Die Hölle auf Erden

Roman K. war schon vier Mal in der psychiatrischen Klinik. Er leidet an einer schizophrenen Psychose. „Paranoide Schizophrenie“ nennt sich die Störung genau.

Er ist schon früh erkrankt, mit 19 Jahren hatte er das erste Mal das Gefühl, dass sich seine Welt gravierend verändert hat. Es begann alles nach ein paar durchgekifften Tagen. Das angenehme Gefühl der Leichtigkeit und der inneren Ausgeglichenheit hielt noch drei bis vier Tage an, obwohl er gar nichts mehr geraucht hatte. „Cool“, dachte Roman, „so kanns bleiben.“

So blieb es aber nicht. Eines Nachts wachte er auf und hörte, wie jemand draußen auf der Straße über ihn sprach. Es war mehr ein Getuschel, aber trotzdem konnte er die Worte gut verstehen: „Heute kommt er uns nicht aus, der faule Assi. Wir holen ihn raus, den Loser. Schau mal, ich hab hier ein Brandzeichen dabei. Wir brennen ihm das Teufelsmal auf die Stirn, dann kann jeder sehen, dass er der Sohn des Satans ist.“

Roman hörte sich das eine Zeitlang  mit klopfendem Herzen und steigender Panik an, dann lief er, nur mit seiner Unterhose bekleidet, aus der Wohnung und türmte. Auf seiner Flucht schien ihm, dass die ganzen Leute, die um diese Uhrzeit noch wach waren, zu dem Komplott gehörten. Er lief und lief, aber seine Verfolger waren überall. In seiner Panik und in Todesangst ging er mit den Fäusten auf eine Gruppe junger Männer los.

Zwei Stunden  später wurde er das erste Mal in die Klinik eigeliefert. Die Polizei brachte ihn in die Notaufnahme, nachdem er nachts auf der Straße randaliert und unbeteiligte Passanten angegriffen hatte.

Roman war erregt, er glaubte, auch die Polizei und die Ärzte in der Klinik steckten unter einer Decke. Als ihm der Stationsarzt eine klare Flüssigkeit anbot mit dem Hinweis, das sei ein Medikament gegen seine Unruhe , seine Angst und seine Wahnvorstellungen, schlug er es ihm aus der Hand. Danach sprang er aus vollem Lauf gegen die Tür der Station. Sie war aus Sicherheitsglas und Roman zog sich eine Platzwunde an der Stirn zu. „Ihr kriegt mich nicht lebend“, schrie er und versuchte, sich die Pulsadern an beiden Handgelenken aufzubeißen.

Roman wurde in dieser Nacht fixiert, das heißt, er wurde mit vier Gurten an Händen und Beinen sowie einem Bauchgurt ans Bett gebunden. Die Medikamente bekam er in Form einer Spritze.

Am nächsten Tag war er ruhiger, hatte aber immer noch viel Angst und war sich sicher, dass er in der Klinik weiter in Gefahr war. Das Gespräch mit Stations- und Oberarzt beruhigte ihn kaum, aber er nahm diesmal die Medikamente in Tropfenform ein.

Roman blieb insgesamt sieben Wochen in der Klinik. Bei seiner Entlassung ging es ihm wesentlich besser. Seine Angst hatte sich gelegt und er sah ein, dass ihm, wie er sagte, „der Gaul durchgegangen“ war.  Er hatte eine Menge über seine Krankheit gelernt, zum Beispiel, dass er die Hände vom Kiffen lassen sollte, weil das die Gefahr eines Rückfalls heraufbeschwören kann. Auch dass er regelmäßig seine Medikamente (mittlerweile in Tablettenform) einnehmen soll, weil im ersten Jahr nach einem psychotischen Zustand die Rückfallgefahr besonders groß ist, hatten ihm die Ärzte gesagt.

Roman hat sich nicht daran gehalten, nach ein oder zwei Monaten fing er wieder mit dem Kiffen an und vernachlässigte die regelmäßige Medikamenteneinnahme.

Beim zweiten Aufenthalt bekam er eine Betreuung verordnet, das bedeutet, dass seine Mutter für bestimmte Bereiche seines Lebens auf richterliche Verfügung hin die  Verantwortung übertragen bekam. So konnte sie bestimmen, dass er regelmäßig zum Psychiater gehen und sich seine Medikamente verschreiben lassen musste.

Die beiden nächsten stationären Aufenthalte verliefen anders als die beidern ersten. Roman kam wesentlich früher in die Klinik. Seiner Mutter war aufgefallen, dass er wieder unruhiger wurde und wirre Gedanken äußerte. Sie ließ ihn einweisen. Er konnte schon nach drei Wochen wieder entlassen werden.

Der letzten Einweisung hatte Roman selbst zugestimmt, nachdem er einige Tage schlecht geschlafen und wieder Stimmen auf der Straße gehört hatte. Seine Medikamente nahm er regelmäßig, meist konnten solche Krisen auch schon ambulant durch seinen Psychiater in der Praxis abgefangen werden.

Dann aber wurde Roman wieder ernster krank. Es geschah im Urlaub in Spanien. Er hatte einige Tage vermehrt Alkohol getrunken. Beim Heimweg von der Kneipe sah er plötzlich „Schatten“ auf der Straße. Er bekam es mit der Angst zu tun und lief ins Hotel. Dort kam ihm alles seltsam vor, alle Gäste, die sich noch in der Bar tummelten, schienen ihn zu kennen und auf ihn gewartet zu haben. Er sah sich plötzlich im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Anfänglich löste dies ein Hochgefühl in ihm aus, aber am nächsten Tag (er schlief die ganze Nacht nicht) deutete er die Blicke der Hotelgäste und des Personals anders. Er war sich plötzlich im Klaren darüber, dass alle in ihm die Reinkarnation des Teufels sahen. Die anderen Gäste und das Personal hielt er für Teufelsanbeter. Er hatte den Eindruck, alle würden eine Demonstration seiner satanischen Macht von ihm erwarten. das machte ihn unsicher, und mit jeder Minute, die verstrich, schien die Stimmung sich gegen ihn zuwenden. Er hatte den Eindruck, die anderen Gäste würden sich immer enger um ihn scharen, sie schienen ihm zornig , weil er ihnen kein Zeichen seiner teuflischen Macht gab.

Zuletzt  hörte er wieder die Stimmen mehrer Menschen, die über ihn redeten und sich verabredeten, ihn einer speziellen Folter zu unterziehen, die er nicht überleben würde.

In Angst und Panik sprang er in sein Auto und raste zurück nach Deutschland. Er fuhr wie ein Wilder und kam nach zwei Tagen, in denen er nichts zu sich genommen hatte, wieder bei seiner Mutter an.

Wie bei seiner ersten psychotischen Krise sah er überall Gefahren, glaubte sich verfolgt und akut bedroht. Er willigte ein, in die Klinik zu gehen. Auf der Station wurde seine Angst aber schlimmer. Er hatte den Eindruck, die anderen Patienten kämen ihm bekannt vor und glaubte, es wären die Gäste aus dem Hotel. Plötzlich hatte er die Eingebung, alles wäre ein gigatisches Komplott und er sei in die Klinik gelockt worden, um dort gefoltert und getötet zu werden. Er griff Mitpatienten und Personal an und rannte mehrfach mit dem Kopf gegen die Wand, um sich selbst zu töten und der Folter zu entgehen.

Roman musste zu seiner eigenen Sicherheit und um Patienten und Personal vor ihm zu schützen, wiederum fixiert werden. Die Einnahme von Medikamenten verweigerte er, da er sie als Gift missdeutete. Seine Mutter, die als Betreuerin in solchen Fällen bisher entscheiden konnte, dass ihm die Medikamente auch gegen seinen Willen als Spritze verabreicht werden konnten, forderte die Ärzte auf, ihm doch zu helfen.

„Tun Sie doch was für ihn, Sie wissen doch, dass er gut auf die Medikamente anspricht.“

Aber die Ärzte durften ihn nicht behandeln. Gerade hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass Patienten, die unter Betreuung stehen, nicht gegen ihrem Willen behandelt werden dürfen (s.u.).

„Aber er sieht das ja im Moment gar nicht ein, er ist ja völlig durcheinander, er kann das ja gar nicht selbst entscheiden in seiner Psychose“, sagte seine Mutter, die das nicht zum ersten Mal mitmachte.

Aber den Ärzten waren die Hände gebunden. Sie durften Roman nicht gegen seinen Willen behandeln. Er blieb die ganze Nacht fixiert, stand Todesängste aus und glaubte in jeder Sekunde, gleich würden seine satanischen Folterknechte kommen. Für ihn war es die Hölle auf Erden.

Am nächsten Morgen (Roman schrie und tobte in seiner Fixierung auf der geschlossenen Station weiterhin unbehandelt und in Todesangst) sah der zuständige Stationsarzt eine Meldung in der Zeitung, die das Urteil des BGH begrüßte, weil damit der Patient vor Schlendrian geschützt werde, Zitat:

„Vor Schlendrian vor allem – oder vor der allzu menschlichen Bequemlichkeit, die manchen Arzt womöglich doch zum Medikament greifen lässt, wo er es besser gelassen hätte.“
(hier der link zu diesem Artikel der Süddeutschen Zeitung)

Anhang:

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes, dass Patienten mit einer Betreuung nicht gegen ihren Willen behandelt werden dürfen (mit einer Einschätzung der neuen Situation durch Peter Falkai, Präsident der DGPPN).

 

Peter Teuschel

9 Responses
  1. Wenn das nicht wieder einer der fiktiven Lehrbuchfälle ist, ist hier doch der Alkohohl und die sonstigen Drogen das Problem und nicht die Diagnose „Schizophrenie“, die im Übrigen bei einer substanzinduzierten Psychose garnicht gestellt werden darf.

    Die Diagnose Schizophrenie soll bei ausgeprägten depressiven oder manischen Symptomen nicht gestellt werden, es sei denn, schizophrene Symptome wären der affektiven Störung vorausgegangen. Ebenso wenig ist eine Schizophrenie bei eindeutiger Gehirnerkrankung, während einer Intoxikation oder während eines Entzugssyndroms zu diagnostizieren. Ähnliche Störungen bei Epilepsie oder anderen Hirnerkrankungen sollen unter F06.2 kodiert werden,
    die durch psychotrope Substanzen bedingten psychotischen Störungen unter F10-F19, vierte Stelle .5.

    Siehe:

    http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-who/kodesuche/onlinefassungen/htmlamtl2011/block-f20-f29.htm

    Vielleicht sollte man mal fragen warum der Mensch das Leben nur unter Drogen erträgt, anstatt ihm mit Neuroleptika zusätzlich im Hirnstoffwechsel herumzupfuschen. Die Diagnose Schizophrenie ist auch nach dem Kaffeesatzlesesystem ICD 10 F auf jeden Fall falsch.

    Johannes Georg Bischoff

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