„Bettina klatschen“ und die Schwarmdebilität

Shitstorm auf amazon.de

1040 Rezensionen hat Bettina Wulffs Buch „Jenseits des Protokolls“ auf amazon.de bislang erhalten. Das klingt rekordverdächtig. Selbst der derzeitige Liebling der amazon-Leser „Shades of Grey“ bringt es nur auf 1034.

Die allermeisten (nämlich 837) der Bewertungen von „Jenseits des Protokolls“ vergeben die schlechteste Kategorie (1 Punkt).

Da interessiert es natürlich, was die Leser zu dem Buch zu sagen haben.

Hier ein paar Beispiele:

„Wer will den schon wissen, was so eine Frau für ein Leben hat? Dazu reicht es, ein Klatschblatt am Kiosk zu kaufen für 90 cent. Und nicht so ein Buch. Ich habe es nicht gelesen, werde es auch nicht lesen, weil zum Bücherschreiben sollte man über Hirn verfügen. Und auch über etwas Geld, geb ich zu.“ („Manfred Reith“)

„Nein, ich habe das Buch NICHT gelesen.Ich möchte nur eines anmerken: Bettina Wulff ist eine unreife, unerwachsene Person. Die sich auch mit fast 40 J. noch fragt, warum verdammt nochmal das Leben kein Ponyhof ist. Wahrscheinlich versteht sie auch nicht, dass sie keine Bundespräsidetengattin mehr ist. Gewiss, Deutschland ist keine Monarchie, und das ist auch gut so. Aber könnte man für sie nicht eine Ausnahme, sie zur Bunderpräsidentengattin auf Lebenszeit machen? Das wäre doch das Mindeste, was einer Frau wie ihr zusteht. Da ist sie ganz sicher. Warum um alles in der Welt hindert diese sie ständig daran, die Frau zu sein, die sie gerne wäre? Deshalb: No star for someone who is none. Leider aber sind bei amazon „Null Sterne“ nicht möglich, deshalb der eine. Zum Abschluss noch ein Lektüretipp für diejenigen, die nicht nur über Hochnotpeinlichkeiten gerne lachen: „Mördergrube“ von Simon von Werdeck. Satirisch und spannend bis zum Schluss.“ („Gäwele“)

„Nicht zu fassen! Peinliches Buch. Habe es zum Glück nur geliehen bekommen, um mal kurz drüber zu gucken. Wie kann man nur so ein Buch schreiben.“ („okner“)

Die drei sollen mal genügen. Zumindest geben die ersten beiden zu, dass sie das Buch gar nicht gelesen haben, der dritte „Rezensent“ will es geliehen bekommen haben und hat „mal kurz drüber“ geschaut.

Bei amazon gibt es eine witzige Funktion, die viele nicht kennen, nämlich die Angabe „Von Amazon bestätigter KaufHat jemand bei seiner Rezension diesen Button angeführt, so ist gewährleistet, dass er das Buch zumindest bestellt und geliefert bekommen hat. (Einen Button für „Tatsächlich gelesen“ gibt es noch nicht. :)). Die meisten der Kommentatoren haben dieses Prädikat nicht.

Jetzt mag man von Bettina Wulff halten, was man will. Mir ist sie ziemlich gleichgültig, so dass ich das Buch nicht lesen werde, weil es mich nicht interessiert. Der ganze Hype um die angebliche Rotlicht-Vergangenheit und die Abmahnung all derer, die darüber geschrieben haben, hatte aber schon die Power, die Medienlandschaft gehörig zu spalten.
Auf der einen Seite diejenigen, die die „arme Frau“ bedauerten, auf der anderen die Kommentatoren und Blogger, die eine gut kalkulierte Pressekampagne vor dem Erscheinen des Buches vermuteten.

Ich weiß nicht, ob sich Bettina Wulff über die Beurteilungen auf amazon.de ärgert oder grämt, ob es ihr wehtut oder ob sie sich schüttelt und zur Tagesordnung übergeht oder ob sie sich gar ins Fäustchen lacht wegen der Publicity.

Nur mir persönlich gefällt das gar  nicht, was da auf amazon abgeht. Da wird Gift und Galle gespuckt, hämische und beleidigende Kommentare wechseln sich ab mit unglaublich gut geschriebenen, aber inhaltlich wenig gehaltvollen Kommentaren. In dem ganzen shitstorm gehen ernst gemeinte und differenzierende Bewertungen unter.

Naja, zwei oder drei Besonnene fallen in einem pöbelnden Mob von hundert Leuten eben nicht auf.

Gestern habe ich von einer facebook-Party gelesen, die völlig aus dem Ruder gelaufen ist und mehrere Verletzte sowie ein demoliertes Haus zurückgelassen hat. Den link zu dem Bericht will ich gar nicht raussuchen,  solche Meldungen erscheinen etwa einmal im Monat.

Das Internet als Plattform für Verabredungen zum Marodieren, virtuell und real.

Sind Schwärme intelligent?

Beim Nachweis der von Guttenbergschen Plagiate in seiner Doktorarbeit war in manchen Berichten von der so genannten „Schwarmintelligenz“ des Internets die Rede.

Auch hier könnte man einwenden, dass das Füttern von Google mit Textzitaten wenig mit Intelligenz zu tun hat, eher mit der Frage, ob die im Internet gespeicherte Informationsmenge nicht als eine Art „Schwarmgedächtnis“ zu werten ist.

Was mir aber mehr Sorge macht, ist das Phänomen einer von mir jetzt mal so bezeichneten „Schwarmdebilität“ im Internet.

Eine Gruppendynamik, die mit zunehmender Emotionalisierung und kollektiver Pseudo-Empörung als gemeinsamem Nenner ihrer Mitglieder im Blutrausch eines Piranha-Schwarms endet, erreicht meines Erachtens auch den Intelligenzquotienten eines solchen.

Okay, kein Blutrausch, keine Piranhas.

Nur erwachsene Menschen, die sich zusammenrotten, um jemanden, den sie kollektiv nicht mögen, zu schmähen, mit Schmutz zu bewerfen und virtuell hinzurichten.

Alles halb so wild?

Wahrscheinlich. Immerhin wurde kein einziges Buch verbrannt.

Peter Teuschel

 

5 Responses
  1. Du bist nicht so oft in Kommentarbereichen unterwegs, oder? Alles obige harmlos gegenüber dem, was sich auf IT-Nachrichtenseiten bei Beiträgen über Apple/Samsung/beliebigen IT-Inhalt hier einfügen in den Kommentaren abspielt…

    • Kommentarbereiche sind der Sumpf des Internets. Immerhin hat da zumindest der Admin die Möglichkeit zu moderieren und auszumisten.

      Bei amazon ist das Phänomen aber recht neu. Schauen Sie mal in die Kommentare zu Sarrazins Büchern, da geht es – trotz ähnlicher Öffentlichkeit und generalisierter Empörung – gesitteter zu.

      Und versuchen Sie mal, bei amazon was löschen zu lassen – keine (kaum eine) Chance.

      Der Schwarm erobert sich immer mehr Bereiche.

      Zur Problematik der Kommentare insgesamt hier mal ein link zu einem guten Beitrag auf ZEIT Online:

      http://www.zeit.de/digital/internet/2012-08/netzpolitik-kommentare/seite-1

  2. Pfui Spinne. Sowas mag ich gar nicht. Dass es in Kommentarbereichen üblich ist, macht die Sache nicht besser sondern nur schlimmer. *wäh!

    (Aber die Piranhas sehen wenigstens hübsch aus… )

  3. Beim Bemängeln der Schwarmintelligenz dürfte sich ein besseres Beispiel finden lassen als das der Plagiatsjäger. Die werfen nicht mit Dreck, sondern mit Argumenten. Ob es nun der öffentliche Druck oder die Argumente waren, die zur Neu-Untersuchung mehrerer Doktorarbeiten durch die jeweilige Alma Mater kam ist aber nicht überliefert. 🙂
    Die Schlammschlacht führt dann wieder der gemeine Pöbel.

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