anderen schon seit Jahren kenne. Vorsichtig schildert er mir die Vorgänge an seinem Arbeitsplatz, die er selbst mit einem Roman von Kafka vergleicht, immer mit der Rückversicherung, ob ich ihm auch glaube. Jeder zweite Satz beginnt mit „Herr Doktor, Sie werden sich das nicht vorstellen können …“

Doch, kann ich. Tag für Tag, Stunde für Stunde höre ich diese Schilderungen. Der verzweifelte Kampf um Recht und Gerechtigkeit, um Rationalität, ums geistige und körperliche Überleben.

Neulich sagte mir eine Patientin: „Früher sind wir doch gerne in die Arbeit gegangen, da hat es Spaß gemacht, Betriebsausflug, gute Stimmung und so. Aber heute? Wo sind die Zeiten hin?“

Ja, wo sind sie hin? Sind die Leute heute so viel empfindlicher als früher? Oder nimmt das zu, dass der Arbeitsplatz bei vielen immer mehr einem Haifischbecken ähnelt und dass vieles, auf das man sich früher verlassen konnte, heute nicht mehr gültig ist? Menschlichkeit? Fürsorge des Arbeitgebers? Gerechte Gerichte?

Ich sitze in einer kleinen Jolle, die ich versuche durch den Nebel zu steuern. Der Seegang ist hoch und der Wind wird immer stärker. Ich hoffe, dass es noch immer gelingt, möglichst viele Fahrgäste an irgend ein rettendes Ufer zu bringen.

Peter Teuschel

 

 

10 Responses
  1. ein guter charakter kann zuweilen
    den erfolg im leben außerordentlich behindern.
    g b shaw

    so viel nehmen sie uns,
    den ruf, die arbeit, die existenz, die gesundheit, und so unendlich vieles an zukunft. und den glauben an die menschlichkeit. und das „normale leben“.

    aber unser menschsein bekommen sie nicht.

    marc aurel sagte: die beste art, sich zu wehren, ist, sich nicht anzugleichen

    wenn wir nicht gleich werden wollen, sie sie, ist das das einzige.
    was wir tun können.
    aufzeigen. nicht schweigen. in die welt schreien.

    auch wenn wir (fast) alles dafür geben mussten.

    und wenn ich verzweifel, und kein teil mehr dieser welt sein will…mich unendlich alleine unter aasgeiern fühle, und glaube, dass sich nie was daran ändern wird… dann sag ich mir einfach: gehen kann ich mich immer noch. wann ich will.
    aber vielleicht… kann ich davor… noch ein bisschen kämpfen… und vorbild sein…
    im NICHT angleichen…
    flüchten.. ist ja eigentlich das leichteste… a stückal weitergehen… wie heißt es so schön:
    „a bissl was geht immer“ 😉

    dann hau ich mir den söllner rein…
    http://www.youtube.com/watch?v=tM2k0RXz0M8

    und krieg wieder einen hauch… von zuversicht…

    und ich les dann teuschel und bämayr und kolodej… und sag mir… es ist ein trauma… mobbing… das entwurzelt und kaputt macht, was je an urvertrauen u vertrauen da war…

    die welt ist so verrückt.
    so ver-rückt. und krank.
    wie soll man da gesund bleiben?

  2. Ein so schön geschriebener wie bedenklicher Beitrag. Auch nach meiner Erfahrung ist die Arbeitswelt, insbesondere in sich radikal wandelnden Branchen, härter geworden, brutaler. Machtmenschen geilen sich nicht nur am Gehalt und der Stellung auf, sondern daran, wie problemlos sie Menschen brechen können. Soziale Verantwortung ist nicht mehr Teil der Unternehmenskultur. Hire and fire. Lange dachte ich, das wäre mittlerweile Standard, daran müsse man sich leider gewöhnen – nur um dann einen Betrieb in der gleichen Branche und auf dem gleichen Level zu finden, wo das ganz anders ist. Es ist eben DOCH eine Frage von Betriebsklima – und ja: das strahlt von oben nach unten. Wo der Häuptling Mensch bleibt, bleiben auch die Indianer Mensch. Das ist zumindest meine Perspektive.

    Irrelevante Nebenbemerkung: es sieht so aus, als hätten wir den gleichen Leder-Rucksack 🙂

    • 1000 DANK für Ihre Worte! So habe ich es auch erlebt, wie Sie es beschreiben: „wie problemlos sie Menschen brechen können“. Es ist ja so einfach, und so effektiv, und schon „ganz normaler“ Führungsstil in sehr vielen, auch großen und staatsnahen bzw. staatlichen Unternehmungen.Die Lösung des Mobbingproblems wird dort rigoros behandelt: zusehen und forcieren, bis der Mitarbeiter fertiggefahren wird, dann lächelt der Betriebsrat, sagt, deine Krankheit ist Schicksal, aber trotzdem: schön still sein – und such doch um Pension an. So einfach löst man Mobbing – was für ein schönes Unternehmensprogramm. Die End-Lösung. Zum Glück suizidieren sich ca. 25 % der Betroffenen, dann hat man Gewissheit, dass sie nichts mehr sagen. Und dem Staat sparts Geld, keine Pensionszahlungen, keine ärztliche Betreuungskosten, keine teure Psychotherapie…
      Ein Mobbingopfer des Finanzamt Graz hat einen offenen Brief für Mobbingbetroffene veröffentlicht:
      http://www.selbsthilfegruppe-mobbing-graz.at/offener-brief/
      Ihr wurde von den Vorgesetzten angeblich angeschaffen, bei „höheren Personen“ wie Bürgermeister etc. die Lohnsteuerabrechnungen „nicht so genau“ zu machen (damit diese Personen mehr zurückbekommen…)… Da sie nicht gegen das Gesetz und Ihre eigene Einstellung und den Eid der Beamten verstoßen wollte, wurde sie vehement gemobbt… Mittlerweile hat sie ihr Mobbingtagebuch in Buchform veröffentlicht.
      Soviel zu Staatsunternehmen….

  3. ja… also im mobbing ist der öffentliche dienst wirklich spitzenreiter!

    nobel geht die welt zugrund….

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