Der nette Herr von der Versicherung

Es soll vorkommen, dass auch Selbständige mal krank werden. Die Chefin eines kleinen mittelständischen Unternehmens war nach über zehn Jahren intensiver Aufbauarbeit in einen depressiven Erschöpfungszustand geraten. Sie konnte gerade noch ihren Mitarbeitern Anweisungen geben, ein paar Weichen stellen, dann war sie zu keiner eigenen Tätigkeit mehr in der Lage.

Gut, dass man eine Krankentagegeldversicherung abgeschlossen hat, dachte sie sich. Das tut man nämlich genau für solche Fälle.

Mit dem typisch „schlechten Gewissen“ des Menschen, der einerseits nicht die ganze Arbeit seinen Mitarbeitern  überlassen möchte und andererseits ganz heimlich daran zweifelt, dass der Laden ohne ihn überhaupt läuft, ließ sie sich von mir krankschreiben.

Das Ganze dauerte länger als zwei Wochen. Wer hätte das nach einer zehnjährigen Vorlaufzeit gedacht. Es dauerte auch länger als vier Wochen, länger als 12 Wochen. Trotz Behandlung kam es nur zu einer zögerlichen Besserung.

Bei so einer Konstellation werden die Krankenversicherungen schon mal nervös. Selbständig, Krankentagegeld, psychische Störung.

Für manche Mitarbeiter der Versicherung liest sich das wie „Selbständig, Krankentagegeld, Simulantin“.

Wie anders wäre es zu erklären, dass (trotz zweier die AU bestätigender Termine beim „Vertrauensarzt“) eines Montagmorgens im Betrieb meiner Patientin ein netter Herr in den Vierzigern auftauchte. Höflich bat er darum, die Chefin zu sprechen. Es sei was Persönliches. Als er erfuhr, dass die Chefin derzeit krankgeschrieben ist, zog er von dannen. Pech gehabt, Versuch wars wert.

Eine halbe Stunde später klingelte er an der Haustüre meiner Patientin. Keiner öffnete. AHA! mag er sich gedacht haben. Jetzt hab ich sie! Zwar arbeitet sie nicht heimlich in der eigenen Firma, ist aber auch nicht zuhause. Das kann nur heißen: Schwimmbad/ Biergarten/ Tanzpalast! Also schnell eine Visitenkarte mit Datum und Uhrzeit in den Briefkasten geworfen. „Wir haben Sie nicht zuhause angetroffen. Bitte setzen Sie sich dringend mit uns in Verbindung. Ihre Krankenversicherung“

Der Sohn fischte die Nachricht am Mittag aus der Post. Meine Patientin rief eine halbe Stunde später in der Versicherung an.
Aus der Klinik, in der sie seit diesem Tag stationär behandelt wurde.

Peter Teuschel

 

One Response
  1. Nur gut dass wir keinen Überwachungsstaat haben…. gg

    für ein Ende der Scheindemokratie

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