„Buch-Landung“: Ein bemerkenswertes literarisches Projekt

Das Theateratelier in München ist eine therapeutische Einrichtung mit einem sehr breit gefächerten Angebot.

Neben dem namengebenden Theaterspiel können die Teilnehmer Masken herstellen, sich musikalisch betätigen oder an Entspannungsübungen teilnehmen.

Seit einiger Zeit gibt es auch eine Schreibgruppe. Unter der sachkundigen Leitung der Schriftstellerin Fabienne Pakleppa werden Gedichte und kurze Prosatexte erstellt. Dabei ist der Zugang zur Literatur sehr offen gestaltet, es wird wenig vorgegeben und sehr darauf geachtet, dass die entstehenden Texte nicht irgendwelchen starren Kriterien genügen müssen, sondern Ausdruck der inneren Befindlichkeit bleiben dürfen.

In dieser wohltuend offenen und kreativen Atmosphäre ist jetzt als Frucht der bisherigen Arbeit ein Buch entstanden.

Buch-Landung“ heißt das 116 Seiten umfassende Werk. Die Autoren nennen sich „Die Wortagenten“:

„Wir sind Agenten der Kommunikation, und dieses Buch ist unsere Chance, zu Wort zu kommen“, heißt es in der Einleitung.

„Zu Wort kommen“, das bedeutet zum Einen die Gelegenheit, gehört zu werden. In einer Gesellschaft, die nach wie vor alles, was mit Beeinträchtigungen auf psychischer Ebene zu tun hat, ängstlich und misstrauisch abwertet und am liebsten hinter die Mauern geschlossener Anstalten verbannen möchte, ist gerade dieses „Gehör finden“ eine seltene, aber um so wichtigere Möglichkeit, eine Brücke zwischen „krank“ und „gesund“ zu schlagen.

„Zu Wort kommen“, das skizziert aber auch einen Weg. Er führt von eigenen Empfindungen, Emotionen und dem ganz subjektiven Blick auf die Welt – sei es mit klarem Geist oder aus dem Irrgarten psychotischer Wahrnehmung – hin zur Sprache. Erst ausgesprochen bekommen viele Dinge ihren Platz in der Realität.

Ich möchte hier drei Texte  aus dem Buch vorstellen, stellvertretend für die Werke der insgesamt 12 Wortagenten. Die Veröffentlichung geschieht mit dem Einverständnis der Künstler.

Da ist zum Einen das Gedicht „der drang“ von Eva Richter, das mit animalischer Kraft daherkommt. Dann „Sterntiere“ von Simon Bis, ein bezauberndes Bild, bei dem ich mich gleich an Filme des wunderbaren Hayao Miyazaki erinnert fühlte. Und schließlich „Herbst“ von Eva Strasser, das mit leichter und luftiger Sprache einen Bogen von der Vergänglichkeit zurück ins Leben spannt und dessen letzte Strophe ich gerne von Konstantin Wecker vertont hören möchte.

der drang

wolfslust zeigt ihm blind die spur
speichel rinnt saftig aus seinen lefzen
er riecht warmes derbes blut
der drang des instinktes reißt
läufe bewegen sich automatisiert
kurz sieht er sich von oben
wie ein voyeur
der sich an seinem eigenen trieb erfreut
er ist der zahn der zeit

Sterntiere

Sternensäue durchschwirren die Nacht. Es ist dunkel und ab
und an schlägt eine Sau sich an einem Stern den Leib. Dann
fliegt es weiter. Die anderen lachen es dann aus. Durch ihre
Leibesfülle sind sie langsam, lassen sich Zeit.
Aber das Funkeln der Sterne am Horizont bewirkt, dass sie
hypnotisiert, wie benommen, durch Raum und Zeit irren.
Manche fliegen rückwärts, kopfüber oder sonst wie sonderbar.
Dabei singen sie gefällige Lieder, wie sie auf all den bewohnten
Sternen gesungen werden, von Individuen, die die Welten-
schöpfer einen guten Mann sein lassen.
Sollten Sie so einer Sau begegnen, sei es, Sie sehen sie am
Horizont oder sie bettelt um Brot und Bier, geben Sie bitte
Almosen oder seien Sie wenigstens freundlich.

Herbst

Wenn ein Blatt fällt,
fällt es vom Baum.
Fällt,
zerfällt,
fällt in die Zeit.

Der Mensch
zerfällt zu Staub,
fällt aus der Zeit,
die Lungen gefüllt mit Asche.

Poesie des Lebens:
Möchte mich fallen lassen
wie ein Blatt,
dabei nicht zerfallen,
nicht fallengelassen werden
von mir selbst.

 

Durch solche Aktionen wie die „Buch-Landung“ sichert sich das Theateratelier seinen Sonderplatz in der Münchner Therapieszene, den es seit Jahren und bemerkenswerterweise auch völlig unbeschadet vom Wechsel der Leitung in meinen Augen innehat.

Einen großen Anteil daran hat Fabienne Pakleppa, die auf  therapeutisch einfühlsame und künstlerisch sichere Art ihre Erfahrungen mit Texten und Schreiben denjenigen Menschen zur Verfügung stellt, die ansonsten nur selten „zu Wort kommen“.

Ich kann das Buch jedem empfehlen, der in dieser durchgetakteten Zeit kurz innehalten und hinhören möchte.

„Buch-Handlung“ ist für 7,50 € zu beziehen über das Theateratelier (TheaterAtelier Seeriederstr. 4 · 81675 München · 089.41 90 17 08 · 089.41 90 17 09 · thea@mensch-kunst-leben.de) oder Fabienne Pakleppa (fabienne@pakleppa.de).

Übrigens: Am nächsten Montag gibt es eine Lesung in der Münchner Seidlvilla. Vielleicht hat ja jemand Zeit und Lust:

BL

Die Wortagenten des TheaterAteliers präsentieren:

BUCH – LANDUNG

 Montag, 10. Februar 2014, 19 Uhr

Seidlvilla, Nikolaiplatz 1b, 80802 München

Gedichte, Kurzgeschichten und Prosaminiaturen

Lesung mit musikalischen Akzenten des Fönzauber‐Trios

Eintritt frei

Mit freundlicher Unterstützung von: Bezirk Oberbayern und LH München Kulturreferat

 

Peter Teuschel

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